laut.de-Kritik

Der Dieselmotor in der Postkutsche.

Review von

Wir haben den kompletten Kreis der Entwicklung durchlaufen: Mitte der 2000er ritt ein junges Mädchen durch die endlosen Weiten Alabamas (oder so), spielte Country-Songs auf der akustischen Gitarre und wird mit blonder Perücke zum schillernden Teenie-Bopper. Irgendwann läuft der Disney-Vertrag für dieses Narrativ aus, aus langen braunen Haaren mit Toupet wird fast über Nacht blonder Undercut.

Miley Cyrus ist nun erwachsen, "Hannah Montana ist tot", so lautet die Ansage, die "Bangerz" in die Welt transportieren will. "Das früher, das war ich gar nicht, das war nicht echt." Nun gibt es Arbeit mit Mike Will Made it, Juicy J oder Wiz Khalifa, fragwürdige Bühnenshows (wir kennen die Bilder alle, egal wie sehr wir zu der Zeit unter einem Stein gelebt haben mögen) und nacktes Räkeln auf einer Abrissbirne.

Die Kinderstar-typische Überkompensation des bisherigen Images, die so ziemlich jeder vergleichbare Künstler durchmacht, reichte Miss Cyrus hier aber nicht. Kein Zurückrudern, lieber zelebriert sie mit dem Flaming Lips auf "Miley Cyrus And Her Dead Petz" eine groteske, psychedelische Aneinanderreihung von Tracks, die auf einem hauchdünnen Grat zwischen großer Kunst und absoluten Trash wandeln.

Man möchte es ihr gar nicht verübeln: Gesegnet mit markanter Stimme und vorgefertigter Relevanz, wäre es doch eine schöne Sache gewesen, eine junge Musikerin im Mainstream zu wissen, die sich Allüren leistet, musikalisch radikal experimentieren will und sich dabei zunehmend selbst finden könnte. Klingt in der Theorie toll, doch 2017 hat andere Pläne. Wir kehren zurück zu den Weizenfeldern von Alabama.

"Change is a thing you can count on", eröffnet der Titeltrack das neue Album "Younger Now", kurz nachdem man die Bilder der Lead-Off-Single "Malibu" verdaut hat, in denen Miley im Oversize-Pulli durch idyllische Naturaufnahmen tollt, Hündchen streichelt und fast schon provokant unprovokanten Country-Pop fabriziert. Ja, "provokant unprovokant" ist vielleicht das optimale Prädikat für dieses Album, aber mit Betonung auf dem ersten Wort. Nach dem Ausbruch ins schockierende Territorium scheint nun eine radikale Kehrtwende zurück in Richtung ihrer musikalischen Heimat stattzufinden.

Lässt man die Debatte beiseite, es sei nicht cool, die Hip Hop-Kultur für einen kurzen Elternschreck zu instrumentalisieren, nur um dann plötzlich in aller "Normalität" wieder beim weißen Familienbankett aufzukreuzen, macht der Titelsong verdammt vieles richtig: Der Refrain spielt Mileys eigenwillige, rohe Stimme fantastisch aus. Die Melodien und der Aufbau strukturieren sich großartig um die Ausbrüche herum. Das ganze Stück ist unheimlich eingängig geraten. Auch "Malibu" mutet im Albumkontext sehr griffig, entspannt und angenehm an. Zwei Titel in die Liste, und man hat das Gefühl, hier zumindest für das Genre ein ziemlich gutes Produkt geliefert zu bekommen. Doch zum Mittelteil hin zeigt sich dann ein weiteres, großes Problem:

Aller Fassade zum Trotz ist Miley in erster Linie eine Popsängerin. Das spiegelt sich in ihren guten Songs aller Äras. Ihre Stimme fühlt sich groß an, ihr Songwriting zirkuliert um den Refrain und elektronische Produktionsspielereien stehen ihr meist sehr gut zu Gesicht. Doch während die Singles und Songs wie "I Would Die For You" die richtigen Modernisierungen im Country-Klang vornehmen, um einen starken, passenden Hybrid für Mileys Musikstil zu finden, erwecken einige Anspielstationen, einen minimalen, akustischen Throwback-Eindruck.

Nur von Gitarren und verschwommenen Drums begleitet, scheinen sich Titel wie "Rainbowland", "Miss You So Much" oder "She's Not Him" um die nennenswerte Verwendung von Bässen oder moderneren Klängen zu drücken, wollen wohl Retro-Songwriter-cool klingen. Das geht nicht auf, da das ganze Tape offensichtlich in einem modernen Studio aufgenommen und gemischt wurde. Genausowenig, wie man einem via Instagram schwarz-weiß-gefiltertem iPhone-Kamerabild nicht abnimmt, eine authentische Originalfotografie aus den Fünfzigern zu sein, klingt "Younger Now" zu sehr nach aufgeräumten Hochglanz, um den Charme einer Nashville-Country-Aufnahme zu entfalten. So klingen viele Tracks, als habe man eine Postkutsche mit Dieselmotor ausgestattet, nur um dann aus Authentizitätsgründen darauf zu beharren, doch nur im Schritttempo zu fahren.

Das ist schade, denn so klaffen lange Episoden durchwachsener Tracks der Marke "Nichts Halbes und nichts Ganzes" zwischen dem starken Einstieg und den zwischendurch aufflackernden Highlights. "Thinkin" zum Beispiel ergänzt einen tanzbaren Basslauf um etwas treibendere Drums unter Mileys angenehme Vocal-Performance. Wäre hier noch ein wenig mehr Arbeit in den Aufbau des Refrains investiert worden, man hätte eine handfeste dritte Single in der Hand. Aber auch "I Would Die For You" oder "Inspired" zeigen die Stärken der Sängerin. Wäre das halbe Album nicht dank eines fehlgeschlagenen Retro-Experiments ziemlich langweilig geraten, wäre hier Einiges mehr gegangen.

Es bleiben dennoch durchgängig wohlklingende, wenn auch recht kantenlose Titel, die sich immer wieder zu einem grundsoliden Refrain aufschwingen, aber doch immer etwas zu lang zwischen den eindeutigen Positionen ausharren. Dass Miley ihre Pop-Seite selbst für so einen deutlichen Sound-Umschwung kaum beiseite halten kann, sollte sie als Zeichen verstehen. Den Popstar-Appeal muss man nicht unterdrücken.

Wenn sie an dieses Konzept anknüpft, könnte sie mit den Elementen bald ein wesentlich besseres Album zwischen Country und Mainstream machen. Konsequenter, zielstrebiger, mit klarerer Version. Aber was weiß ich schon, was Miley Cyrus auf ihrem nächsten Album tun wird? Vielleicht schwingt sie ja wieder ins absurde experimentelle Fahrwasser um und gründet eine K-Pop-Supergroup mit Slayer und Janelle Monáe? "Change is a thing you can count on", oder etwa nicht?

Trackliste

  1. 1. Younger Now
  2. 2. Malibu
  3. 3. Rainbowland
  4. 4. Week Without You
  5. 5. Miss You So Much
  6. 6. I Would Die For You
  7. 7. Thinkin
  8. 8. Bad Mood
  9. 9. Love Someone
  10. 10. She's Not Him
  11. 11. Inspired

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