5. Oktober 2022

"Ich habe diese Phase heil überstanden"

Interview geführt von

Seit Jahrzehnten ist Megaloh eine feste Größe im deutschen Rap. Trotzdem war der Weg nicht immer leicht: Mit "Drei Kreuze" schließt der Berliner ein Kapitel ab – und schlägt ein neues auf. Zwischen Knochenjob, Musikkarriere und Vaterschaft.

Wenige Rapper nehmen einen so besonderen Status ein wie Megaloh. Über 20 Jahren im immerwährenden Rodeo des Rap-Game unterwegs, hat er eine Menge erlebt: Day-Job-Resignation, harte Zeiten, großer Erfolg, persönliche Weiterentwicklung. Doch ist ein Ende der Action in Sicht? Es gibt viel zu bereden: Ein Gespräch über Knochenbrüche, musikalische Einflüsse, Netflix-Serien, Bullen-Budget, Zukunftspläne, Produktionstechniken, Plattenverträge – und die Sesamstraße.

Wie geht's dir?

Mir geht's so ganz gut – letzter Termin heute, danach hab' ich Feierabend, also geht's mir blendend. (lacht)

Jo! Nach diesem Fahrradunfall letztens mit den zwei gebrochenen Armen, da wollte ich ein bisschen was nachlesen, hab aber eigentlich nicht viel gefunden – ist das gut verheilt? Was ist da genau passiert?

Ja, ich hatte einen Fahrradunfall: Vorderrad hat blockiert, bzw. hat sich so ein Spanngurt vom Gepäckträger höchstwahrscheinlich gelöst und ist in die Speichen gekommen – ich hab's nicht gesehen, ich hab' nur plötzlich gemerkt, wie das Rad komplett blockiert war. Ich war grade ein bisschen schneller unterwegs, wollte eine andere Fahrradfahrerin auf dem Fahrradweg überholen und plötzlich bin ich übers Lenkrad hinweggesegelt und auf meinen beiden Armen gelandet. Es gab auch keine Möglichkeit abzurollen, weil ich einen fetten Rucksack aufhatte und ja – meine Arme haben das Gewicht nicht halten können. Jeweils die Speiche ist gebrochen, also quasi an jedem Arm so kurz vorm Ellbogen, ein sauberer Bruch an dem schwächsten Knochen dort. Ich musste aber zum Glück nicht operativ behandelt werden, sondern das konnte komplett mit Schienen ruhiggestellt werden und so auch verheilen. Also: Ich kann das noch nicht voll belasten, aber die Mobilität ist wieder voll da, eigentlich. Noch mal Glück gehabt.

Hat dir ein Arzt nicht davon abgeraten, mit den beiden Schienen aufzutreten? Das sah schon ziemlich heftig aus.

Nee. Also die haben mir schon gesagt, ich soll aufpassen, aber das Schlimmste, was ich hätte machen können, wäre gewesen, mich aufzustützen. Die Schienen haben letztendlich auch dazu beigetragen, dass das ganze ruhiggestellt ist und dass ich überhaupt gar nicht in die Position komme, mich aufzustützen. Von daher war das eigentlich okay. Das Schwierige war eher die Logistik: Wie komme ich dahin und wieder weg, weil normalerweise wäre ich im Tourbus gefahren, in die Koje habe ich aber nicht reingepasst. Aufgrund der beiden Schienen konnte ich da nicht mitfahren und im Tourbus schlafen. Also bin ich mit dem Auto hinterhergefahren und hab dann im Hotel geschlafen und – es hat sich alles lösen lassen.

Krass. Themawechsel: Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie sehr nervt es dich, wenn Leute Megaloh falsch aussprechen?

(lacht) Gute Frage. Ach, ich glaube, ich habe mittlerweile meinen Frieden damit gefunden. Früher war es schon bei einer 8, 7, ja 8, würde ich mal sagen. Jetzt bin ich eher so zwischen 2 und 3, aber auch nur, weil ich meinen Frieden damit gefunden habe. Es ist immer noch irgendwie nicht cool, aber mittlerweile mache ich mir auch gar nicht mehr die Mühe, da jemanden zu korrigieren oder so. Es ist halt, was es ist.

OK, also man gewöhnt sich an alles?

Ja, so ein bisschen. Und ich kann's auch verstehen: Ich meine, wir sind ja hier nicht in den USA. Ich verstehe schon, warum man das "E" wie ein "E" aussprechen will und nicht "Ä". Ich bin selber schuld, wenn ich mir so einen Namen aussuche.

Ja. (beide lachen)

"Drei Kreuze" – Wie kam es zu dem Titel?

Von allen Albumtiteln kam der mir am schnellsten, so ein bisschen aus der Situation heraus. Letztes Vertragsalbum bei Universal, in einem langjährigen Konstrukt, in dem ich nun stecke und auch so erfolgreich war, wie noch nie in meinem Leben zuvor. Hat natürlich auch immer alles Schattenseiten gehabt. "Drei Kreuze" im Sinne von: Ich habe diese Phase heil überstanden.

Mit der Phase meine ich die Musikindustrie und alles, was da so dazugehört an Vertrauensverlusten und Psychosen, die man da möglicherweise als Künstler bekommen kann. Da hab ich doch noch Glück gehabt. Auch wenn ich bei Unterschrift meines Vertrags wie ein Unwissender auch mit drei Kreuzen unterschrieben habe, also sinnbildlich gesprochen – drei Kreuze, damit haben die Leute früher unterschrieben, wenn sie nicht schreiben konnten und nicht wussten, was sie unterschreiben. Rückblickend betrachtet kann ich auch sagen: Ich war mir der ganzen Auswirkung meiner Unterschrift damals auch nicht bewusst.

Dieses Album ist ja klanglich ganz schön divers. Kannst du mir ein bisschen von der Arbeit an dem Album erzählen, welche Sounds, Stile, Künstler dich da am meisten beeinflusst haben?

Ich hatte, als ich das Album angefangen habe, nur sehr wenig Zeit: Ich wusste, dass ich das Album - wenn ich es so rausbringen möchte, wie von mir selbst gewollt – das heißt Tortur - habe ich eigentlich nur drei, vier Monate, um dieses Album zu machen. Bis jetzt habe ich eigentlich immer fast drei Jahre gebraucht, um ein Album zu machen. Das heißt, ich war von Anfang an mit dem Rücken zur Wand und es musste alles sehr schnell gehen, aber ohne Qualitätseinbußen. Es war quasi wie eine ganz, ganz lange Abiturklausur, kann man sagen: Einfach wirklich zielgerichtet auf einen Punkt gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet, bis es dann irgendwann fertig war.

Was mir während der Zeit sehr geholfen und mich auch inspiriert hat, war zum Einen die Kanye-West-Dokumentation auf Netflix, da gibt's so eine dreiteilige Doku. Gerade die ersten beiden Folgen zeigen viel aus seinem Schaffensprozess im Studio und dass er es letztendlich in Phasen, wo keiner an ihn geglaubt hat oder auch wenige Leute ihn unterstützt haben, weiter gepusht hat und einfach in voller Überzeugung für seine Sache gegangen ist. Das hat mich extrem inspiriert in der Arbeit für das Album, weil ich mir auch gesagt habe: Am Ende des Tages muss ich das alles wissen und können und machen und letztendlich die Vorgabe geben. Da wird jetzt keiner kommen und mir unter die Arme greifen. Und so habe ich das Ganze dann auch gestartet, in dem ich auch selbst produziert hab – ich habe jetzt das halbe Album selbst produziert und dadurch soundtechnisch auch schön gucken können, in welche Richtung ich gehen möchte.

Du nimmst mir ein bisschen meine Fragen vorweg.

Sorry. (beide lachen)

Alles gut! Es ist super, dass du Kanye West angesprochen hast, ich wollte nämlich sowieso mit dir über ein Paar Songs sprechen. Weißt du, an welches Lied mich dein Eröffnungstrack "Letztes Abendmahl" ein bisschen erinnert hat?

Lass mich hören!

"Ich war mir der ganzen Auswirkung meiner Unterschrift damals nicht bewusst"

An "Cops Shot The Kid" von Nas und Kanye, wo ja neben dem Sample von Slick Rick am Anfang auch ein Sample aus einem Programm von Richard Pryor drin ist.

Ach ja!

... und da hatte mich diese Nummer mit Bernie Mac so ein bisschen dran erinnert. Deswegen wollte ich sowieso ein bisschen mit dir über Kanye West sprechen und ob das eine große Inspiration für dich war.

Also tatsächlich – zu dem Intro-Track, also "Letztes Abendmahl" – kann ich sagen, der Song, den du jetzt erwähnt hast, war keine Inspiration, ich habe den auch nicht auf dem Schirm. Das mit Bernie Mac ist aus einer eigenen Idee entstanden. Aber der Song, der mich tatsächlich dafür beeinflusst hat, ist trotzdem Kanye West und Pusha T, nämlich "Diet Coke"! Das war der Song, an dem ich mich ein bisschen orientiere: Sehr beatlastig, sehr wenig an Instrumenten, sondern vor allem der Beat und das Sample.

"Yesterday's price is NOT today's price!" Ja, sehr gut. Was hörst du ansonsten momentan so?

Es gibt gerade gar nichts, was ich so richtig viel höre. Zu dem Zeitpunkt, als ich das Album gemacht habe, habe ich noch viel New York Drill gehört, das habe ich so die letzten zwei Jahre eigentlich am meisten gehört – Fivio Foreign und Sheff G und so Leute eben, Ron Suno. Ansonsten natürlich auch das Pusha-T-Album. Kanye West ist grundsätzlich eigentlich immer jemand, menschlich ist es nochmal eine andere Nummer, aber als Künstler finde ich ihn super inspirierend, superspannend, wie er immer über seine Grenzen hinausgeht und neue Sachen für sich findet. Ansonsten, lass mich kurz überlegen: Es war tatsächlich so, dass ich auch viel Serien geguckt hab, zum Beispiel "Top Boy", und mich auch da manchmal der Soundtrack oder die Musik, die da lief, inspiriert hat. Aber da ist jetzt nicht irgendein bestimmter Song oder so gewesen. Ich glaube, von Roots Manuva war irgendwas dabei.

Und natürlich nicht zu vergessen: Mobb Deep. Als ich mir gesagt habe, ich will so ein bisschen in die Boom-Bap-Richtung gehen, habe ich wirklich eine bewusste Entscheidung getroffen, was für eine Art Boom Bap das sein soll und beim Heranwachsen habe ich den Sound von Mobb Deep extrem gefeiert, gerade das zweite und dritte Album, "The Infamous" und "Hell on Earth" – und da habe ich mich auf jeden Fall auch sehr stark inspirieren lassen.

Über Mobb Deep müssen wir auf jeden Fall noch reden, da muss ich ein Fass aufmachen.

Ok!

Weil du jetzt gerade "Top Boy" angesprochen hast: Da hat sich ja bei der Neuauflage Drake produktionstechnisch so ein bisschen eingemischt, bzw. das überhaupt möglich gemacht.

Er hat die Serie gerettet!

Meinst du, dass er da musikalisch auch großen Einfluss nimmt?

Das könnte ich jetzt gar nicht beantworten, ich habe mich damit nicht auseinandergesetzt, wer dahintersteckt. Ich glaube nicht, dass Drake das selber macht, aber ich könnte mir schon vorstellen, dass er vielleicht Einfluss darauf hatte, welches Team letztendlich mit den ganzen Aufgaben befasst ist. Ich glaube nicht, dass er das selber auswählt, aber da sind auf jeden Fall sehr musikalische Leute dahinter und ich finde es immer alles sehr geschmackvoll ausgewählt.

Ein Song, über den ich mit dir auf jeden Fall sprechen muss, als Riesen-Mobb-Deep-Fan myself ...

Oh yeah!

"Moral Vs. Realität" – was ja auch ein bisschen eine Hommage an "Survival of the Fittest" zu sein scheint.

Ganz klar!

Das Klavier ist kein Sample, oder?

Nee, genau.

Nee, das hätte ich nämlich gehört. Aber das obligatorische "Worst comes to worst"-Rap-Sample ist natürlich drin. Wie kam es dazu, dass du so ein Mobb-Deep-beeinflusstes Lied machen wolltest?

Ich wusste, meine Hörer wollen von mir auch den Boom Bap haben, von dem ich mich immer versuche, so weit wie möglich weg zu entfernen. (lacht) Ich spiele immer so ein bisschen damit, dass Leute das gerne von mir hören wollen, ich aber eigentlich am Zeitgeist interessiert bin und an den neuen Entwicklungen im Rap. Das heißt: eigentlich nicht Boom Bap. Aber für dieses Album – da es ja auch mein letztes ist in der Konstellation – wollte ich einfach auch nochmal was Gutes zurückgeben und bin dann eben auf die Suche nach dem Boom Bap gegangen, den ich halt gut finde, jetzt als Schaffender. Und da bin ich dann einfach in meiner eigenen Jugend gelandet und bei den Sachen, die ich gehört habe und Mobb Deep war da ganz vorne mit dabei.

Das ist einfach sehr minimalistisch von den Instrumenten, es ist ein düsterer, kalter, harter Sound, auch schneller, also die Beats sind schon sehr up-tempo. Es gibt ganz bestimmte Merkmale, zum Beispiel hat die Snare von Havoc immer sehr viel Hall drauf und die Bassline macht eigentlich immer sehr wenig. Genau, und "Moral Vs. Realität" ist wirklich eine ganz klare Anlehnung und deshalb auch natürlich das Sample, einfach um zu zeigen: Ich habe mich hier ganz bewusst so sehr an "Survival of the Fittest" orientiert, weil es halt auch thematisch einfach super passt.

Bei "Moral Vs. Realität" geht es ja eigentlich um das gleiche – es geht um Überlebenskampf. "Survival of the fittest" ist nichts anderes. Das Klavier, was ich dann gespielt habe, ist sehr, sehr nah an dem Original-Sample dran, es ist aber nicht das gleiche. Ich habe es auch nochmal vorher mit einem Pianisten abgecheckt. Natürlich muss man dann auch sagen: Dadurch dass es kein Sample ist, hat es auch nicht die haargenau gleiche Ästhetik, die ich natürlich bei Mobb Deep extrem feiere. Aber es war nicht mein Anspruch, jetzt den Beat eins zu eins zu kopieren. Wir besinnen uns quasi dessen, was früher gut war.

Ja, das hatte ich mich nämlich gefragt, ob du einfach einen Klavierton isoliert und quasi neu arrangiert hast – aber der hat so einen charakteristischen Ton auf dem Originallied, dass ich dachte, das müsste man eigentlich raushören.

Absolut, neenee. Also ich habe kein Sample genommen, das ist alles eingespielt.

Wo du jetzt gerade gesagt hast, du bleibst lieber beim Zeitgeist, statt Boom Bap zu machen, was ja eher ein älterer Stil ist – würdest du sagen, dass Boom Bap heute wieder im Trend ist?

Also es gibt definitiv eine Entwicklung. Mit Griselda würde ich sagen, das sind die prominentesten: Westside Gunn, Benny The Butcher, Conway, dass seit ein paar Jahren auf jeden Fall ein Subgenre im Hip Hop da ist, was wieder Bock auf diesen Boom Bap hat. Und ich glaube, gerade in meiner Hörerschaft gibt es sehr viele, die da Bock drauf haben. Ob es richtig im Trend ist – so weit würde ich jetzt glaube ich nicht gehen, aber ich habe zumindest für mich auch wieder den Spaß und die Liebe dazu entdeckt, jetzt gerade in der Suche danach. Ich bin halt mit dem 90s-Hip-Hop aufgewachsen und da gibt es einfach so viele Schätze. Und es ist zum Teil auch schade, dass diese Art nicht mehr so prominent stattfindet. Ich habe auf jeden Fall dadurch wieder Bock bekommen, zukünftig mehr Boom Bap zu machen.

Die Vocal-Features, die auf dem Album drauf sind: Monsoun, Cassandra Steen, Garey Godson und Sebastian Krumbiegel – wir müssen über Sebastian Krumbiegel sprechen.

Ja! Also, da ist kein einziger Rapper drauf, ne? Das sind wirklich nur Gesangsfeatures für den Refrain. Es ist halt die letzte Platte, das Statement, noch einmal alles selber zu sagen und das sind einfach alles tolle Menschen, tolle Sänger, Sängerinnen, die mich dort auf der Platte begleiten. Also Monsoun kenne ich einfach schon länger und wusste, was ich da bekomme. Mit Cassandra Steen hatte ich noch nie zusammengearbeitet, ist aber für mich auch einfach eine Legende, genauso wie Sebastian Krumbiegel: Ich habe als Kind die Prinzen gehört. Das ist auch mein Verständnis von Hip Hop, dass man das Kulturgut des Landes, in dem man sich befindet, sampelt und irgendwie nutzt und es war für mich ziemlich klar, dass ich mich an die Prinzen ranwagen muss. Schön, dass Sebastian ins Studio gekommen ist und wirklich alles nochmal eingesungen hat, auch damit es auf der rechtlichen Seite cool ist. Und dadurch steht da halt auch "featuring Sebastian Krumbiegel" und es ist nicht einfach nur ein Sample. Richtig cooler Typ und bin ich sehr froh, dass das geklappt hat – das war ein bisschen wie ein Kindheitstraum.

Ja, ich wollte gerade sagen: Es ist ja nicht mal gesampelt, sondern du hast wirklich Sebastian Krumbiegel das neu einsingen lassen, das ist Wahnsinn.

Ja, ich habe es erstmal gesampelt und es lag alles da und er ist dann im Studio vorbeigekommen und hat quasi das Original, weiß gar nicht, hat er das Original oder auf den Beat, ich muss grade ganz kurz überlegen. Er hat es im Original, so wie das Original ist, nochmal alles eingesungen. Dann habe ich es mir nochmal so zurechtgeschnitten. Ja, super. Und er hat glaube ich noch ein paar zusätzliche Stimmen gemacht. Ein absoluter Vollprofi. Und ich habe schon viele Sänger im Studio gesehen. Ich meine, da sind so viele Chöre drin und der kam einfach mit einer Selbstsicherheit und Überzeugung und wusste genau was zu tun ist.

Dein Sohn, dem du das Lied "Licht" gewidmet hast, der dürfte jetzt fünf oder sechs Jahre alt sein, ist das richtig?

Fünf, ja.

Und, wie entwickelt sich da das Elternleben so?

Ja, es gibt gute und nicht so gute Sei ... Also, es ist halt teilweise anstrengend, aber es ist das schönste Geschenk am Ende des Tages, was ich je bekommen durfte, ihn einfach aufwachsen zu sehen und mehr zu einem eigenständigen Menschen zu werden, mit eigenen Gedanken, Vorstellungen und Ausdrucksformen, das ist einfach ein großes Wunder. Er überrascht mich und fasziniert mich eigentlich täglich. Ich bin superfroh, das miterleben zu dürfen.

Was sind da grad so die großen Fragen? Da ist Einschulung und so wahrscheinlich auch irgendwann relevant.

Genau, Einschulung droht nächstes Jahr. Ich sage das extra, weil er da aktuell noch gar keinen Bock drauf hat und sagt, Schule ist blöd, er will lieber mit seinen Freunden spielen und so. Ich versuche ihm das natürlich trotzdem schmackhaft zu machen und ihm den Eindruck zu geben, dass es hoffentlich nicht nur anstrengend sein wird, sondern dass er da ganz vieles bekommt. Ansonsten sind Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen, Umgang mit Freunden oder Eifersucht ein Thema. Teilen, auch an andere denken und so. Ich weiß, das ist irgendwas, was auch in der menschlichen Entwicklung erst ein bisschen später kommt, aber er ist schon sehr weit für sein Alter, würde ich sagen, und ich liebe es einfach generell, egal was es ist – manchmal blödeln wir auch einfach nur herum – egal was es ist, womit er mich konfrontiert, es ist einfach etwas Besonderes für mich.

Führst du ihn inzwischen auch schon an Musik heran?

Ja, eher weniger. Ich will da auch niemanden in die Richtung drücken. Ich möchte ehrlich gesagt gar nicht, dass er in meine Fußstapfen tritt, weil es so ein unsicheres Leben ist, und das muss man halt wirklich wollen, da sollte niemand hin geprügelt werden. Wir beide haben schon einen Musikgeschmack, der sich überschneidet, auch der New York Drill, der Algorithmus bei Spotify und so UK-Sachen, da war er plötzlich am Start und hat jetzt irgendwie Tion Wayne für sich entdeckt, aber ansonsten wird natürlich auch ganz viel Kindermusik und Kinderhörspiele gehört, also mehr als mir lieb ist teilweise. Die Rescue Bots sind momentan sehr angesagt.

Kinderlieder, gab's bei "Fragen" auch einen Einfluss dieser Kinderlieder?

Also, der einzige Einfluss, das würd ich sagen, ist, dass ich in der Art und Weise, wie ich "Fragen" geschrieben habe, auch die Kinder mit im Kopf hatte und dachte: OK, wie kriegt man das jetzt so formuliert, dass es wirklich für jung und alt verständlich ist, also so, dass mein Sohn die Sachen auch verstehen kann. Das Sesamstraßen-Sample hat mich beim Heranwachsen natürlich auch geprägt, mittlerweile ist das ein bisschen anders. Die Sesamstraßen-Musik, ich habe sie letztens mal kurz gesehen mit meinem Sohn, ist jetzt irgendwie komplett anders, aber damals war es schon ein Klassiker, auch in der Kindererziehung: Die Sesamstraße hat geholfen, die Kinder mit zu erziehen und ihnen Werte und gewisse Inhalte zu vermitteln und das war so ein bisschen die Herangehensweise für den Song. Ich habe versucht, irgendwie zu vermitteln, dass es wichtig ist, Fragen zu stellen und dass nur wer Fragen stellt auch Antworten bekommt.

Eine Sache, die ich dich noch fragen wollte: Im Video zu "Oben" hat ja Kida Ramadan mitgespielt, eins der großen deutschen Schauspieltalente, wie war die Arbeit mit ihm so?

Super! Kida ist auch ein absoluter Vollprofi, der ist gekommen, hat das Ding da runtergerissen und ist danach wieder gegangen. (lacht) Kein großes Aufheben. Wir hatten uns vorher mal kennengelernt bei einem Dreh für eine Serie, die er produzieren wollte, so eine Art Hip-Hop-Serie. Da haben wir einen ersten Trailer gemacht, aber aus der Serie ist nichts geworden. Dadurch war schonmal der Kontakt da – und als dann die Video-Idee stand und wir überlegt haben, wer den Kommissar spielen könnte, war eigentlich ziemlich klar, dass ich da den Anruf machen muss. Ich bin superfroh, dass Kida Bock darauf hatte und so, das ist natürlich ein absolutes Blessing. Und dann noch zusätzlich Eugene Boateng im gleichen Video zu haben, der ja auch gerade mit dem Film "Borga" quasi über Nacht zum deutschen Star wurde, beide in einem Video, also zu krass. Blockbuster einfach.

Wolltest du gerade zu "Oben" so ein cineastisches Video haben?

Es war auch ein bisschen die Idee des Videoregisseurs, aber ich fand die Idee gut. Die Melodie vom Song hat ihm das so ein bisschen vorgegeben, das hat ja so leichte Verfolgungsjagd-Vibes. Also, das war tatsächlich ein Video, bei dem er den Vorschlag eingebracht hat. Aber man kann auch mit kritischem Blick draufschauen. Da ist ein Undercover-Polizist, der ins Hotelzimmer kommt und versucht, mich zu schnappen und ich fliehe dann und dass da halt nur ein Undercover-Bulle geschickt wird ist natürlich ... (lacht) ja gut, aber man konnte nicht alles haben. Es war auch ein echt sportlicher Drehtag, eineinhalb Drehtage.

Ich glaube, Actionfilme sind ja jetzt auch nicht dafür da, besonders realistisch zu sein, also sollte man da ein bisschen mit anderen Maßstäben rangehen.

Ja, aber zwei, drei Bullen mehr wären schon cool gewesen. Ich bin aber sehr zufrieden, dass es so geklappt hat und dass alle mitgemacht haben und wir einfach so einen kleinen Film hingekriegt haben.

Nächstes Mal bei Universal einfach ein bisschen mehr Budget rausboxen und dann sind auch ein paar mehr Bullen für das Video drin.

(lacht) Es gibt kein nächstes Mal mehr bei Universal, das ist ja das letzte Album. Das wars. Danach wird das aus eigener Tasche finanziert, wenn überhaupt. Das heißt, es gibt dann überhaupt keine Bullen mehr im Video.(lacht)

Das ist eigentlich ein ganz guter Übergang! "Regenmacher", einer meiner absoluten Lieblingstracks von dir, begann ja damals mit der Line "Sie fragen mich, kann ich inzwischen von der Mucke leben – könnt mir noch immer um vier Uhr morgens im Bus begegnen": Wie sieht's inzwischen aus mit dem Erwerb deines Lebensunterhalts, zahlt die Musik da inzwischen besser?

Also: Wir können festhalten, dass ich nicht mehr meinen zusätzlichen Job habe – da im Lager, vier Uhr morgens aufstehen, das ist nicht mehr angesagt. Ich finanziere aktuell mit den Einnahmen aus meiner Musikerkarriere mich und meine Familie, aber es ist jetzt nicht so, dass ich entspannt bin und sagen kann: Ohh, läuft. Corona hat 95% meiner Einnahmen wegen fehlender Live-Auftritte auf dem Gewissen. Das hat ein Riesenloch aufgerissen. Und da ich jetzt bei der Beendigung meines Vertrags bin, muss ich erstmal sehen, in welcher Konstellation und wie es überhaupt weiter geht. Also es kann sein, dass ich nochmal zurück ins Lager gehe. Ich hoffe es nicht, aber ich meine, wenn's das erfordert – Familie ernähren ist auf jeden Fall oberste Pflicht.

"Ich würde gerne Projekte machen, die nicht ein Album sind"

"Loser" war glaube ich das erste Lied, das ich von dir gehört habe, im Bus auf dem Weg zur Schule. Wäre es für dich schlimm, dahin nochmal zurückzugehen, in diese Art des Broterwerbs, nachdem es so knapp an der Kante steht mit Musik?

Also es wäre schon nicht geil, muss ich ganz klar sagen. Es würde sich für mich so ein bisschen wie eine Niederlage anfühlen, ich bin ja mit dem Ziel da weg, nicht mehr hinzumüssen und mal davon abgesehen, wie das jetzt rein mental und psychologisch für mich wäre, ist es einfach körperlich eine wirklich extrem anstrengende Tätigkeit gewesen. Und das ist ja zehn Jahre her, als ich damit angefangen habe, heute bin ich in einer anderen körperlichen Verfassung. Ich würde meinem Rücken das nicht unbedingt gerne antun wollen. Ich habe sogar einen Bandscheibenvorfall davongetragen.

Auf "Loser" hieß es ja schon: "Rücken ist kaputt und die Luft kalt" und das ist ja jetzt wahrscheinlich nicht besser.

Ich habe keinen Bock darauf, wieder dahin zurückzugehen. Auf gar keinen Fall.

Ja, verständlich. Sind denn schon zukünftige Projekte in Planung, musikalisch?

Nichts worüber ich jetzt reden kann. Für mich ist dieses Album jetzt wie ein Abschluss. Ich kanns mir zwar von der wirtschaftlichen Lage her nicht leisten, aber ich würde gerne im Kopf wieder die Freiheit haben, mich an die Musik ranzutasten, als ob's einfach nur Spaß wäre. Ich glaube, das brauch ich auch fürs Texten unbedingt, weil es über die Jahre einfach zum Erwerb geworden ist und dadurch ist einfach ein ganz anderer Druck da. Es ist sozusagen eine Notwendigkeit, eine gewisse Hürde immer zu erreichen.

Ich würde gerne Projekte abseits eines Albums machen. Also nicht wieder musikalisch bunt und 'n langsamen, 'n schnellen Track, 'n Doubletime, einen Storytelling, also irgendwie so ein bisschen diese Bucket-List eines Albums, wo man gefühlt alle Faktoren erfüllen muss, sondern vielleicht einfach ein bisschen zielgerichteter. In eine Richtung pro Projekt, wenn das für dich Sinn macht.

Ja klar! Hast du denn vor, mit Künstlern, mit denen du in der Vergangenheit Musik gemacht hast, Trettmann zum Beispiel, in Zukunft nochmal Projekte zu machen?

Ich bin auf jeden Fall nicht abgeneigt. Es gibt einige gute Künstler um mich rum, mit denen ich gerne arbeiten würde, auch als Produzent dieser Arbeit, wird ja immer wichtiger und macht auch einfach immer mehr Spaß. Und das ist ja dann losgelöst von meinem eigenen Dasein als Texter. Ich kann mir natürlich auch vorstellen, für andere Leute zu Texten. Aber worauf ich jetzt richtig Lust hätte, wäre ehrlich gesagt die Produzentenseite.

Du produzierst ja auch selber seit ein paar Jahren. Ist das für dich mehr eine kreative Verwirklichung oder eine berufliche Weiterbildung, wenn du jetzt sagst, dass du gern für andere produzieren würdest?

Wahrscheinlich beides, ne? Also zuerst einmal ist es eine kreative Selbstverwirklichung. Ich hätte nicht gedacht, dass mir das so einen krassen Spaß machen würde und dass das letztendlich immer etwas war, was mich halt irgendwie angezeckt hat. Nur: Ich hatte damals nicht die Mittel und auch nicht die Vision, das zu erkennen.

Es war schon immer irgendwas an der Musik, es waren nicht nur die Rapper, auch die Sampels, die Drum-Sounds, die Basslines - es gibt so viel, wo ich jetzt irgendwie Lust hätte, mich reinzunerden und was ich halt jetzt auch mache. Gleichzeitig wachse ich dadurch natürlich auch als Künstler – der Horizont wird ein anderer, man kann einfach auch in der Arbeit mit Produzenten viel genauer Sachen sagen und ich finde immer mehr heraus, was die Art von Musik ist, die ich in einer bestimmten Lebensphase machen will. Ich bin direkter dran an dem, was ich eigentlich machen will, als wenn ich nur texten würde.

Jo, mit Blick auf die Zeit, ich glaube es war ursprünglich eine halbe Stunde angesetzt oder so, jetzt hat sich das ja ein bisschen verschoben. Ich guck die ganze Zeit schon so ein bisschen auf die Uhr, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast.

Danke für das Gespräch!

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