laut.de-Kritik
Die Kopie einer Kopie. In schlecht.
Review von Sven KabelitzLektion Nummer 1 für ehrliche, handgemachte Musik aus Deutschland: Versuche möglichst haargenau wie Rio Reiser zu singen. Lektion Nummer 2: Streite jede Ähnlichkeit mit seiner Stimme ab. Erkläre am Besten noch, dass du eh immer ganz andere Musik gehört hast, ihm nie gerecht werden kannst und dich mit seinem Werk nie umfassend auseinander gesetzt hast.
Somit eröffnen wir hier und jetzt unseren 72. Teil der Reihe: "Bands, die gerne Ton Steine Scherben oder irgendwas mit Koks und Medien wären". Das größte Problem an Milliarden stellt aber gar nicht ihre krampfhafte Nähe zu Rio dar. Ben Hartmann krächzt und plärrt, als hätte es das Missverständnis Jan Plewka nie gegeben. Sie sind die verwässerte Neuauflage von Selig. Die Kopie einer Kopie. In schlecht.
Da wo Isolation Berlin als 71. Folge auf "Und Aus Den Wolken Tropft Die Zeit" noch schroff und abweisend klangen, schmeißen sich Milliarden unangenehm marktschreierisch an den Hörer heran. Jeder Song sucht die größte aller großen Gesten, bleibt dabei mit ihrem Uptempo-Pop-Rock aber kleinbürgerlich wie die rebellierende Dorfjugend in Hillerse.
Falls es die von der Presseinfo beschworene Punk-Attitüde des Sängers und Gitarristen Hartmann jemals gab, treibt Produzent Philipp Schwär ihm diese komplett aus. Von dem Versuch, dreckig und aufwühlend zu klingen, bleibt nur ein plakativer Reißbrettsound übrig. Selbst wenn Milliarden in "Blitzkrieg Ballkleid" (Boah, sie haben Blitzkrieg gesagt!) sich mal so richtig böse auf Krawall bürsten, klingt das Ergebnis fürchterlich steril und aufgeräumt. Eine aufgesetzte Rebellion, bei der zwei trotzköpfige Kinder in ihre Teller weinen, weil sie ihren Rosenkohl nicht aufessen wollen.
Wenn sich Hartmann und Multiinstrumentalist Joannes Aue in "Oh Chérie" zur deutsche Antwort auf die Österreicher Wanda aufbauschen, fehlt ihrem dumpfhammernden Nena-Rock raue Ehrlichkeit. "Im Bett Verhungern" bedient sich spätestens in seinem Refrain unangenehm an Bowies "Heroes". Während der affektierte Schlonz "Freiheit Ist 'ne Hure" möchtegerntrunken vor sich herschunkelt, erforscht der Text die Grenzen der Grenzdebilität. "Mein Herz ist unruhig / Es schlägt an die Wände / Und singt: Tralalala, Tralalala / Den ganzen Tag schon vor sich hin / Tralalala, Tralalala / Freiheit ist ne' Hure / Und ich bin ihr Kind." Komm, geh fort!
In der Joy Division-Hommage "Friedrichsdorf", die sich nur in seinem abgehackten Rhythmus vom restlichen Einheitsbrei des Albums unterscheidet, setzen sie einen Selbstmord so egal wie den täglichen Einkauf beim Obsthändler um die Ecke in Szene. "Und sie vermissten sich so lange / Bis er sich in die Arme schnitt". "Bleib hier" verbindet alles Unschöne eines misslungenen Coldplay-Songs mit ungewollt dadaistischen Lyrics. "Ich kann deine Augen sehen / Du bist die bei der das geht / Ich will nackt bei dir sein / Ohne dich bin ich allein / Bleib hier." Renn, Mädchen, renn! Der Hartmann kommt.
Lektion Nummer 3 für alle Rio Reiser-Plagiate: Vergiss bei dem Kopieren deines Idols niemals eine eigene Identität aufzubauen. Denn hinter dir stehen bereits die nächstens Epigonen in den Startlöchern. Viel mehr als Milliarden auf ihrem ärgerlichen "Betrüger" kann Nummer 73 das Debüt jedoch nicht in den Sand setzen.
16 Kommentare mit 18 Antworten
Richtig deepe Lyrics, du!
oh man die Teile der Lyrics lesen sich schon oberpeinlich. Eine erneute Bestätigung für meine latente Abneigung gegen deutschsprachige Bands.
Englische sind doch selten besser. Dazu muss man natürlich verstehen können, was die da so verbrechen.
Natürlich gibt es genug englischesprachige Bands mit beschämenswerten Lyrics (vielleicht relativ gesehen sogar mehr), aber die Auswahl ist doch einfach so viel größer, dass man sich das bessere rauspicken kann und der Klang ist halt auch besser, da Englisch einfach viel melodischer und gleichzeitig bedeutungsvielfältiger als Deutsch ist.
Ich stimme zu. Aber Englisch: Bedeutungsvielfältiger? Erklär mal...
Beudeutungsvielfalt im Sinne von Polysemie weil einzelne Wörtern viel mehr verschiedene Bedeutungen haben als im Deutschen. Darum fällt auch die sinngemäße Übersetzung oft so schwer oder ist sehr kontextgebunden.
ergo, Englisch überlässt einen größeren Interpretationsspielraum als Deutsch und damit mehr Platz für persönliche Assoziationen
Eher das Gegenteil ist der Fall, da die englische Sprache wesentlich mehr Wörter besitzt.
das stimmt, hat aber damit nichts zu tun. Die englische Sprache hat aus anderen Gründen so viele Wörter (französische, skandinavische Einflüsse), worunter auch sehr viele Synonyme sind.
Englisch hat sehr viele polysemische Begriffe.
Aber wer hätte gedacht, dass so ein musikalischer Brei so ein Klugscheiß thread provoziert
mit verlaub, herr olivander, aber deine aussage ist blödsinnm.
http://www.welt.de/kultur/article124064744…
find das cover nice, auch den bandnamen. und den albumtitel. Musik kenn ich nicht.
Man muss nicht jede Musik mögen, aber solch eine "Kritik" ist ein Ärgernis, sonst nichts. Ich weiß nicht, wieso solche Polemiker eine oft besuchte Plattform wie diese hier erhalten, um ihren allgemeinen Unmut über ihr Leben, getarnt als Meinung oder Rezension, im Internet preisgeben zu können.
Ein richtig starkes Album, frech, erfrischend, ehrlich, mutig. Die schlechte Rezension kann ich in keinster Weise nachvollziehen, es sei denn, das Album hat in diesem Moment überhaupt nicht zur Stimmung des Verfassers gepasst. Was ist denn eigentlich so fehlerhaft an "schmissigen" Songs? Und wo ist eigentlich der Unterschied zu den extrem wohlwollend bewerteten "Wanda"?. Die ja auch nur kopieren, und deren Texte, mit Verlaub, an "Unterirdischkeit" kaum zu überbieten sind. Aber Dadaismus ist vermutlich erlaubt...
Korrekt!
Milliarden! Geile Scheisse und dazu aus Berlin! Auch live! Das macht endlich mal wieder Spaß. Man kann zum regelmäßigen Turbostaat Konzert jetzt noch Milliarden hinzufügen. Was ist mit dem Autor der Rezension nicht in Ordnung? Deutschpoprockweichgespült? Man kann ja nur froh sein, dass die Leute eigene Meinungen haben oder sich bilden. Ein Abheben von der deutschsprachigen Musikmasse ist m.E. nur ein Vorteil und zu begrüßen und ich freu mich auf das nächste Konzert! 6. April in Berlin!!!!
So siehts aus !