laut.de-Kritik
Das Purste vom Puren, das es im Reggae je gab.
Review von Philipp KauseEin bissiger Song über korrupte Politiker, ein empathisches Lied über Armut und Obdachlosigkeit, ein Track über Umweltzerstörung, ein Stück über die Ausbeutung eines Drittwelt-Landwirts seitens der Großindustrie: Max Romeo dekliniert klassische Inhalte des sozialen Liedguts, die in Reggae, Folk und Worldbeat seit jeher als Kernthemen herhalten.
Traurig finden mag man, dass sich wenig geändert hat, seit Bob Dylan oder Bob Marley anfingen, sich musikalisch über Ungerechtigkeit auszulassen. Max Romeo, jamaikanischer Senior-Sänger mit weißem Bart, schnürt 50 Jahre nach seinem Debütalbum unermüdlich die unangenehmen Geschichten der Zivilisation in einem Bündel zusammen. "Words From The Brave" nennt er seine 27. Studioplatte, Worte des Tapferen.
Zwei der Songs, "Heaven" und "Thank God", packen schon im Titel die im Roots-Reggae naheliegendste Lösung aus: Gott muss eingreifen. Im Opener "The World Is On Fire" heißt es: "Divine invention is what we need." Es spricht für den weit um die Welt gereisten Romeo, dass er Gott "God" nennt und nicht "Jah", den Himmel "Heaven" und nicht verklausuliert "Guiding Light" oder "Guidance From Above", wie es die Reggae-Lyriker sonst gerne tun.
Max Romeo ergattert als einziger aus der Garde der Rasta-Prediger bis heute non-stop Bookings für die großen Bühnen. Dafür setzt er ein so simples wie exotisches Rezept um: Er wählt kompromisslos Songmaterial auf Reggae-Rhythmen, also 'One Drop' und 'Reggae Rockers', verzichtet auf Patois-Sprache und hält seine in den frühen 70ern wurzelnde Roots-Dub-Musik immun gegen jede erdenkliche Modernisierung.
Dafür sitzen die Saxophon-Phrasierungen. Romeo spielt mit seiner Stimme. Sie klingt hoch, wenn er sich gebetsartig an eine höhere Macht wendet. Sie senkt sich tief, wenn er umschreibt, wie es sich am unteren Rande der Gesellschaft anfühlt.
Anders als bei Protoje & Co. dringen keine Hip Hop-Einflüsse in seine Kompositionen ein, keine elektronischen Spielereien lässt er zu, und Dancehall findet in seinem Kosmos nicht statt. Es gibt keine Zitate aus Rock oder Soul, Latin- oder Afro-Musik tangiert Max Romeo auf seinen Platten ebenfalls nicht. Streng zieht er das Pureste vom Puren durch, das es im Reggae je gab.
Charmant setzt er dafür die Bläserakzente und Keyboard-Verzierungen ein, die aus seinen Songs viel mehr machen als nur Texte auf Beats. Stringent und schön arrangiert, laufen diese zehn Arrangements durch, als habe man in Jamaika auf einmal Geld für gute Produktionen. Doch, es überrascht, wie klar und quadrophon der Sound schwingt.
Derweil führen die Lyrics an den Rand der Gesellschaft: "Have You Ever Hit Rock Bottom", fragt Romeo, "warst du schon einmal ganz unten? Hast du schon einmal auf dem Gehsteig gelebt und hast dich vor jedem gefürchtet, den du getroffen hast?" Romeo kennt das Spiel: Man braucht keine neuen Themen, keine neuen Ideen. Roots-Reggae im Ausland, das bedeutet aus jamaikanischer Sicht: "Preaching to the converted", für die Bekehrten zu predigen.
Andere verschwanden während dieser Tätigkeit über die Jahre: An IQulah Rastafari mit dem großen "Q", der einst die Blaupause für Snows Welthit "Informer" vorlegte und heute ein Museum betreibt, erinnern sich nur Nostalgiker, wenn sie alt genug sind. Ras Pacey oder Colin 'Ska' Johnson blieben Geheimtipps, Israel Vibration, Culture oder The Congos tauchen nur noch am Rande auf. Cedric Myton, Winston McAnuff und Kiddus I schlossen sich mit anderen Legenden zum Kollektiv Inna De Yard zusammen, brachten zwei nostalgische Alben und einen aktuell im Kino laufenden Film heraus. Ihre Longplayer haben eher Sampler-Charakter, Romeo setzt dagegen auf eine "runde" Sache.
Er updatet sich selbst, indem er seine talentierte Tochter Xana mit auf Tour nimmt oder auf der CD das Duett "Penguin" mit seinem 1999 geborenen Sohn Azizzi Romeo singt. Schön ausgefeilt, lässt der Pinguin-Song über die feinen Leute mit Anzugpflicht viele Takte lang Raum, um die Message nachwirken zu lassen. Das instrumentale Outro zeugt wie die gesungenen Parts der ganzen Scheibe von Liebe zum Detail. Azanette, ein weiterer Sprössling der Romeo-Familie, singt Background bei ihrem Papa.
Speziell Xana, die 1994 zur Welt kam, verknüpfte sich thematisch in verblüffend exakter Weise mit dem Gedankengut des Vaters, als sie 2016 in ihrem Klagelied "Mercy Please" die neue Gesetzgebung zum Cannabisanbau auf Jamaika kommentierte. Das Gesetz legalisiert zwar den Anbau des für viele Rastas heiligen Krautes, spielt aber strukturell eher den Zwischenhändlern und Großfarmen in die Hände als den "kleinen" Subsistenzbauern. Genau dieser noch immer wichtigen Gruppe der jamaikanischen Gesellschaft widmet auch Papa Max Romeo nun seine aktuelle Single "The Farmer's Story": "Oh Farmer, get up every day to work his life away / oh Farmer, so much work with this little pay / oh Farmer, he must be rewarded one of these days / I say."
Nach zwei bewegenden Strophen wimmert die E-Gitarre und rezitiert ein altes Motiv, das des Blues, der Musik der Sklaven, ihre Verschleppung aus Afrika. Max weiß, wovon er mit 71 textet. Er stand mit 14 auf einer Zuckerrohrplantage und verbrachte dort in sengender Sonne seine Teenager-Jahre, bis ein Casting ihn erlöste und er Sänger wurde.
Es fällt auch an dieser Stelle auf, dass dieser Mann markerschütternd gut singt und dass er Worten unmittelbar und nachhaltig Ausdruck verleiht. Gleichwohl diese Platte nichts 'Besonderes' darstellt und das Genre, anders als fast alle Rasta-Artists es momentan versuchen, eben nicht neu zu erfinden trachtet, präsentiert sie sich als eine der besten Roots-Platten seit Langem, um nicht zu sagen, die beste seit "Havana Meets Kingston".
Wer trotzdem wissen möchte, wie sich Max Romeo in modernisiertem Umfeld anhört, entdecke auf Soundcloud "The Progeny Mixtape" von Sohn Azizzi, das den weisen Papa featuret.
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