laut.de-Kritik
Große Gesten, großer Herzschmerz, Drama, Dancefloor, Discokugel.
Review von Kay Schier"Nothing Breaks Like A Heart feat. Miley Cyrus": Einmal nachts im Dönerladen gehört. Mit den Schultern gezuckt, aufgegessen, gegangen. Ein paar Tage später aufgewacht mit nichts als diesem Song im Kopf. Seitdem ist es der Ohrwurm. Ein absolutes Monster von einer Single. Absolut furchtlos vor jedem Pathos, opulent arrangiert mit Streichern und allem drum und ran. Den Kitsch sicher umschiffend, von einem zeitlosen Disco-Vibe-getragen, performt von einer Miley Cyrus, die ihr gesangliches Können ein für allemal unter Beweis stellt: So muss das laufen unter der Discokugel.
Mark Ronson selbst beschrieb im Nachhinein auf Genius seine Ungläubigkeit darüber, dass in der Geschichte der Popmusik ernsthaft noch niemand einen Song so genannt haben soll. Und es gibt auch nicht viele Leute, die einen Song so nennen können, ohne rot werden zu müssen. Das er das nicht muss, und das zeigt die Entstehungsgeschichte dieses Songs sehr schön, liegt daran, dass er ernsthaft auf der Suche nach der Essenz des Pops ist - und diese auf "Late Night Feelings" wieder einmal gefunden hat.
Dieser Blick fürs Essentielle bewährt sich gleich bei der Gestaltung des Covers. Man muss das Album nur anschauen und weiß schon so genau, worum es geht, dass man es fast nicht mehr hören muss: große Gesten, großer Herzschmerz, Drama, Dancefloor, Discokugel. Mit einer ziemlich frischen Scheidung im Rücken zelebrieren Ronson und die zehn Frauen am Mikrofon den inneren Teenager. "Late Night Feelings" ist ein konzeptorientiertes Album, bestehend aus 13 potentiellen Hitsingles, die alle unabhängig voneinander funktionieren.
Klingt geschmeidig, ist es auch - aber gleichzeitig meine größte Kritik am Werk. Denn einen gewissen Samplercharakter wird es über die gesamte Spielzeit nicht los: Zu unterschiedlich sind die Stimmen der zehn Sängerinnen, zu gut passt sich Ronson ihnen in der Produktion an, um einen echten 'fühlt sich wie ein Album an'-Flow zu erzeugen. Und entgegen dem Etikettenschwindel im Titel eignet sich "Late Night Feelings" auch nicht dafür, um sich dazu nachts allein bei Kerzenschein zu betrinken und im Kopf die Greatest Hits liebesbekümmerter Gedanken laufen zu lassen. Denn dafür ist es zu antreibend, zu tanzbar, zu verspielt, schlicht einfach nicht traurig genug.
Man liest den vorangegangenen Satz und stellt fest, dass das eigentlich ziemlich großartig klingt, wenn Herzschmerz nicht gleich immer verjammerte Mollakkorde bedeuten muss. Mark Ronson mag zwar dank seiner vielfältigen Produzentenmeriten nicht zum Indiefeindbild taugen, andererseits macht er Pop für den Mainstream, ohne wenn und aber: Musik, die mit zugänglichen Mitteln bewegen soll, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn.
Soundtechnisch am nächsten an amerikanische Radiopop-Standards nähert er sich auf "Find U Again feat. Camila Cabello" an, für die Protagonistin maßgeschneidert. Die hat zwar als ehemalige X-Factor-Teilnehmerin vielleicht nicht die meiste Pitchfork-Credibility, aber mal eben ganz gelassen gesungen, wie sich das halt anfühlt: "This crush is kind of crushing me/ I do therapy at least twice a week/ there‘s a you-shaped space in my bed/ always you-shaped thoughts inside my head": Wie das ganze Album, so schnörkellos poppig, dass es schon wieder auf die Fresse ist. Kevin Parker hat den Track mitproduziert und so noch mal demonstriert, dass er offenbar wirklich fertig ist mit Psych-Rock.
Ansonsten huldigen Ronson und Mitstreiterinnen so stilsicher wie authentisch einmal querbeet allerlei Sounds, die in den vergangenen 40 Jahren Menschen zum Tanzen gebracht haben: "Pieces of Us feat. King Princess" hätte mit seinem hart geslappten Funkbass auch eine Janet Jackson in ihren Hochzeiten nicht verschmäht. "Don't Leave Me Lonely feat. YEBBA" adaptiert zeitgenössisch lateinamerikanische Rhythmen - ohne dabei anbiedernd zu klingen, wie die Konkurrenz das viel zu oft tut. In "Late Night Feelings feat. Lykke Li", noch so eine Single für die Götter, umgarnt eine Marimba den pumpenden Bass, Lykke Li täuscht mit zerbrechlicher Stimme ruhig an, bevor es in der Hook dann doch wieder High Energy wird. Der Klammerblues darf, dem Konzept gehorchend, nicht zu kurz kommen: "Why Hide feat. Diana Gordon" ist eine astreine Motown-Soul-Ballade. "True Blue feat. Angel Olsen" holt mit phlegmatischem Groove und einer Sängerin, die klingt, als würde sie das auf Valium ihrem Spiegelbild vorsingen, die coolen Kids in den schwarzen Shirts ab.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ronson kann auf !"Late Night Feelings" eigentlich alles, außer Kohärenz. Aber auch nur, weil er dazu wohl keine große Lust hatte. Dafür ist es ein Album mit langer Haltbarkeit, so viel sei prophezeit. Dafür sorgen die zeitlose Produktion, bei der keine Kosten und Mühen gescheut wurden, alles mit Hand und Herz einzuspielen. Man wird dazu noch in 20 Jahren allein zu Hause traurig sein können, um festzustellen, dass man lieber auf eine Party gehen sollte.
2 Kommentare
Gutes Teil.
Kann man gut hören.