laut.de-Kritik
Aufgemacht zum Truck Stop, im Märchenschloss gelandet.
Review von Dominik LippeIhr Debütalbum "Der Geilste Fehler" gehorchte noch weitgehend den Silbereisen'schen Schlager-Statuten. Nun versucht Marina Marx, Abstand zu gewinnen. "Nach 'The Voice of Germany' bin ich in neue Gewässer geschwommen, aber ich habe mich nie als Schlagersängerin verstanden. Dabei habe ich in der Branche viele gute Erfahrungen gesammelt", erzählte sied er Schwäbischen Zeitung. Mit "Wahrheit Oder Pflicht" kehre sie deshalb zu ihren Wurzeln zurück, zu "Rock und Country, dorthin, wo ich musikalisch herkomme". Doch so ganz will ihr der Sprung ins verheißungsvolle Nashville nicht gelingen.
"Weisst Du Noch" bemüht sich redlich, einen Sicherheitsabstand zu den staubigen Schlagerpfaden zu wahren. Produzent Sebastian Steinhauser setzt die Oberschwäbin kernig in Szene, holt gar die E-Gitarre für sie heraus. Inhaltlich reißt sie ihr eigenes Vorhaben gleich wieder ein. Statt erwachsenem Country liefert sie gleich zum Einstieg ein Nostalgieprodukt. "Weißt du noch, Flaschendrehen im warmen Sand?", malt sie jede noch so pubertäre Spielerei mit goldenem Pinsel und fordert zugleich eine Rückbesinnung auf die einfache, vermeintlich ehrliche Zeit. "Lass uns wieder tun, was wir wirklich wollen."
"Auf Teufel komm raus und rein ins echte Leben, auf Teufel komm raus gegen jede Vernunft", appelliert sie auch im folgenden Song an juvenilen Leichtsinn und das jugendliche Lebensgefühl. Dabei verliert der harmlose Pop-Rock von "Auf Teufel Komm Raus" bereits die zum Ziel gesetzte Truck-Stop-Atmosphäre aus den Augen. "Wo Ist Nur Die Liebe Hin", fragt Marina Marx unbedarft und sucht sie vorzugsweise im Märchenschloss statt in der Honky-Tonk-Bar: "Gibt's die bloß in Disney-Filmen?" Und wenn sie sich nicht zum Flaschendrehen zurücksehnt, erträumt sie sich eine Runde "Wahrheit Oder Pflicht".
Um ihren Texten eine gewisse Reife zu geben, kompensiert sie diese infantilen Motive mit Schlüpfrigkeit. "Lässt du dich auf alles ein, lass ich meine Hüllen fallen", verspricht sie in "Wahrheit Oder Pflicht" und unterstreicht die anzügliche Message mit einer Saxofon-Einlage. "Wir waren nackt baden, waren wild und frei", besinnt sich die 33-Jährige in "Weisst Du Noch" auf nackte Tatsachen längst vergangener Tage, "Jeder küsst jeden, keiner hat's bereut." Spicy klingen auch die Erinnerungen an "Niemand": "Wir zwei auf der Rücksitzbank. Ich lag eng in dein' Armen. Die Scheiben liefen von innen an."
In "Zu Mir Oder Zu Ihr" spielt Marx ihre Variante von Roland Kaisers "Du, Deine Freundin Und Ich" durch. "Ja Ja Vielleicht" rekurriert mit erträumten One-Night-Stands auf etwas konfuse Weise auf ihr Debütalbum. Immer ist jemand nackt - und wenn es nur die eigene Angst ist. "Steh Auf Und Leb" greift beherzt in die Klampfe, um sich dem Thema Depressionen zu widmen. Wie sich Mental Health erreichen lässt? Sie versucht es mit einer Aneinanderreihung stereotyper Mutmachparolen: "Steh auf und leb', gib nicht auf, kämpf' weiter für dein Glück, Kopf nach oben, Blick nach vorne."
Im abschließenden "Kämpferin", eine bemüht wilde Punkrock-Nummer, gibt sie sich noch einmal "bitchy", da sie "viel nackte Haut" zeige. Unabhängig vom Authentizitätsgehalt ergibt Marx' Ansatz Sinn, ihre Musik vom mindestens implizit konservativen Schlager zum freiheitsliebende Country-Rock zu verlagern. Nur umweht "Wahrheit Oder Pflicht" maximal ein Hauch von Shania Twain, statt gleich im anvisierten Tennessee zu landen. "Ich bin mit Countrymusik aufgewachsen", sagte sie unlängst, "Mein Wunsch ist, dass das nächste Album noch ein bisschen stärker diesen Rock-Country-Touch bekommt." Der Weg bleibt weit.
3 Kommentare
In diesem Fall bitte "Wahrheit". Hab zu großen Respekt vor dem, was bei Pflicht passieren könnte.
Dann lieber die Marx Brothers obwohl "Genre Rock/Schlager" ist ähnlich lustig
Und wieder einmal wird der eigentliche Kern, der intellektuelle Gehalt des Albums verkan(n)t.
Marx vs. Kant, da treffen Schwergewichte aufeinander.
Marx: Wahrheit oder Pflicht
Kant: Wahrheit ist Pflicht
Marx: „Lass uns wieder tun, was wir wirklich wollen."
Kant: „Lass uns tun, wozu wir unbedingt verpflichtet sind.“
Vielleich gibt‘s ein Duett der beiden im Remix.
5/5 auf der Sittenskala