5. März 2019

"Das Publikum war nicht betrunken!"

Interview geführt von

Fast 20 Jahre ist es her, dass die Norweger Madrugada ihr Debüt "Industrial Silence" veröffentlichten und sich damit in Europa eine treue Gefolgschaft erspielten. Nun feierte die Band bejubelte Reunion-Konzerte.

Ein Jahr nach dem Tod von Gitarrist Robert Burås 2007 löste sich die norwegische Rockband auf, Sänger Sivert Høyem begann eine sehr erfolgreiche Solokarriere. Letztes Jahr gab es schließlich Grund zur Freude für die Madrugada-Fans: Eine Reunion-Tour zum Debüt "Industrial Silence", das hierzulande leicht verspätet im Januar 2000 erschien, war schnell ausverkauft.

Zum ersten Mal seit 2002 wieder mit dabei ist Originaldrummer Jon Lauvland Pettersen. Wie aufgeregt die Band über ihre Wiederkehr ist, wer Robert ersetzt, wie es sich anfühlt wieder auf der Bühne zu stehen und was die Zukunftspläne des Trios sind, erzählten uns Madrugada beim Interview in Berlin.

Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit wieder gemeinsam unterwegs zu sein? Es ist ja schon ein Weilchen her, dass ihr drei gemeinsam auf einer Bühne gestanden habt.

Jon Lauvland Pettersen: Ja, es ist eine Weile her, für mich ganze 18 Jahre. Wir hatten ein bisschen ein Deja Vu als wir nach Berlin kamen – unser erster Gig, den wir jemals außerhalb Norwegens spielten, war im Knaack Club in Prenzlauer Berg in den frühen 2000ern. Es ist also ein bisschen ein Trip auf der Memory Lane. Wir spielen ja auch viele Songs von 'Industrial Silence', also kommen da schon eine Menge Erinnerungen hoch.

Wenn ihr 20 Jahre zurückdenkt an die Phase, in der ihr das Album gerade aufgenommen habt und es für euch danach ja ziemlich schnell ging: was kommt euch als erstes in den Sinn?

Sivert Høyem: Als wir am Album arbeiteten, waren wir sehr fokussiert, es genau richtig zu machen. Wir waren dauernd im Studio und hatten eine Plattenfirma, die wirklich an uns geglaubt hat. Sie haben uns all die Ressourcen und die Zeit gegeben, die wir im Studio benötigt haben. Das würden Plattenfirmen heute nicht mehr machen, denke ich, zumindest nicht mit einer unbekannten Rockband. Es ging nur um Musik, auf Tour und im Studio. Wir waren sehr klangorientiert, es war uns extrem wichtig, den Sound auf der Platte genau richtig hinzukriegen. Wie Jon gesagt hat: Ich hatte dieses komische Gefühl, als ich mit den Jungs wieder hier herkam. Ich habe ja selbst nie aufgehört Musik zu machen, habe Alben aufgenommen und bin getourt. Aber wieder mit Jon und Frode hierher zu kommen – das war wie eine Zeitreise.

Jon: Es fühlt sich aber auch so an, als wäre das alles gestern erst passiert. Viele der Orte sind noch immer die gleichen, das Café Burger ums Eck hier zum Beispiel. Ein paar Dinge haben sich natürlich geändert, wir sitzen hier zum Beispiel in einer Bar, die unserem Bassisten Frode gehört. Ein paar Dinge haben sich also schon verändert in Berlin (lacht). Wir sind natürlich erstaunt, dass der Empfang so begeistert war. Unser erster Berlingig war in zwei Stunden ausverkauft – am 22. April gibt es dann ein Zusatzkonzert in der Columbiahalle, ebenfalls ausverkauft. 3500 Menschen passen da rein. Das ist schon überwältigend, wie wir in Deutschland empfangen wurden. Alle Shows haben sich schnell ausverkauft, die Leute scheinen darauf gewartet zu haben.

Hat euch das tatsächlich überrascht? Dass die Resonanz darauf groß sein würde, war ja eigentlich auch abzusehen.

Sivert: Ja, man kann das nicht planen. Ich bin mit Jon seit 2001 in einer Band und wir sind immer noch gut befreundet. Es ging uns immer um die Musik, auch heute. Und wir wollten eben wieder zusammen spielen, da war das 20-jährige Jubiläum ein guter Vorwand. Manche Bands lösen sich auf und verschwinden. Ich bin mit unseren Fans ja immer in Kontakt geblieben, über Facebook und dergleichen, ich hatte also schon ein Gefühl, dass es wachsen und gedeihen wird. Aber nicht so.

Jon: In Sachen Norwegen war ich natürlich schon optimistisch. Aber dass es in Europa laufen wird, wussten wir eben noch nicht. Der Promotor wusste das auch nicht und buchte uns deshalb in kleinere Venues. Es explodierte förmlich, und wir sind sehr dankbar.

Sivert: Wir sind, sehr, sehr glücklich.

Wann hattet ihr denn die Idee zu dieser Reunion – und wann habt ihr die Details ausgearbeitet?

Jon: Es war bei einem Mittagessen, vor anderthalb Jahren. Eigentlich mehr Bier als Essen. Ich sprach mit Sivert über diese Möglichkeit, wieder zusammen zu kommen. Das zwanzigjährige Jubiläum von 'Industrial Silence' stand vor der Tür. Wir sind immer noch sehr stolz auf das Album, es ist eine tolle Platte. Es war ein wichtiger Prozess für uns, wichtige, prägende Jahre für unsere musikalische Kameradschaft und unsere Freundschaft. Für mich war es einfach eine gute Möglichkeit, wieder einmal mit den Jungs etwas zu machen. Ich denke, das war zumindest meine Intention. Sivert und Frode mochten die Idee. Wir sagen, okay, schauen wir mal wie es im Proberaum so klappt – aber es passte vom ersten Ton an. Wir sagten uns selbst, wir sind jetzt älter geworden, reifer, relaxter – und es klang bei der ersten Probe vielleicht sogar besser als zuvor. Es war ein tolles Rendezvous!

Sivert: Tolles französisches Wort! (lacht)

Das Album ist ja tatsächlich gut gealtert. Es gibt tolle Alben, die man sich retrospektiv anhört und dann feststellt, dass sie die Zeit nicht so gut überstanden haben. 'Industrial Silence' ist wirklich gut gealtert. War euch das stets bewusst oder hat euch das auch überrascht?

Sivert: Es ist ein toll klingendes Album. Wir haben bei den Aufnahmen viel über Songwriting gelernt. Es passiert sehr viel – es gibt einige Songs, die schon Madrugada sind, aber auch experimentelle Ausreißer. Der Kern ist aber sehr bandtypisch, sehr emotionale Songs. Ich denke, dass es gut gealtert ist. Als wir das Album gemacht haben, habe ich nicht viel Musik gehört, die so geklungen hat. Uns hat eher älteres Zeug geprägt, Grant Lee Buffalo, Mazzy Star und so. Was wir gemacht haben, war nicht besonders trendy. Später hörte man diesen Sound öfter. Lana Del Rey klingt irgendwie so - ich sage jetzt nicht, dass sie uns kennt. Heute ist so ein Sound schon mehr en vogue. Das ist lustig. Sowas plant man nicht. Es ist einfach eine analoge Produktion, bei der wir unser Bestes getan haben. Wir versuchten, so viel Emotion reinzupacken wie möglich. Und der Klang ist einfach toll.

Jon: Wir waren einfach nicht versucht, jene Elemente reinzustreuen, die 1999 als hip galten. Es war analog, wir suchten nach klassischen Sounds, die ewig bleiben.

Sivert: Das stimmt. Wir haben nicht versucht, trendy zu sein.

Sivert, du hast eine gut laufende Solo-Karriere, in den letzten zehn Jahren ist jedes Album von dir auf die Nummer Eins der norwegischen Albumcharts geschossen. Wie war es für dich, wieder in den Bandmodus zu kommen?

Sivert: Ich wollte schon lange wieder in einer Band sein. Eine Zeit lang versuchte ich das mit einer Band namens Paradise. Das hat mir in meinem Leben gefehlt. Ich war es gewohnt, alleine zu sein. Am Anfang fühlte sich das noch komisch an. Als wir wieder zusammengekommen sind, fühlte sich das gleich toll an. Obwohl Robert nicht mehr unter uns weilt, konnte ich sofort die Band rausholen. Bei der ersten Probe habe ich Gitarre gespielt – und ich war ziemlich furchtbar. Es überließ einiges der Vorstellung – aber es wuchs.

"Wir haben absurd viel geprobt"

Robert verstarb 2007. Wie schwer war es schlussendlich, einen Ersatz für ihn zu finden – ihr spielt live ja mit zwei Gitarristen.

Sivert: Wir haben mit Christer Knutsen und Kato Salsa zwei Mitglieder aus meiner Solo-Band dabei. Sie kennen meine Art, über Musik zu denken. Wir haben ja auch zusammen Madrugada-Songs gespielt. Sie respektieren uns. Kato ist der Hauptgitarrist, er war immer ein enger Freund der Band und auch von Robert. Wir haben oft zusammengespielt, zum Beispiel 2001 am Roskilde. Das sind tolle Musiker und gute Freude der Band. Und wir haben auch viel Zeit damit verbracht, den Sound von "Industrial Silence" wieder ins System zu bekommen – und deswegen haben wir viel zusammen geprobt.

Wann habt ihr mit dem Proben begonnen?

Sivert: Vor circa einem Jahr. Wir haben absurd viel geprobt. Damals haben wir auch nicht wenig geprobt, aber wir hatten auch Touren, bei denen es uns zum Problem wurde, dass wir nicht geprobt hatten (lacht). Wir mussten das aber auch wirklich machen. Es hätte für niemanden von uns Sinn gemacht, das halbherzig zu machen. Wir wollten es genau richtig machen. Damals passierte alles sehr schnell und überwältigend.

Fühlt ihr eine gewisse Last der Vergangenheit?

Sivert: Nein, überhaupt nicht. Als Solo-Künstler ging mir das viel mehr so. Man wird immer mit dem verglichen, was man zuvor gemacht hat. Aber mit der Band hier, gar nicht. Es ist eine einzige Freude.

Jon: Zuerst kamen zwei Gigs in der Heimat, vor jeweils 10.000 Leuten. Wir haben uns es schwer gemacht – die erste Show seit 18 Jahren war eine ausverkaufte 10.000er-Arena. Das macht es danach leichter, auf Tour zu gehen. Und es lief toll, wir hatten viel Spaß auf der Bühne. Und nach all den Jahren war das ja auch ein Heimspiel und die Leute waren toll zu uns. Sie gaben uns das Willkommen, das wir uns gewünscht hatten. Wir sind echt bereit. Es fühlt sich an, wie nachhause zu kommen.

"Die Leute waren nicht mal betrunken"

Ihr habt euch die Messlatte also gleich ordentlich hoch gesetzt.

Jon: Ja, und umso wichtiger war es, gut vorbereitet zu sein.

Frode: Ich erinnere mich übrigens noch gut an unser erstes Berlin-Konzert. In Norwegen spielten wir damals vor allem vor Studenten, auf Partys. Wir hatten aber ziemlich leises Material, das wir bei dem Lärmpegel nicht spielen konnten. Als wir zum ersten Mal nach Deutschland kamen, war die Resonanz spannend, das war ganz anders als Norwegen. Wir erinnern uns an die Ruhe und Aufmerksamkeit, als wir spielten.

Jon: Die Leute waren nicht einmal betrunken!

Frode: Sie kamen wegen der Songs.

Jon: Das war großartig. Leute kamen pünktlich – und wegen der Musik.

Gibt's für euch Unterschiede zwischen dem Publikum in Norwegen und sagen wir dem Rest Europas?

Sivert: Heute ist das nicht mehr so. Die Konzertkultur in Norwegen hat sich sehr geändert.

Jon: Unsere Gigs in Norwegen, meistens in Orten außerhalb Oslos, in Unis oder Technikschulen fingen spät an. Das waren eben Studentenparties.

Sivert: Wir waren sehr ambitioniert mit unserer Musik – und wahrscheinlich haben wir einen langweiligen Eindruck gemacht. Wir haben nicht das gemacht, was wir auf diesen Partys machen hätten sollen. Es hat aber geklappt – und heute ist es in Norwegen auch ganz anders. Aber es war eben toll, raus zu kommen.

Wenn die Tour vorbei ist – gibt's dann auch wieder mal ein neues Album? Oder bleibt es bei einer Live-Reunion?

Frode: Wir haben einen Song aufgenommen – einen Soundtrack für den Film 'Amundsen'. Wir haben das Stück für das Filmende geschrieben und mit Ideen herumgespielt. Jetzt spielen wir erstmal live – wir haben kein Studio oder was gebucht.

Wie fühlte es sich an, wieder gemeinsam aufzunehmen?

Sivert: Das war etwas anderes, wir haben den nicht als Rockband aufgenommen.

Jon: Das hätte so nicht funktioniert – gemeinsam im Studio als Madrugada im Studio zu stehen, es war mehr Soundtrackarbeit.

Sivert: Aber schauen wir mal. Wir sind jetzt erstmal ein Jahr auf Tour, was danach passiert, wer weiß. Es fühlt sich jetzt jedenfalls großartig an.

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