laut.de-Kritik

Kitsch mit ein bisschen Musik.

Review von

Mika war der falsche Popstar zur falschen Zeit. Bedenkt man, dass Nummern wie "Relax" oder "Grace Kelly" auch heute noch in Sekundenschnelle wiedererkannt werden, wundert es fast ein wenig, dass der Kerl mit der immensen Reichweite und quirligen Persönlichkeit nicht ein ganzes Stück größer geworden ist, als er es ist. Sein neues Album "My Name Is Michael Holbrook" hätte ein Spätzünder sein können. Was herauskommt, grenzt aber an ein Disney-Musical.

Warnung vorneweg: Wer Musik mit ein wenig Kitsch nicht verträgt, sollte hier vorsichtig sein. Dieses Album ist Kitsch mit ein wenig Musik. Erster Beweispunkt: Die eröffnenden Zeilen "It's not a sunrise over canyons shaped like hearts / It isn't bursting into song in Central Park / It's not the outline of your face drawn in the stars / It's a 'still-there-Monday-morning' kind of love/" finden auf diesem Album an vier Stellen Verwendung, obwohl sie nicht einmal ein Refrain sind.

Er ist doch spürbar bürgerlich geworden, dieser Mika, ein wenig geruhsam auf den Gehaltschecks von irgendwelchen europäischen Casting-Shows und beschäftigt vor allem mit den kleinen Problemen und den kleinen Lieben der Welt. Das macht leider, dass Spass und der cartoonhafte Zynismus seiner frühen Arbeiten hier eher auf der Strecke bleiben. Wir leben nun einmal in Zeiten von Halsey, Troye Sivan und Queer Eye, und die Queers haben endlich auch das letzte Recht erkämpft, einfach nur stinklangweilige Spießbürger zu sein.

Das gebiert etwas Glam-lastigere Aufarbeitungen alltäglicher Themen, zum Beispiel einen theatralischen Song über die Eifersucht, der passenderweise "Dear Jelousy" heißt. Es geht sehr dramatisch zu, viele Songs auf "My Name Is Michael Holbrook" könnten tatsächlich Musical-Nummern sein, so plakativ handeln sie die Themen ab. Mika singt durchgehend, als habe er das eiserne Bewusstsein, dass da eine Hauptkamera auf ihn gerichtet ist, die es niederzustarren gilt.

Zwischendurch gibt es zwar Momente der realen Verwundbarkeit, aber trotzdem kommen diese in der überspitzten Aufarbeitung auf "Ready To Call This Love" oder "Paloma" wie platte Schmonzetten daher. Gefühle wie frühe Abendunterhaltung im Free-TV zu einem Glas Rotwein zum Feierabend. Die wenigen Augenblicke wirklicher Einsicht stecken in Zeilen wie "A friend of many is a friend of none" ("Blue"), aber die deuten nur an, wie Mikas Leben und sein Struggle wirklich aussehen.

Mika ist der Popstar mit dem denkbar blödesten Timing. Als er mit "Live In Cartoon Motion" 2007 einen explosiven, poptimistischen Killer in der Hand hatte, wollte er die europäischen Radios nicht verschrecken und verkaufte sich unter der vorgehaltenen Pseudo-Erklärung, er sei ja dieser talentierte Sänger mit so-und-so-vielen Oktaven Bandbreite. War er auch, aber wen interessiert das? Natürlich war Mika den Leuten 2007 viel zu schwul, obwohl sich den Hits wirklich niemand entziehen konnte.

2019 könnte er in einer Sparte zwischen Christine And The Queens oder Charli XCX als das flamboyante Spektakel existieren, das er zu sein verdient hätte, aber er präsentiert sich als ein unspannender, sich selbst etwas zu ernst nehmender Wohlstandsweintrinker mit sentimentalen Allüren, wie er vor zwanzig Jahren schon niemandem Angst gemacht hätte. Da wirkt ironisch, dass die besten Momente auf "My Name Is Michael Holbrook" fast ein wenig sauer herausstechen: Am meisten Spaß macht die Platte, wenn er auf Nummern wie "Ice Cream" die bissigen Disco-Beats auffährt. Mögen Yung Bae oder Flamingosis das mal in die Finger bekommen.

Trackliste

  1. 1. Tiny Love
  2. 2. Ice Cream
  3. 3. Dear Jelousy
  4. 4. Paloma
  5. 5. Sanremo
  6. 6. Tomorrow
  7. 7. Ready To Call This Love (feat. Jack Savoretti)
  8. 8. Cry
  9. 9. Platform Ballerinas
  10. 10. I Went To Hell Last Night
  11. 11. Blue
  12. 12. Stay High
  13. 13. Tiny Love Reprise

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