7. Juli 2010

"Ich habe keine Ahnung von Musik"

Interview geführt von

Marina Diamandis wollte schon als Kind ein Star werden. Sie bewarb sich als Sängerin und Tänzerin - völlig erfolglos.Irgendwann traf Marina die richtigen Leute und begann, ihr eigenes Musik-Ding zu machen. Von Noten hat sie bis zum heutigen Tag keine Ahnung, sie weiß nicht einmal, in welcher Tonart ihre Songs geschrieben sind. Wenn ihre Musiker sich zu dem Thema äußern, versucht sie, "seriös zu nicken ..."

Ich habe gelesen, dass du in Wales lebend noch ein Geheimnis aus deinem Berufswunsch gemacht hast und deine Mutter dich niemals singen gehört hat, stimmt das? Es war eine Art schmutziges Geheimnis?

Das stimmt schon. Ich habe das vor allem aus Angst getan, weil ich nicht wollte, dass jemand mir rät, diese blöde Idee lieber gleich zu vergessen. Dachte, es würde einfacher werden, wenn ich es schlicht niemandem verrate.

Hast du es denn mit Freunden geteilt? Hast du leise im Zimmer gesungen, mit einem Kissen vor dem Mund?

Ich hab das Üben einfach meistens vermieden, haha! Natürlich hab ich gesungen, wenn niemand zuhause war - aber über meine Pläne wusste nur mein damaliger Freund in Griechenland Bescheid, als ich eine Weile dort zur Schule gegangen bin.

Was hat dich überzeugt, es zu versuchen? Gab es einen Auslöser, der dir sagte: So will ich werden, oder vielleicht sogar; so will ich nicht werden?

Schön wär's, dann wäre meine Geschichte stimmig und rund... aber nö, so was gab es leider nicht. Ich hab es eben in mir gespürt, ich wollte, musste Sängerin werden – aber keine Ahnung, wieso. Ich bin wohl einer Vorstellung oder Idee gefolgt, die ich in meinem Kopf schon ausgestaltet hatte, und jetzt natürlich heilfroh, das auch ohne amtlichen Grund getan zu haben.

Hattest du denn irgendwelche Vorbilder - jemanden, dem du nachgeeifert und den du bewundert hast?

Ich weiß nicht, ob es ein Vorbild war, aber ich war völlig begeistert vom Popstar-Sein, seit Britney Spears richtig abging, als ich dreizehn, vierzehn Jahre alt war.

Darf man sich dich dann mit der Klischee-Haarbürste im Minirock vor'm Spiegel vorstellen, wie du dir die Choereographie aus den MTV-Videos abguckst?

Ich liebte sie über alles, aber nicht als Künstlerin, sondern als Performer, vielleicht auch als Popstar. Außerdem war ich schon immer von Madonna besessen, habe ihre Biografien verschlungen. Ich hab mich immer sehr dafür interessiert, wie ihre Geschichten verliefen, wie sie eigentlich berühmt wurde. Es ging mir mehr darum, wie man Erfolg und Ruhm definiert und ob er wichtig ist. Ich selbst war nie jemand, der das Mich-Darstellen nur der Aufmerksamkeit wegen getan hat oder des sogenannten Ruhmes wegen. Trotz allem ist das für eine Weile so rübergekommen, und ich hab selbst nicht richtig verstanden, was ich wollte. Bis ich 21 war.

Was ist dann passiert?

Davor hing ich schon ein Weilchen in London mit der vagen Idee herum, irgendwie berühmt zu werden. Ich habe eher lustlos auf diversen Musikhochschulen hin- und herstudiert und parallel versucht, einen Job im Showbusiness zu bekommen. Dazu muss ich sagen: Ich hatte noch keine Songs geschrieben und war keine gute Sängerin. Ich wollte den vorgefertigten Pop-Weg einschlagen, versuchte, in eine Mädchenband zu kommen und solche Sachen.

Und du warst ja nicht gerade wählerisch, was deine Engagements betraf...

Ja, genau. Ob Talentsuchen für Kreuzfahrtschiffe oder für "König der Löwen"... eigentlich habe ich mich für alles, das Tanzen oder Singen beinhaltet hat, angestellt. Völlig wurscht, wer gerade für was gecastet hatte: Ich war da. Buchstäblich für alles, alles, alles.

Du bist zu Musical-Castings gegangen, ohne tanzen zu können?

Nicht ganz, ich hatte so ungefähr zehn Jahre lockeren Unterricht, da lag das nahe. Also hab ich allen erzählt, dass ich Tänzerin werden möchte, aber dann nach drei Monaten gemerkt, dass das definitiv nichts wird. Und auch was das Singen betraf... ich hab niemals einen Job gekriegt.

Nie, nicht mal für kurze Zeit?

(Prustet los) Niemals!

Die haben vielleicht gemerkt, dass du da nicht reinpasst.

Ja klar, die Leute können das schon erkennen, wenn du nur zum Spaß da bist. Streng genommen war ich das nicht mal, aber ich wollte eben etwas anderes. Du kannst mir glauben, dass ich nicht auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiten wollte!

Hast du dir ja gesagt: Wenn ich solche Jobs annehme, kriege ich später bessere oder kann mein eigenes Ding durchziehen?

Exakt.

Stimmt es, dass du sogar in eine Jungs-Reggaeband wolltest? Verkleidet als Junge?!

Ja schon, ich hab's versucht - aber du musst folgendes verstehen: Das war nicht, weil ich total verrückt bin, sondern weil ich irrsinnig ehrgeizig war. Ich dachte: Bei jeder dieser Gelegenheiten kannst du jemanden treffen, der dir irgendwie helfen kann, es lohnt sich immer, hinzugehen - also besser mal keine Gelegenheit auslassen. Außerdem hatte ich keinen Job zu der Zeit, bis auf Kellnern hier und da ... auch deswegen hab ich so viel abgegrast.

Und hast du denn mal jemanden getroffen, der dir geholfen hat?

Nein, das waren alles ... also, ich will nicht sagen, Idioten, aber sie waren doch zumindest aus einer anderen Welt, ohne Verbindung zu meinem Herzen. Der ein oder andere hatte vielleicht mal Pläne mit mir, mehr war es nicht. Ich hatte meine eigenen kreativen Ideen, und die Leute mit denen ich gearbeitet habe, mochten sie nicht.

Plötzlich ging mir auf, wie sehr ich das alles hasste – der Ansatz war einfach völlig verkehrt. Ich glaube, ich wollte einfach nur die Kontrolle über mich selbst haben und eine experimentelle Künstlerin werdens, die Dinge formulieren und Songs schreiben kann. Also hab ich mich richtig tief reingehängt und mir alles Mögliche selbst beigebracht – und auch schnell Fortschritte gemacht. Irgendwann fiel mir auf: Hui, das fühlt sich wie das Natürlichste überhaupt an, dafür bin ich geboren!

"Ich freue mich auf's Alter!"

Hast du dir selbst beigebracht, Musik zu spielen?

Naja, ich spiele Klavier nur dem Gehör nach. Ich hab die ersten Songs selbst aufgenommen, dann über Rough Trade in Großbritannien rausgebracht und langsam kam alles ins Rollen; die Leute fingen an, mir zuzuhören.

Auch wenn du stimmlich manchmal mit Kate Bush verglichen wirst, ist dein Weg als weibliche Solokünstlerin ja zuvor gut gepflastert worden von Künstlerinnen wie Ellie Goulding, Kate Nash Florence Welsh. Fühlst du dich mit ihnen verbunden?

Ehrlich gesagt, nein. Im Gegensatz zu den Erwähnten sehe mich selbst als ziemlich geschlechtslos. Schwierig. Ich weiß nicht wie ich darauf antworten soll, das werde ich die ganze Zeit gefragt.

Auf deiner Myspace-Seite stellst du die Frage: "Can you be in pop culture without becoming it?" Hast du für dich darauf schon eine Antwort gefunden?

(Überlegt lange) Ich glaube, das geht. Voraussetzung ist ein ganz bestimmter Lebensstil und eine sehr spezielle Mentalität. Ich denke, dass ich die besitze, denn ich mag beispielsweise meist das Image berühmter Menschen überhaupt nicht – selbst, wenn sie aus gutem Grund erfolgreich sind. Darum geht es hauptsächlich auf meinem Album. Ich glaube, der Schlüssel ist, dass du dich selbst von allem ausschließen kannst und etwas erschaffst, was dich selbst zufrieden macht. Wenn das Pop wird – fantastisch! Und wenn nicht – dann machst du ja wenigstens etwas, das dich glücklich macht.

Aber wie kannst du dich von allem ausschließen?

Ich grübele darüber auch ständig. Alltag, Umfeld und Erziehung beeinflussen natürlich jeden. Aber man muss sich ja nicht hundertprozentig in diese Welt reinstöpseln. Also, ich denke, ich werd das schon rausfinden - in ein paar Jahren...

Du scheinst ja ein bisschen von Edelsteinen besessen zu sein, du nennst dich selbst als Solokünstlerin Marina and the Diamonds – wobei die Diamonds ja deine Fans sind – und deine EP und das Album heißen "Crown Jewels" bzw. "Family Jewels", wie kamst du da drauf?

Oh, ich fand einfach, dass es gut klingt. Es ist auch ein kleines Overstatement über die Bedeutung der Familie und ihre Auflösung in der Gesellschaft. Es gibt gerade in Großbritannien so viele Scheidungen und so viele Probleme, die dadurch ausgelöst werden. Die Familie ist doch wirklich die Wurzel von allem, wenn man das Glück hat, eine zu besitzen. Und meine Eltern sind weitaus inspirierender als irgendeine Berühmtheit – deswegen hab ich das Album "Family Jewels" genannt.

Stimmt es, dass du gerne alt sein würdest?

Ja! Also, offensichtlich verschwende ich nicht mein ganzes junges Leben damit, alt sein zu wollen, aber ich denke schon oft darüber nach. Ich persönlich freue mich auf das Alter in einer Art und Weise, die die meisten Menschen nicht teilen könnten. Schade eigentlich, es hat so viele Vorteile, alt zu sein! Du weißt viel mehr, du bist viel weiser und gelassener ... und man kann endlich sehen, was man geschaffen hat in seinem Leben. Ich glaube, es ist ein ziemlich amerikanisches Ding ...

... immer jung bleiben zu wollen?

Ja. Klar, sich zu jungen Menschen hingezogen zu fühlen, ist Teil der menschlichen Natur, es liegt uns in den Genen – dabei sollten wir uns viel mehr von den Alten abgucken. Ich liebe alte Leute und hab für zwei Jahre mit meiner Oma in Griechenland gelebt und ich finde sie einfach wunderbar.

Apropos alte Leute: Da gibt es auch ein tolles Video von ein paar rüstigen Sängern in einem Pub, das du in deinem Blog gepostet hast ...

... oooh, ist das nicht unglaublich? Das zerreißt mir echt das Herz! Der Pub liegt direkt neben meiner Wohnung, und da gibt es diese Opa-Truppe, die bei einem Pint ganze Abende lang alte Arbeiter- und Propagandalieder aus dem Krieg schmettert. So wie zum Beispiel den Klassiker (singt und trommelt): "Who do you think you are kidding Mr. Hitler?" Und einer, der alte Mann mit der inbrünstigen Stimme, der ist echt ein Star! Er liebt seine Performance. Ein geborener Showman! Ich will unbedingt hingehen und ihn singen hören!

Noch mal kurz zum Jugendkult: Die erste Single von deinem Album, Hollywood, enthält die Zeile "Hollywood infected your brain, you want a kissing in the rain". Bezieht sich das etwa ...

...auf miiiich?! Ich denke, das Lied bezieht sich auf die Erwartungen und den Ehrgeiz, den ich hatte, als ich gerade 20 geworden war und nach London kam. Alles, woran ich denken konnte, war: "Ich will unbedingt ein Star sein, ich tue alles dafür!" und außerdem bezieht es sich auch auf eine bestimmte Generation von Frauen, vielleicht auch Männern, die mit der Celebrity-Kultur bombardiert werden. Gar nicht so leicht, diesen Song zu erklären. Zur einen Hälfte ist er sehr leichtherzig und zur Hälfte stellt er in Frage, wie wir Erfolg definieren. Ist es der Amerikanische Traum? Geht es nur um Materialismus? Ist Status, wen du kennst und was du besitzt oder geht es um sogenannte konservative Werte - darum, dass du ein aufrechter Mensch und loyal gegenüber anderen bist? Alles dreht sich nur um's Geld und es scheint, dass die Leute gar nicht glücklich damit sind. Die Welt ist wahrscheinlich in einem schlechteren Zustand als vor 50 Jahren, wo die Leute eben noch nicht den ganzen verdammten Tag gearbeitet haben. Sie hatten weniger und waren doch zufriedener als jetzt, wo sie alles haben können. Bringt mich einfach nur zum Grübeln, was ich für ein Leben führen möchte.

"Ich möchte kein kaltherziger Drachen sein!"

Du kommunizierst viel und ehrlich über deinen Blog und hast ausführlich darüber geschrieben, dass Leute sich nicht mehr irgendwas hingeben können. Hast du denn auch selbst mal diese Erfahrung gemacht? Ich bin immer völlig ratlos, wenn ich auf einem Konzert neben Leuten stehe, die ständig nur nach vorne und vor allem sich selbst fotografieren. So mit dem Telefon von schräg oben, meistens, wenn gerade die Band die Bühne betritt. Kapierst du das? Stellt sich doch die Frage: "Warum bist du überhaupt hier?"

Ja, ich weiß genau, was du meinst, das hab ich auch schon erlebt. Völlig reflexhaft arbeitet man daran, sein Bild vor anderen zu komplettieren. Und ich denke, dass ein Song wie "I am not a robot" eine Antwort darauf ist. Ich bin der Ansicht, dass wir eine ganze Generation von Menschen sind, die die Befriedigung der eigenen Ansprüche ganz zuoberst anstellen. Und trotzdem sind eine Menge Menschen ziemlich unzufrieden. Da frage ich mich, ob Dinge wie Facebook und Fotos von sich selbst auf Gigs machen und Tweets, die sich lesen: "OMG having such an amazing time!!!" - letztendlich normale Interaktionen und Reaktionen ersetzen.

Ja, wichtiger als die "amazing time" tatsächlich zu verleben, ist die Mitteilung darüber ...

Weißt du, vielleicht ist es gerade in unserer Generation ein Versuch, uns das Gefühl von Gemeinschaften nachzubauen; denn sowas wie Gemeinschaften existieren doch überhaupt nicht mehr in den Städten. Du hast nicht das Gefühl, dass dein Nachbar ein bisschen auf dich aufpasst. Also wird das simuliert, aber ... das ist eben nicht echt.

Wenn du sagst, dass du mehr vom Visuellen beeinflusst bist als von der Musik, wie genau wirkt sich das auf deine Musik aus?

Visuelles hat einfach einen viel stärkeren Effekt auf mich. Ich habe nie besonders viel Musik gehört. Ich erinnere mich an diese erste No Doubt-Platte mit den Orangen vorne drauf ...

"Tragic Kingdom"

... aber ansonsten war ich kein ausgesprochener Musiknerd. Aber ich durchkämme das Internet ewig lang nach bestimmten Sendungen und das macht mich viel glücklicher. Cartoons! Was gibt es Besseres als alte 70er-Cartoons? Hm, also wie beeinflusst das meine Musik? Textlich vielleicht. Denn wenn ich schreibe, schreibe ich nicht unbedingt mit der Absicht, mich gut zu fühlen, sondern versuche, etwas zu basteln, das bei anderen sehr schnell ein geistiges Bild und eine Farbe aufbaut. Das ist mein Ziel.

Ich hab versucht, Aussagen aus dem Album rauszuhören, aber deine Unentschlossenheit ist ständig präsent. Zum Beispiel singst du in einem Refrain: "I know exactly what I want and who I wanna be" und im nächsten dann "And I don't know, don't know... who I wanna be". Denkst du, dass du einen Punkt in deiner Karriere erreicht hast, an dem du zufrieden bist mit dem, was du bist und machst?

(Überlegt) Nein – weil ich so viel zu entdecken habe, aber das ist ja ganz natürlich. Als Person bin ich wohl ziemlich sprunghaft, man könnte auch sagen: schizophren. Ich schalte ständig hin und her zwischen "Will ich – will ich nicht. Ich weiß was ich will – ich weiß es nicht", aber so ist eben mein Charakter. Immerhin bin ich ehrlich. Aber ich bin sehr glücklich über die Gelegenheit, die ich habe und werde nichts verschwenden. Also alles in allem: Ich bin künstlerisch nicht zufrieden oder satt, weil ich da noch eine Menge zu tun habe.

Und wie stehst du zu dem, was du transportierst? Die Texte, die du schreibst – denkst du, "du" findest dich in diesen Texten oder sind es andere Personen, durch die du sprichst?

Nein, nein, das sind alles Teile von mir. Auch wenn sich das nach vielen Stimmen und Charakteren anhört, sind das eigentlich alles nur Schattierungen von meinen Gefühlen. Und ja - mit dem ganzen Album bin ich sehr glücklich.

Wie genau hast du dir eigentlich so schnell das Musikmachen beigebracht?

Naja - rumgedrückt, bis es gut klang. Weil ich überhaupt keine Ahnung von Musik habe, gibt es auch keine Regeln, also gilt für's Schreiben und Produzieren von Musik bei mir: Ich experimentiere mit allem, was gut klingt. Mein Talent für Musik ist also nur instinktiv. Aber manchmal finde ich auch, dass das der beste Weg ist, richtig natürlich. Für mich funktioniert es.

Also weißt du zum Beispiel auch gar nicht, in welchem Schlüssel deine Songs geschrieben sind und so?

Nee, ich habe nicht den geringsten Schimmer - bei keinem meiner Lieder (kichert).

Und wenn du mit einer Band live spielst...

Keine Ahnung, ehrlich. Ich mach es halt vor und die Band wurschtelt sich da durch. Die Theorie interessiert mich einfach nicht.

Abgebrüht!

Meine Band meint manchmal bei Proben so was wie: "Hey, ganz schön clever, das in fis-Dur zu setzen" - ich versuche dann seriös zu nicken und beiße mir auf die Lippen, um nicht loslachen zu müssen.

Und war das denn gar kein Problem bei der Produktion oder bei der Studioarbeit?

Nein, gar nicht. Schließlich sind die meisten Produzenten an Musiker gewöhnt, die nicht alles wissen oder die zum Beispiel auch gar nicht selbst schreiben – so Pophäschen.

Wie habt ihr euch gefunden?

Liam Howe hab ich über meinen Manager kennengelernt, bevor ich überhaupt einen Vertrag hatte. Wir haben einen Song namens "Seventeen" zusammen gemacht, und von da an haben wir weiter gemacht. Er hat wirklich verstanden, was die Essenz dessen ist, was ich musikalisch machen möchte. Ein tolles Erlebnis, ich werde auf jeden Fall weiter mit ihm zusammenarbeiten.

Kannst du denn die Essenz deiner Musik in ein paar Worten beschreiben?

Klanglich ist es experimenteller Pop, denn ich schreibe strukturiert und sicherlich sehr poppige Songs. Texte sind sehr wichtig für mich - alles was ich schreibe, ist ein Kommentar auf irgendwas. Es ist doch so: Man kann zwar die Welt nicht verändern, aber vielleicht Menschen ansprechen, die ihr Leben ändern wollen. Ich sag das nicht in einem selbstgerechten Modus. Das macht mir eben Spaß: die Welt um mich herum wahrzunehmen und zu diskutieren, wieso sie so ist, wie sie ist.

Irgendwann hast du dich ja entschieden, kein beliebiges Pophäschen zu sein, das vortanzen muss, sondern dein eigenes Ding durchzuziehen. Ist dann auch dein ursprünglicher Wunsch, Nr. 1 zu werden, in den Hintergrund getreten?

Nein! Jein. Schon wieder so eine ambivalente Geschichte. Es ist komisch, selbst wenn man diese Mädchenband-Karriereversuche außen vor lässt, dann will ich immer noch Erfolg und möchte Mainstream sein, weil man auf diese Weise eine Menge Leute erreicht. Trotzdem möchte ich keine Kompromisse eingehen, und darum drehen sich auch viele der Songs, zum Beispiel "Mowgli's Road" und "Oh No". Ich denke, man muss zunächst mit sich selbst Erfolg haben; sobald man versucht, anderen zu gefallen, geht alles den Bach runter. Dafür gibt es in der Popgeschichte ja genügend Beispiele. Also, wenn du mich fragst, ob ich noch mal Kompromisse machen und viele Platten verkaufen will, würde ich sofort antworten: Lieber keine einzige Platte verkaufen und machen, was ich will. Dafür müsste mich nur jemand bezahlen, haha.

Du hast ja gerade "Oh No" erwähnt, ein Song, der sich auch damit beschäftigt, wie ein Mädchen sich zu verhalten hat und welche Erwartungen gestellt werden. Ich hab das Gefühl, du schreibst vor allem für Frauen, kann das sein?

Das nicht, aber aus offensichtlichen Gründen schreibe ich oft über Frauen – ich würde mich absolut als Feministin bezeichnen. "Oh No" zeichnet das Bild eines Alpha-Weibs, einer sehr karrieristischen Frau, die verbissen hinter ihrem Erfolg her ist. Es beschreibt jemandem, der so werden muss, um erfolgreich zu sein.

Also bist das nicht hundertprozentig du, aber du könntest es sein?

Dieser Ehrgeiz ist ein Teil von mir, sonst müsste ich lügen. Aber ich möchte nicht so werden. Ich möchte kein kaltherziger, abgebrühter Drachen werden.

Findest du es komisch, dass mir da gerade Lady Gaga einfällt? Die fährt auch diese Dominanz-Schiene.

Versteh ich. Natürlich hat der Feminismus viel dazu beigetragen, dass wir uns emanzipieren konnten, aber ich möchte das nicht in diese längst überholte Geschlechterkampf-Ecke ziehen. Madonna und ihre Erben haben eine ganze Menge dafür getan, dass wir uns sexuell emanzipieren, aber wichtig ist doch, jetzt zu fragen, ob wir einen Fortschritt erkennen. Heutzutage müssen Frauen immer noch diesen übersexualisierten Stripper-Look tragen, wenn sie als selbstbewusst gelten wollen. Ich sage nicht, dass das eine gefährliche Entwicklung wäre, aber ich langweile mich da ein bisschen und frage daher, ob wir das nicht schlauer lösen könnten. Ich möchte mich nicht dazuwerfen, dazu mag ich bunte und niedliche Sachen viel zu gern. Zu lasziv, zu viel Haut zeigen ist nicht so mein Ding. Aber ich lese und forsche sehr viel über diese Fragen und das Thema ist mir nicht nur unglaublich wichtig, sondern auch ein Hauptantrieb dafür, dass ich überhaupt Songs schreibe.

Was ganz anderes - kurz bevor dein Album fertiggestellt wurde, hab ich gelesen, dass es länger dauert, weil du dich vor lauter Toursehnsucht nicht konzentrieren konntest – ist da was dran?

Haha! Totaler Bullshit! Was 'ne Lüge. Ich verstehe wirklich nicht, warum der NME das gedruckt hat, als ich das gelesen habe, dachte ich nur: "Wann hab ich das denn bitteschön gesagt?!" Im Gegenteil, mein Label war total verständnisvoll und locker, wir hatten nicht mal ein Abgabedatum. Da wollte mich der NME wohl in die manische Ecke stellen oder sie hatten einfach keine andere News an dem Tag und haben sich was ausgedacht. Haha!

Aber ein bisschen freust du dich schon, oder?

Ja klar, sehr zum Beispiel auf die amerikanischen Teile der Tour. Dieses Mal ist es San Francisco, San Diego, LA, Portland, Seattle, Vegas. Und ich freue mich auf die europäischen Events, die ich noch nie bespielt habe, zum Beispiel auf das Pukkelpop - allein schon wegen des Namens. Oh ja, das wird ein grandioser Sommer.

Was ist das Beste am Touren?

Die Antwort "Auftreten" ist zu billig, oder? Das Zweitbeste ist, dass ich den Bus meiner Träume bekomme, hatte ich nämlich noch nie. Ein richtiger Nightliner mit übergroßem Schlafzimmer oben im Bus, Doppelbett und allen Schikanen. Wahnsinn, oder?! Pimp my ride for Marina! Ja, das ist, worauf ich mich in einer oberflächlichen Welt am meisten freue.

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