laut.de-Kritik
Emotionen statt Emoticons: Als man Hits noch Gassenhauer nannte.
Review von Michael SchuhLiebte es Max Richard Leßmann plakativ, hieße seine neue Platte "Romantik". Das meine ich völlig ohne negativen Beiklang und soll schon gar nicht Sven Regener in eine plakative Ecke drängen, nur weil es eine Element-Of-Crime-Platte gleichen Titels gibt. "Romantik" würde auch hier sehr gut passen, ist es doch das Schlaglicht über diesen zwölf Songs und der neuen musikalischen Richtung des Vierkanttretlager-Sängers.
Ein bisschen plakativ wirkt es höchstens im Schatten des letztlich gewählten Titels: "Liebe In Zeiten Der Follower" ist präziser, verknüpft die hier verhandelten, scheinbar konträren Welten Liebe und Internet, Romantik und Smartphone-Daddeln und setzt sie humorvoll miteinander in Beziehung. Emotionen in Zeiten der Emoticons.
Natürlich ist Leßmann, Jahrgang 1992, ein Kind des Handy-Zeitalters, er ist aber auch nostalgischer Romantiker. Dies dürfte einige Beobachter verwundern, die mit seinem Namen eher die wütenden Alltagsbeschreibungen Vierkanttretlagers assoziieren. Auf seinen Solokonzerten verteilte er nun die "Romantische Allgemeine Zeitung", eine Art Prawda der Liebe, ein Pamphlet für die Empathie, wozu außer ihm selbst gleich noch einigen Freunden (Romano, Prinz Pi) ein paar Leitsätze für unsere technokratischen Zeiten eingefallen sind. Eine dieser Beobachtungen floss gleich in eine Refrainzeile ein: "Außer küssen muss man nichts" ("Küssen"). Kann denn Liebe Sünde sein? Leßmann sagt entschieden nein und umgarmt uns mit Swing und melodiösem Chanson-Pop, arrangiert wie Lieder aus einer Zeit, als Hits noch Gassenhauer genannt wurden."
Die Konjunktiv II-Hymne "Ich Wünschte" ist so einer, schnodderig stellt Leßmann darin fest: "Ein jeder Mensch hat heute eine lange Freundesliste / doch wär sie fort gäb es wenige die ich vermisste". Ein früher Album-Höhepunkt mit einem Hauch Comedian Harmonists und - was Vierkanttretlager nicht vergönnt war - ein Hit. Getreu dem Motto "Allein kann man nicht glücklich sein, denn glücklich wird man nur zu zwein" der Vokalgruppe aus den Goldenen Zwanzigern formuliert Leßmann überraschend unverschachtelte Loblieder auf die Liebe, die Zweisamkeit oder die Sehnsucht nach beiden.
Man könnte es durchaus Schlager nennen, solange man nicht an die falschen Interpreten des Genres denkt, jene meistens supererfolgreichen Künstler der Gegenwart. Doch schon Götz Alsmann stellte einst passend fest: "Schlager ist unser Wort für deutsch gesungenen Pop. Mich irritiert eher, dass der Begriff so vergangenheitsnegierend benutzt wird. Es wird oft vergessen, dass da eine mehr als hundertjährige Geschichte dahintersteckt."
Leßmann ist hier ausdrücklich ausgenommen. Fast schon wie der ehemalige "Zimmer Frei"-Moderator, der auf seinen Platten den Begriff des Jazz-Schlagers neu formulierte, textet der Husumer durchdacht, ideenreich und unironisch, verzichtet auf verschachtelte Metaphern und lässt immer mal wieder schöne Worte wie Helikopterterminal, Pfandleihhaus oder Salzwasserfreibad fallen. Wo im heutigen Wir-brechen-auf-lass-die-Leinen-los-die-Welt-ist-klein-und-wir-sind-groß-Deutschpop bekommt man so etwas noch geboten?
"Sie Trinkt, Sie Raucht, Sie Riecht Gut" markiert schon im Titel vermeintlich nicht vereinbare Themengebiete, an die sich aus Political Correctness-Gründen heute kaum noch Künstler heranwagen. An anderer Stelle lässt sich Leßmannn bereitwillig sein Herz "administrieren" ("Ich Wünschte"), verbrennt kurz darauf materielles Gut in einem Anflug hippieesker Liebessehnsucht ("Lavendelfeld"), oder rackert sich an den ganz normalen Leiden einer Fernbeziehung ab, die sich bei ihm in der Eifersucht äußert, dass die Herzdame ihren "Lippenstift" nur auf Fremdveranstaltungen aufträgt.
"Entgegen der landläufigen Meinung", weiß der Sänger in besagter Romantischen Allgemeinen noch zu berichten, "ist das Internet nicht für jeden Menschen geeignet, auch wenn es um einiges freier zugänglich ist als Alkohol und Nikotin". Dies hielt den Mann dankenswerterweise nicht davon ab, mit "Einen Im Tee" eine moderne Trinkerhymne zu schreiben, die nicht den Rausch der Sucht glorifiziert, sondern den Moment feiert. Diese kurzen Momente, wenn alles gerade perfekt passt, die Feier sich dem Siedepunkt nähert und man das Glas eigentlich besser jetzt als nachher wegstellen sollte: "Erst einen, dann zwei, vielleicht sogar drei, beim vierten denk ich schon oje, und sag dann doch beim fünften nicht nein, denn ich hab einen im Tee. Und wär ich nach sechs bei sieben geblieben / wären acht vielleicht noch okay, auch neun und zehn werden irgendwie gehen, denn ich hab einen im Tee." Darauf ein Likörchen.
Ausdrückliches Lob gebührt an dieser Stelle Leßmanns Partner Sebastian Madsen, der für die komplette Musik zuständig war und mit feinem Gefühl frische Arrangements zauberte, die an keiner Stelle den Verdacht einer ideenarmen Retroveranstaltung aufkommen lassen. Vielmehr lassen sich Heroen aufzählen, die man so mit Madsen spontan auch nicht assoziiert hätte: Orchester-Granden wie Burt Bacharach oder Chorlegenden wie die Beach Boys ("Küssen").
Die Swing-Nummer "Mann Im Stream" ist wohl die auffälligste Verbeugung vor den Comedian Harmonists und mit dem Abschiedsheuler "Am Hafen Brennt Noch Licht" greift sich Leßmann dann noch seinen ganz eigenen Udo Jürgens-Moment: Sehnsucht, Liebeskummer und waidwunde Melancholie verschmelzen hier zu großartigen drei Minuten, die an Udos 50 Jahre altes Melodram "Wenn die Nacht vergeht" erinnert. Die Zeit, dieses Album anzuhören, sollte man sich also dringend nehmen, und am besten nicht nur, wenn der Handy-Akku grade leer ist. Es muss ja auch nicht immer Netflix sein. Max Richard Leßmann hat seinen Account schon vor längerer Zeit gekündigt.
4 Kommentare
Wunderbares Album...aber liegt das nur an mir oder hört er sich stark nach nem jungen Campino an?
Sehr gutes Album. Musik auf deutsch die nicht peinlich ist, unfassbar.
Brilliant kitschfreie Texte, mal nachdenklich, mal witzig, mal romantisch. Musikalisch irgendwo zwischen Max Raabe, Charles Aznavour, Element of Crime und Götz Alsmann. Tolles Album mit jeder Menge Ohrwürmern.
Ganz nett, aber das Ganze erinnert mich doch mehr an Caro Emerald als an die anderen erwähnten Künstler. Und die kann besser singen und sieht besser aus!