12. Juni 2018
"Den Auftritt in Deutschlandflagge gab es nie"
Interview geführt von Markus Brandstetter"Nie wieder 20" – unter diesem Motto feiert die Berliner Band MIA. um Sängerin Mieze Katz mit einer Konzertreihe ihr Bandjubiläum. Zwei Dekaden, in denen die Band nicht nur große Erfolge feiern konnte, sondern auch recht heftig kritisiert wurde.
Wer die Mia-Berichterstattung in diesem Magazin über die Jahre verfolgt hat, dürfte wissen, dass Miezes Band bei uns gelinde gesagt selten mit Samthandschuhen angefasst wurde. Nicht in der hitzig diskutierten "Schwarz Rot Gold"-Kontroverse und schon gar nicht in Albumrezensionen.
Umso erfreulicher, dass die Band uns trotzdem in ihr Berliner Studio einlud, um gemeinsam zwei Dekaden erfolgreiche Bandhistorie Revue passieren zu lassen, die erwähnte Kontroverse aus heutiger Sicht mit etwas Distanz zu beurteilen und auch mal über das Wesen von Musikkritiken zu sprechen. No hard feelings.
Ich danke euch für die Einladung, da ich ja weiß, dass euch laut.de nicht immer freundlich behandelt hat.
Alle: Ja, das wissen wir!
Wie geht ihr mit Kritik um?
Gunnar: Es kommt total drauf an. Zum einen, was ich selbst für einen Tag erwischt habe. Es gibt Tage, an denen ist mir alles egal, da kannst du schreiben was du willst. In dem wunderbaren Film "Ratatouille" gibt es diesen Restaurantkritiker, der eine Rede über die Arbeit eines Kritikers hält. Darüber, dass der Verriss natürlich die unterhaltsamste Form der Kritik ist, dass aber jedes Durchschnittsprodukt mehr wert ist als die Kritik.
Ich versuche also zu differenzieren und herauszubekommen: Ist da jemand substanziell auch wirklich daran interessiert gewesen, sich damit auseinanderzusetzen, was man tatsächlich kritisieren könnte? Ist es etwas, das mir vielleicht persönlich etwas bringt, das mir eine Perspektive aufmacht? Oder echauffiert sich da jemand darüber, dass unsere Sängerin Mieze Katz heißt? Das ist nämlich eher spießig und doof. Ich habe aus Kritiken aber auch schon Sinnvolles ziehen können. Wenn jemand bei uns etwas erkannt oder getroffen hat.
Mieze: Oder unter Umständen etwas aufgegriffen hat, das wir selbst auch finden.
Gunnar: Es ist ja nicht so, dass wir das, was wir so raushauen, einmütig beschließen oder alle immer toll finden oder gar nicht darüber nachdenken. Vieles was man in Kritiken liest, ist intern längst thematisiert worden. Nicht alles, aber tatsächlich bemerkenswert viel.
Mieze: Ich sammle mit Leidenschaft Kritiken, die meine Meinung aufgreifen. (lacht)
Ist das etwas, was man in zwanzig Jahren Bandgeschichte lernt? Seid ihr zu Beginn anders damit umgegangen?
Mieze: Ich finde schon. Die kritikreichste Zeit war natürlich anlässlich unserer Veröffentlichung von "Was es ist", da gab es eine regelrechte Schwemme. Da hieß es: "Man kann diese Musik nicht veröffentlichen, man kann mit der deutschen Sprache nicht arbeiten und mit dieser Sängerin schon gar nicht." Damit fing alles an. Es gab aber auch Kritiken, bei denen wir sagten: "Ach, guck mal, DIE kritisieren uns, das finden wir kacke, weil wir DIE ja eigentlich voll gut finden". Damals haben wir angefangen zu differenzieren. Der Umgang mit Kritik hat schon auch was mit Erwachsenwerden zu tun.
Gunnar: Wenn man jung ist, differenziert man weniger.
Andy: Da haben wir noch viel persönlich genommen.
Gunnar: Es war auch von Anfang an klar, wenn man aufs Frühwerk blickt, dass das eine Band ist, die die Lager spalten will. So eine Ist-mir-egal-Duldung hatte man am wenigsten vor.
Mieze: Ich habe am Anfang gedacht, mit diesen Texten könnte ich Gleichgesinnte ansprechen. Dass es aber dazugehört, dass viele Leute, denen das gar nicht gefällt, ihre Meinung auch aussprechen, das musste ich schon lernen – dass sich das bedingt.
Andy: Mich hat das eher motiviert. Aber irgendwann habe ich ein paar Leute kennengelernt, die Kritiken geschrieben haben. Das hat mich persönlich oft enttäuscht, dass die dann im Gespräch so handzahm waren.
Gunnar: Das ging mir genauso. Ich kann das aus meiner Perspektive erklären, weil ich der bin, der als letztes zur Band gestoßen ist. Der Neue. Ihr seid mir so begegnet: Wir machen das so und das ist das, was wir da reinwerfen. Das gehört so, es ist uns erst mal total egal, wie das draußen ankommt und widerhallt. Weil wir das Bedürfnis haben, das genau so zu machen. Weil uns das ein Bedürfnis ist. Wenn dir das nicht passt, dann nehmen wir das in Kauf.
Mieze: Damals wusste ich nicht, wie Presse funktioniert. Heute weiß ich das ja eher.
"Die Debatte war unglaublich anstrengend"
Dann habt ihr diese Debatte um Schwarz-Rot-Gold und Heimattümelei losgetreten.
Gunnar: Es wird uns ja immer diese Geschichte mit der Flagge angehängt – die Flagge gab es nie. Die ganze Debatte war unglaublich anstrengend, weil sie so einen langen Nachhall hatte. Jahre später bei der nächsten Platte mussten wir immer noch darüber reden. Es hat uns lange beschäftigt und lange nicht losgelassen. Nicht alles, aber einiges von dem Komplex an unterschiedlichen Meinungen, die sichtbar wurden, waren vorher für uns erkennbar. Wir waren vielleicht nicht so gut vorbereitet, wie wir es hätten sein können. Es lässt sich darüber streiten, ob man so einen Song machen muss und ob die Fragestellung zu einem unbeschwerten Diskurs in Deutschland möglich und nötig ist. Das finde ich völlig in Ordnung.
Mieze: Und auch zu hinterfragen: Warum ist das eigentlich NICHT so?
Gunnar: Ich habe diese Kampagne erlebt und für mich selber festgestellt: Ich habe nicht das Bedürfnis, mich unbeschwert zu verhalten. Ich bin in der DDR großgeworden, einem Land, das es nicht mehr gibt. Ich hatte nie das Bedürfnis, meinem 'Deutschsein' unbeschwert hinterherzulaufen. Das habe ich in dieser Debatte gelernt. Das heißt aber nicht, dass ich jemandem wie Mieze oder Andy absprechen will, dass er oder sie darüber nachdenkt. Das ist die interne Sicht. Dann sind Sachen passiert, dass ein Journalist – ich weiß nicht mehr wer es war – plötzlich darüber schrieb, dass Mieze eingehüllt in die Deutschland-Flagge dieses Lied gesungen hat. Das ist aber tatsächlich gar nicht passiert. Dann haben sich andere Leute hingesetzt und es abgeschrieben.
Mir ging es jetzt gar nicht um die Fahne, sondern die Schwarz-Rot-Gold-Analogie im Text, die das ja losgetreten hat. Damals ging's doch los.
Gunnar: Das war ein bewusst gewähltes Sprachbild, was ausgeschmückt wurde, um Geschichten daraus zu bauen, die es so nicht gegeben hat.
Mieze: Man merkt ja: Die Suche nach der Identität ist immer noch am Anfang. Jeder sucht die woanders. Ich bin auch in der DDR groß geworden, das war damals eine Phase in meinem Leben, wo mich die Frage besonders beschäftigt hat: Was ist meine Identität? Immer wenn mich jemand im Ausland gefragt hat, habe ich gesagt: I am from Berlin. Das ist mir irgendwann einfach aufgefallen. Das hat mich beschäftigt und interessiert.
Es ist seitdem ganz viel passiert, viele Künstler haben sich dazu geäußert. Ich glaube, der Fußball hat mehr für die Identität der Deutschen getan als alles andere – aber trotzdem merkt man immer noch, dass das eine neverending story ist. Ich hoffe, dass es in Zukunft noch viele Texte, Lieder, Bücher, Kampagnen gibt, damit wir nicht aufhören, uns darüber zu unterhalten. Die Identitätssuche ist schließlich etwas, dass die Menschen über eine lange Zeit begleitet und sich auch immer wieder verändert. Familiär, freundschaftlich, sprachlich – Identität verändert sich immer. Ich finde es gut, dass es nach wie vor so emotional ist. Das kann Musik also immer noch.
Gunnar: Ob wir es nochmal so machen würden? Wir würden unwahrscheinlich lange darüber diskutieren. Es würde viel länger dauern, bis ein entsprechender Song erscheint – das ist Fakt. Wenn wir heute ein Thema anfassen, dass auch intern kontrovers ist, dann würden wir uns mehr Zeit nehmen.
"Nie wieder 20" – heißt das Gott sei Dank nie wieder so sein wie vor zwanzig Jahren oder ist da Nostalgie dabei?
Mieze: Das ist schön, dass du das fragst: Gunnar hatte die Idee zu diesem Tour-Titel und ich habe Gunnar genau dieselbe Frage gestellt.
Gunnar: Ich fand gut daran, dass es eine klare Würdigung dieses Jubiläums ist, aber auch ein Pfeil drin steckt. Auch wenn du es liest, weißt du es nicht genau. Es ist eine Vieldeutigkeit: Es kann Erleichterung sein, es kann Wehmut sein, es kann eine Rückschau sein – je länger man darüber nachdenkt, desto mehr Bedeutungen sammeln sich an. Es war eher das Erleichterte, das Wechselspiel aus Erleichterung und Wehmut.
Mieze: Man spürt diese eine Bedeutung auf Tour sehr: Es passiert alles genau einmal. Ein Konzert ist einmalig, die Magie entsteht jetzt oder sie entsteht gar nicht. So wie wir jetzt zusammensitzen, sitzen wir morgen nicht mehr zusammen. In diesem Kontext spüre ich, was "Nie wieder 20" bedeuten kann. Das ist auch mein Credo bei dieser Tour: Nichts aufheben, alles jetzt machen. Sonst ist es vorbei, verpasst. Es geht ums Jetzt erleben.
Was ist denn der gravierendste Unterschied zwischen eurer Situation vor 20 Jahren zu eurer Situation heute?
Andy: Als wir jünger waren, waren wir spontaner. Das finde ich gut. Das würde ich gerne zurück haben. Das dauert aber seine Zeit – vielleicht genau diese zwanzig Jahre. Genau so zu sein wie damals ist auch bekloppt. Aber die Vermischung aus diesen Dingen, ich persönlich erlebe das gerade. Für die Kollabo mit Balbina hab ich Spuren noch mal durchgehört und ich weiß genau, wie das Wetter war, wie es roch, wie ich drauf war, als ich diese Gitarre eingespielt habe. Das macht etwas mit einem. Es ist nicht so, dass ich mir wünsche, nochmal genau das gleiche zu fühlen. Aber ein bisschen von dem und ein bisschen von jetzt – das zusammenzuklatschen, das wäre toll.
Das Schöne ist – vielleicht ist das ja das Erwachsenwerden: Dass aus diesem Älterwerden wieder eine Spontaneität wachsen kann, der man Raum gibt und sich nicht auf seiner Gesetztheit ausruht. Ich habe das Gefühl, mit dieser Tour sind wir genau da. Diese Tour hat kein Thema außer zu sagen: "Wir sind jetzt seit 20 Jahren da und haben Bock zu spielen!" Damit holt man sich das zurück, was am Anfang so geil war – das war damals der gleiche Grund, auf die Bühne zu gehen. Nur dass man damals noch nicht so gut gespielt hat und so viele Songs hatte.
Mieze: Das war lustig, mit nur einem Album auf die Bühne zu gehen. Du spielst das Album durch und schaust dich an und fragst dich: Oh Gott, was machen wir jetzt?
Gunnar: Was man mit Anfang, Mitte Zwanzig nicht ist: besonders demütig. Das meiste ist selbstverständlich, man ballert da so durch. Diese Demut sickert langsam an – das ist nur eine Facette der Reflexion die man sich aneignet. Da kann auch Angst dazu kommen, Verletzlichkeit. Das ist der große Unterschied. Die Kunst ist es, das zu balancieren. Es ist gut, sich darüber klarzuwerden, dass das, was wir hier machen nichts Selbstverständliches ist, kein Selbstläufer – sondern etwas, das Zuwendung braucht.
Mieze: Mit Mitte Zwanzig lebten wir mit Musik, jetzt leben wir von Musik. Das finde ich schon elementar.
Gunnar: Das ist etwas, was ich total gerne ausklammern würde.
Mieze: Aber es ist auch total geil, dass es geht. Das eine schließt das andere ja nicht aus – es ist ja nicht immer ein Leben mit Musik.
Robert: Es sind einfach tolle Sachen dazugekommen. Dass man jetzt Familie hat, dass da so eine Welt ist, die man nicht eintauschen musste, sondern dich das auf der Bühne parallel noch immer abholt und man dafür auf Tour fährt: Dadurch hat dieses Tour-Ding nochmal so viel mehr Wert bekommen. Das hat viel mit Wertschätzung zu tun.
Mieze: Was ich als positive Veränderung empfinde: Ich bin früher vor Auftritten oft krank geworden, hatte zum Beispiel Angina. Dieses Lampenfieber war so herausfordernd auf eine extreme Art und Weise. Ich wollte mich da reinstellen, aber ich wollte auch weglaufen. Beide Sachen gleichzeitig. Totstellen, Weglaufen, Angriff. Mit der Zeit hat sich ein Zusammenspiel ergeben, wir haben einen Weg gefunden, uns gegenseitig aufzufangen. Bei einem superwichtigen Gig, MTV Campus Invasion, hatte ich ein Blackout, mir fällt die Zeile nicht ein. Ich gucke rüber zu Gunnar, er gestikuliert, "mimikt". Das sind ganz feine Rädchen geworden, die da über die Jahre ineinandergreifen. Die uns erlauben, keine Fehler zu machen, sondern zu improvisieren. Mich inspiriert das für mein Leben. Es passiert etwas, was einen aus der Bahn wirft – aber der Umgang damit ist ein anderer geworden.
"Wir sind im Prozess"
Neues Album?
Mieze: Neues Album!
Gunnar: Wir sind dabei.
Mieze: VÖ ist dann, wann es gut ist.
Also verratet ihr nicht, wie weit ihr im Prozess seid?
Mieze: Wir sind im Prozess.
Gunnar: Es kommt nicht morgen. (lacht)
Was sagt ihr zur Echo-Kontroverse? Ihr hattet Eure Nominierung 2013 im Rahmen der damaligen Frei.Wild-Debatte ja im Vorfeld zurückgezogen und euer Erscheinen abgesagt.
Gunnar: Es hat sogar was Amüsantes. Es sind im Prinzip zwei getrennt voneinander zu besprechende Szenarien. Das eine ist eine Preisverleihung, die sich einen Ethikrat leistet, der aber offensichtlich ein Kegelclub ist. Das andere ist: Was ist in diesem Land für ein Vibe, dass sich Sachen wie Frei.Wild oder Zeug wie "Jung, brutal, gutaussehend" so wahnsinnig gut verkauft? Was ist da los? Den Vibe kriegst du ja nicht damit repariert, dass du den Echo abschaffst. Ich bin Oliver Pollak sehr, sehr dankbar – als er darauf angesprochen wurde, dass der Echo abgeschafft wurde, meinte er: "Antisemitismus wäre mir lieber".
Das kann man zu dem aktuellen Ding so stehen lassen. Es ist lustig, dass ein Preis, der das Inhaltliche immer hinten angestellt hat, vom Inhaltlichen gekillt wurde. Er wird auf Eis gelegt, weil ihm die Inhalte um die Ohren flogen. Weil die Macher das ignoriert hatten, weil niemand jemals ein Interesse hatte, eine andere Hierarchie herzustellen.
Ihr habt euch damals im Vorfeld zur Veranstaltung distanziert, dieses Jahr haben sich viele erst im Nachhinein geäußert, manche auch gar nicht. Wie findet ihr das?>
Gunnar: Das muss jeder für sich selbst entschieden. Ich will keinem Vorhaltungen machen. Natürlich finde ich Kunstfreiheit wahnsinnig wichtig. Deswegen ist es wichtig, dass man darüber redet. Ich würde ja an meinem eigenen Ast sägen, wenn ich sage, ich bin für Zensur. Andererseits finde ich, dass eine Zeile auf Kosten von Leuten, die vor 70 Jahren millionenfach systematisch ermordet wurden, einfach nicht geht. Fresse halten, rote Karte, hinsetzen. Trotzdem finde ich Zensur kacke. Das ist das, was mich beschäftigt: Dass sich aus dem Rap-Game zu wenig Leute zu Wort melden.
Campinos Arsch in der Hose in allen Ehren, aber es hätte nicht geschadet, wenn sich der eine oder andere Rapper mal dazu bequemt hätte. Oder die ganze Rap-Berichterstattungsmaschinerie, die ja auch Geld verdienen mit dieser Musik. Ich kann mich da an nicht viel erinnern, außer, dass die Antilopen Gang etwas Cooles gesagt haben und dass Marcus Staiger meinte, aus Battle-Rap-Perspektive haben Kollegah und Farid Bang alles richtig gemacht. Hat sich sonst jemand dazu geäußert? Das würde ich mir wünschen. Weil die Musik so erfolgreich ist und auch so explizit ist, muss man darüber reden. Aber das passiert leider zu wenig.
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