laut.de-Kritik

Das freakigste Bandungetüm seit Tool.

Review von

Mastodon darf man als das freakigste Bandungetüm seit Tool bezeichnen. Zumindest, wenn man es aus der Mainstream-Perspektive betrachtet: Spätestens seit dem kometenhaft eingeschlagenen 2004er Bastard "Leviathan" ist das Quartett mit Vorliebe für Tattoos und 1970er Jahre Pornobärten in der ersten Liga der härteren Musik angelangt.

Doch wie erfindet sich eine Band neu, die für manche die Musikwelt in diesem Jahrtausend schon mehrfach revolutioniert hat? Was legt man nach dem irren "Blood Mountain" (2006) und dem spacigen Progbrocken "Crack The Skye" (2009) als nächstes in die Läden?

Das Ergebnis hört auf den Namen "The Hunter" und bricht gleich mit mehreren, von der Band treu gepflegten, Traditionen. Traditionsbruch eins: kein Konzeptalbum. Das handhabten die Amis zwar schon beim Debüt "Remission" (2002) so, aber dieses Urprodukt entstand noch Jahre vor dem großen Hype und dürfte von Die Hard-Lunatics abgesehen kaum bekannt sein.

Traditionsbruch zwei: Das erste Mal überhaupt verzichten Mastodon darauf, eines der vier Grundelemente einzuweben: Feuer, Erde, Wasser, Luft – heuer uninteressant. Traditionsbruch drei: Drummer Brann Dailor durfte mit der ruhigen Kifferballade "Creature Lives" erstmals einen ganzen Song komponieren und einsingen. Und Nummer vier: Das Artwork stammt erstmals nicht von Paul Romano, sondern von einem Holzschnitzer namens AJ Fosik.

Leider nicht verändert haben sich die negativen Vorkommnisse im Privatbereich. Wie schon zu Zeiten von "Crack The Skye" mussten Mastodon auch mit familiären Tragödien zurechtkommen. Der Albumtitel ist Brent Hinds' Bruder gewidmet, ein leidenschaftlicher Jäger, der im Dezember 2010 bei der Ausübung seines Hobbys an einem Herzinfarkt starb.

Ebenfalls unverändert sind, in diesem Fall glücklicherweise, Mastodons Ansichten, wie eine Platte zu klingen hat: Neu, völlig entfernt vom bisher Erschaffenen und möglichst unzugänglich, abgedreht und fordernd.

Besagte Unzugänglichkeit erscheint auf Album Nummer fünf aber längst nicht so offensichtlich. Hier spürt der Hörer, dass die Jungs scheinbar zwangloser und entspannter ans Werk gehen. Gleich 13 Songs haben Mastodon auf "The Hunter" gebrannt, kein einziger geht über die fünf Minuten Grenze hinaus. Bereits beim melancholisch eingängigen Opener "Black Tongue" kreiert die Band eine unkomplizierte Atmosphäre und stellt sich bewusst gegen die ausufernde Komplexität, die "Crack The Skye" zum Grenzfall zwischen Genie und Bockmist machte.

"Curl Of The Burl" tritt dann den endgültige Beweis an, dass sich die Truppe von Prog-Spielereien weitestgehend befreit hat und lieber dumpf- ähflüssigen Sludge mit 70er Jahre Rock-Attitüde zockt.

Richtig gelesen – Classic Rock kann mans zwar nicht nennen, aber so wie Opeth mit "The Heritage" springen auch Mastodon auf den derzeit angesagten Retrorock-Zug auf. Während Monsignore Åkerfeldt aber in psychedelische Gefilde abzudriften droht, impfen die Amis ihre Old School-Huldigung stets mit metallischen Versatzstücken.

Trotzdem dürfte der Mastodon-Hörer wieder einige Durchläufe und eine hohe Toleranzgrenze brauchen, um das Werk reifen zu lassen. Das dissonant feurige "Stargasm", die frickelige Rush- bzw. King Crimson-Verbeugung "Octopus Has No Friends" soeir der lupenreine 70s Rocker "Dry Bone Valley" sind die besten Beispiele, um die back to your Roots-Einstellung und Stilvielfalt zu erklären.

Dem gegenüber platziert das Quartett melancholische Mitsinggranaten wie "All The Heavy Lifting" oder schwermütige Sludge-Dreckbatzen wie das von Neurosis-Frontmann Scott Kelly unterstützte "Spectrelight". Mastodon legen Wert auf Details, auf exaktes Zusammenspiel und auf den kleinsten gemeinsamen Nenner in ihrem komplexen Rock-Kubus.

Sie machen Musik für Vinyl, weil eine schnöde CD oder MP3s niemals die bahnbrechende Qualität des vom 50 Cent-Produzenten Mike Elizondo erschaffenen Soundjuwels wiedergeben können.

Erstaunlich, wie sich diese Band immer wieder neu zu erfinden vermag, ohne an Kraft und Ideenreichtum einzubüßen. Gerade die jazzige Leichtigkeit, diese beruhigenden Psychedelic-Fragmente und der bedingungslose, über allem schwebende Rock-Vibe (man höre den göttlichen Closer "The Sparrow") lassen "The Hunter" zu einer weiteren akustischen Großtat gedeihen.

Der Terminus Metal kann höchstens noch zur Vermarktung eingesetzt werden: Mastodon kapseln sich endgültig von der Erde ab.

Trackliste

  1. 1. Black Tongue
  2. 2. Curl Of The Burl
  3. 3. Blasteroid
  4. 4. Stargasm
  5. 5. Octopus Has No Friends
  6. 6. All The Heavy Lifting
  7. 7. The Hunter
  8. 8. Dry Bone Valley
  9. 9. Thickening
  10. 10. Creature Lives
  11. 11. Spectrelight
  12. 12. Bedazzled Fingernails
  13. 13. The Sparrow

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29 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    immer diese vinyl-snobberei

    "besser" ist daran einfach garnix, im gegenteil

    romantischer oder subjektiv wohlklingender vielleicht..

  • Vor 12 Jahren

    vinyls werden oft anders gemastered als die cd versionen. siehe alice in chains letztes album. cd war absolut vom loudness war geschändet während die vinyl klasse klang. im theoretischen kontext klingt eine cd immer besser und eine vinyl kann nicht mithalten, aber das ist nicht die realität, speedy.

    du brauchst für den guten klang einer vinyl schon recht kostspieliges equipment, aber wie gesagt schlägt das mastering heutzutage die cd in vielen fällen, da dynamiken im sound nicht angepasst werden.
    warum so viele labels sich nicht mehr für ein gutes mastering der cds interessieren? schwer zu sagen, aber ein grund ist, dass cds in den letzten 5-10 jahren immer lauter geworden sind und die konkurrenz denkt dabei mitziehen zu müssen. durch das weg-cutten der dynamiken im sound kann man die grundlautstärke sehr viel lauter machen (metallicas death magnetic) ohne dass der käufer den lautstärkeregler anrühren muss.
    dabei entstehen jedoch auch clipping effect, sodass die cd einfach nur beschissen klingt (chili peppers californication).
    also, ich kann nichts zu diesem album sagen, da ich die vinyl nicht gehört habe, aber snobberei ist das nicht wenn du bedenkst, dass viele vinyl version entweder knapp unter dem preis der cd liegen oder höchstens 5 euro drüber. es gibt natürlich auch ausnahmen, wenn labels einen wirklich abzocken wollen mit der retro liebe, aber wenn man weiß wo man suchen muss, dann findet man eine LP immer zu einem preis unter oder weit unter 20 euro. vor allem bei vielen independent labels heutzutage. ;)

  • Vor 12 Jahren

    Weniger als 4/5 hätte man auf keine Fall geben dürfen ;)
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    Und so weit ich das mitbekommen hab ist Remission, das Album mit dem brennenden Pferd, dem Feuer gewidmet.

  • Vor 12 Jahren

    Unterschiede machen einen Vergleich ja erst interessant^^ und mir geht es um die Frage wie Mastodon noch besser werden könnten, trotzdem wöllte ich natürlich nicht unbedingt eine Entwicklung in Richtung Tool sehen.
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    Aber der Vergleich genau der beiden Bands kommt für mich Zustande, weil es in ihrer direkten musikalischen Umgebung kaum eine Band gibt und im weiteren Umfeld keine Konkurrenz haben, was (subjektive) Qualität angeht.
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    Baroness liegen ihnen stilistisch näher als Tool, aber zwischen Baroness und Mastodon liegen inzwischen auch schon Welten, was den Sound angeht, und zwischen den beiden Bands ist eine Entscheidung, was ich nun besser finde, noch schwieriger. Ich liebe das Red Album, aber The Hunter hat mich durch seine Dichte (in allen Belangen) extrem begeistert.

  • Vor 11 Jahren

    hmm, also Tool ist .. halt nochmal ne Ecke schwerer zu Fassen als Baroness oder Mastodon. Ansonsten bin ich der ähnlichen Ansicht wie Soulburn oder Valle. Geiles Ding und für mich neu Entdeckt.
    Starkes Stück. Aber ob sie Tool "besiegen" ... ich weiss nicht. Ich würde mich vor einem Vergleich scheuen. Tool ... klingt einfach anders. Versteht ihr wie ich meine?