laut.de-Kritik
Kopfüber in die Krise und zurück.
Review von Fabian BroicherEs sei eine besonders schwere Geburt gewesen, sagt Marika Hackman über ihr fünftes Album "Big Sigh". Denn während viele Kreative die Pandemie-bedingten Lockdowns als Erleichterung empfanden, rutschte die englische Singer-Songwriterin Anfang 2020 in eine kreative Krise, Schreibblockade inklusive. Zur Überbrückung nahm sie ein Cover-Album auf, an neue Eigenkompositionen war aber nicht zu denken.
Von diesen Hürden ist auf dem Album nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil, "Big Sigh" sprudelt förmlich über vor Ideen. Hier stehen minimalistische Piano-Impressionen und krachige Shoegaze-Riffs neben nahezu perfekten Pop-Kleinoden. Bestes Beispiel dafür ist "Slime", gut versteckt in der zweiten Hälfte des Albums. Über die Klänge einer tiefer gestimmten Gitarre schmiegt sich ein betörend eingängiger Refrain. "Hold you in the night", singt Hackman dort, "I want your head above mine / These things take a little time", und beschreibt in aufrüttelnden Metaphern die Lust und das Verlangen in einer aufflammenden Beziehung. Das erinnert textlich an "Any Human Friend", den Vorgänger von 2019, mit dem Hackman zu einer Stimme für die LGBTIQ+-Community avancierte.
Die krachig-groovigen Achtziger-Referenzen, die "Any Human Friend" musikalisch bestimmten, sind allerdings einer beeindruckenden Kohärenz gewichen. Unterstützt vom Produzenten-Duo Charlie Andrew (Alt-J) und Sam Patts-Davies (Thom Yorke), spielt Hackman alle Instrumente selbst, von den Streichern und Bläsern abgesehen. Und es zeugt von fähigen Händen, dass sich die musikalischen Extreme fast mühelos zu einem stimmigen Gesamtbild fügen: "Vitamins" erforscht kontemplative Electronica, "The Yellow Mile" ist eine akustische Ballade, und das Arrangement des Titeltracks erinnert an PJ Harvey. Man mag kaum glauben, dass diese leichtfüßigen Songs eine schwere Geburt gewesen sein sollen.
Trotzdem erkennt man die Konflikte, die in dem Material stecken. Vor allem, weil Hackman in ihren Texten wieder mal ihre Seele offenbart. Hinter "No Caffeine" verbirgt sich zum Beispiel eine Liste von Dingen, die der Sängerin bei Panikattacken helfen - Kräutertee, Fernsehen, ein Telefonat mit der Mutter, Sex ohne Liebe. "Hanging" dagegen erzählt mit herzzerreißender Offenheit von einer Trennung: "Somebody good shouldn't feel so bad / Well I must've done something to deserve to feel this sad."
Krise hin oder her, Hackman findet auf "Big Sigh" ein versöhnliches Ende: "But gold was on the ground / A heavy yellow mile / I couldn't stand to leave / I was happy for a while." Krisenbewältigung erfolgreich.
4 Kommentare mit einer Antwort
"Pandemie-bedingten Lockdowns als Erleichterung empfanden" -und wer soll das gewesen sein?
Frag ich mich auch.
"No caffeine" find ich recht gut.
Werde Albung stisen.
Schönes Album. No Caffeine ist der klare Hit, aber auch der Rest macht Freude und das Ding ist das ideale Moodpiece für den Januar.
Late to the party. Die Künstlerin wurde mir vor ein paar Tagen auf Tiktok vorgeschlagen und das Album gefällt mir sehr gut. Wie schon erwähnt, "No Caffeine" ragt heraus, aber auch "Please Don't Be So Kind" ist ein Highlight für mich.