5. Dezember 2004
Alles unter Kontrolle
Interview geführt von Vicky ButscherAls wir den Dortmunder Backstage-Raum der Mias betreten, finden wir den Button-Mann vor. Ja, auch Bands leisten noch Knochenarbeit, lassen ihren Designer tagsüber Körbe voll Ansteckern basteln und abends am T-Shirt-Stand stehen. Frontfrau Mieze verabschiedet sich währenddessen gut gelaunt vom Journalisten, der ihr vor uns seine Fragen stellte. Bevor er aus der Tür geht, nimmt sie ihn in den Arm und drückt ihn herzlich. Mit dem hat sie wohl nicht zum ersten Mal gesprochen, denkt man sich und sieht weiter dem Button-Mann bei seiner monotonen Arbeit zu.
Als sich Mieze zu uns aufs Sofa gesellt, wirkt sie aufgekratzt. "Habt ihr schon gehört?" Nein, haben wir nicht. Schon nach wenigen Augenblicken fühlt man sich, als habe man die quirlige Sängerin schon oft getroffen, sei ihre Vertraute. Was Mieze uns mitteilen wollte: Einem ihrer Jungs - ja, sie redet über "meine Jungs" - sei gestern ein Unfall passiert. Andi verdrehte sich in Hamburg das Knie: Krankenhaus. Aber ein Tourabbruch sei nicht drin, nachdem die Band schon einige Gigs in Osteuropa wegen ihrer Stimmbandentzündung abblasen musste.
Genau in dieser misslichen Lage kam ein Tross von VIVA-"Featuring" mit auf Tour. Kann einem dieser öffentlich gemachte Blick hinter die Kulissen wirklich lieb sein? Und in wie weit hat eine Band in der Hand, was es da zu sehen gibt? Alles, betont Mieze: "Wir sagen: Kamera an/Kamera aus". Den Fans auch zu zeigen, was hinter den Kulissen passiert, sei der Band genau so wichtig, wie dabei das Steuer in der Hand zu halten. "Dass es dann gerade bei den Aufnahmen zu 'Featuring' zu meiner Stimmbandentzündung kam, konnte ja niemand vorhersehen." Auch auf die DVD, die der "Tour-Edition" des Albums "Stille Post" beiliegt, ist Mieze vor allem stolz. Sie habe ihre Live-Performance schon immer festhalten wollen, freut sie sich. Es sei doch schön, dass die Band sich ihren Fans nun auch auf diese Weise präsentiere.
A propos Viva. Wie wohl fühlen sich Menschen wie Mieze bei Sendungen wie "Interaktiv"? "Die Sendung wird auch abgesetzt", ist die Antwort der Mia-Frontfrau auf unsere Frage. Schon driftet sie in ein anderes Thema ab: Die momentan vorangetriebene Verschandelung der letzten vernünftigen Inseln des Musikfernsehens: "Wir sind es, die sich wehren müssen. Wir können das mitbestimmen. Wenn wir das nicht mehr gucken, was uns da vorgesetzt wird, dann können die das auch nicht aufrechterhalten." Mieze ist sich sicher, dass die Zuschauer die Oberbosse bei Viacom (dem MTV-Mutterkonzern, der inzwischen auch die Hand über VIVA hält) umstimmen können. Man könne mit gezieltem Boykott dem Programm-Unsinn den Kampf ansagen.
Doch Mieze ist ein Mädchen, das so schnell nichts vergisst. Während des Interviews möchte sie nicht, dass wir Fotos machen, weil sie da so konzentriert sei. Und in diesem Moment muss man ihr das glauben. Denn nach einer Diskussion über das Musikfernsehen im Allgemeinen kommt sie auf unsere Interaktiv-Frage zurück. Mia würden zu Interaktiv gehen, da man dort ein breites Publikum anspricht. Die Zuschauer sollten über den Tellerrand gucken, sollten sehen, was es neben dem Charts-Zeug, das man ihnen täglich vorsetzt, noch so gibt. Interaktiv sei für Mia einfach eine gute Plattform, über die man an neue Hörer komme und nebenbei deren Horizont erweitern könne.
Über diesen kleinen Umweg bewegt sich Mieze zu einem neuen Thema: Die Diskussion um eine Quote für deutsche Musik. "Biste dafür oder dagegen?", wollen wir wissen. "Naja, eigentlich schon dagegen." Es gebe eben Sender, die deutsche Bands featuren, wie etwa Fritz in Berlin. Und andere, die spielten gerade mal 3% deutsche Musik. Sie halte nichts von der Quote, da eigentlich alles ohnehin schon quotiert ist. "Nur heißt das im Moment eben Rotation." Sie glaubt nicht daran, dass mit einer Quote alles besser wird. Die kurz nach dem Interview gefallene Entscheidung des Bundestages, die Sender mit einer Selbstverpflichtung zur Quotierung anzuhalten, findet sie wahrscheinlich lächerlich. Immerhin haben es dieses Jahr viele Alben deutscher Künstler ohne solch halbherzige Reglungen in die Top Ten geschafft.
Doch zurück zu ihrer Band, ihren Texten: Viele sehen sie als Provokation. Die Mia-Lyrics sollen den Hörern auch einen Anstoß geben, selber nachzudenken. Genau darum sei es in dem umstrittenen Projekt "Angefangen" des Mia-Labels R.O.T. gegangen: Liebe, Mut, Respekt, Toleranz heißen die darin festgeschriebenen Maxime. Auf diese will Mieze sich immer wieder besinnen, "auch wenn es manchmal schwer ist".
So wirkt es nicht komisch, wenn die Sängerin kein bisschen schockiert darauf reagiert, dass Nazis ihren Song "Was es ist" auf Demos spielen. "Die Nazis spielen auch die Ärzte." Sie scheint solch einen Vorfall nicht sehr viel Bedeutung zumessen zu wollen. Die Band wisse, was der Song bedeutet. Man könnte meinen, dass gerade Mia diese ganze Debatte um das Bild, das man von Deutschland haben "darf" langsam wirklich auf die Nerven geht. Doch im Gegenteil: "Dieses Thema ist so wichtig, da gibt es immer was zu reden".
Doch ist sich die Band immer so einig wie in diesem Punkt? Auf Tour sitzen sie ewig aufeinander, streiten sie sich da nicht immer wieder über den selben Kleinkram?" "Jeder hat seine Macken", aber so wirklich stört das Mieze nicht. Es gebe Momente, an denen sie einfach ihre Ruhe haben möchte. Im Tourbus setze sie sich dann vor den Videorecorder, um "so zu gucken": Mieze zeichnet mit den Händen einen Kanal, Scheuklappen zu einem imaginären Fernseher. "Das merken die anderen dann schon. Oder ich lege mich in meine Koje und lese. Da habe ich auch meine Ruhe."
Im neuen Jahr geht es für die Mias weiter auf Tour. Doch die richtig große Herausforderung folgt später: Dann gehen sie nach Japan. "Wir machen das wieder mit dem Goethe-Institut, mit dem wir ja auch schon in Russland waren." Auf diese neue Erfahrung freut sich das Power-Mädchen riesig.
Nach dem Interview werden auch wir von Mieze freundschaftlich und ein wenig überdreht verabschiedet. Kurz vor Beginn des Konzertes kaufen wir dem Button-Mann, der nun den Merchandise-Stand betreut, noch einen seiner handgefertigten Anstecker ab. Das ham' sie sich verdient!
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