laut.de-Kritik
Wie die Zigarette danach. Ohne Filter und schlecht gedreht.
Review von Holger GrevenbrockDie Krise beginnt beim fehlenden Salz oder der vergessenen Milch. Problemchen, die in den euphorischen Anfangstagen ein müdes Schmunzeln hervorrufen, wenn überhaupt. Wer braucht schon Beständigkeit? Luft und Liebe, mehr braucht es nicht zum Leben, das ungesalzene Essen vergammelt auf dem Fensterbrett ...
Was aber, wenn sich die Fronten im Alltag verhärten? Die vergessene Milch ist dann nicht mehr einfach die vergessene Milch, sondern ein Politikum. Plötzlich steht der Kinderwunsch im Raum, Panik bricht aus, was nun? Erst mal den Beziehungsfilm auf Pause schalten und auf Netflix eine 'Romcom' suchen: Probleme? Was für Probleme?
Mine & Fatoni widmen sich in "Alle Liebe Nachträglich" den Banalitäten des Liebeslebens, quasi der Gegenentwurf zur Wandaschen Amore, die in selbstbewusster Peinlichkeit, dem Wahnsinn nahe die ganze Welt in Armen halten will. Ein Album wie die Zigarette danach, freilich ohne Filter, schlecht gedreht und dann fällt sie auch noch auf die entblößte Brust - autsch.
Die Instrumentierung schwankt zwischen theatralischen Streichern und frostigen Elektrobeats und nimmt sich zunächst angesichts der Thematik ein wenig deplatziert aus. Nach mehrmaligen Hören ergibt der daraus resultierende Bruch jedoch Sinn, der klischeehafte Beziehungsstreit entpuppt sich recht schnell als waschechte Sackgasse ohne Nebenausgang. Bis hierhin und nicht weiter ... oder halt der neue Wilsberg-Krimi.
So wie Form und Inhalt der Tracks als zwei nur auf den ersten Blick unvereinbare Größen erscheinen, führt auch das Duo selbst das alte Lied von Eis und Feuer fort. Fatoni bringt die Filmspule zum Laufen: Türe knallen, Teller fliegen durch die Luft, ein Messer verirrt sich ins neue Parkett. Mine dagegen hält das Bild an. Ihr dezenter, kühler Gesang hält den Hörer auf Distanz. Er kann aus dem Bild hinaustreten, es von außen betrachten, sich amüsieren ob der nichtigen Querelen - oder sich selbst darin wiederfinden.
Die Liebe in Zeiten der Diabetes und Gicht-Erkrankungen verlockt den ein oder anderen auch schon mal dazu, sich nach frischer Ware umzusehen. Im Idealfall entpuppt sich diese als der "Traummann", der sich gerade erst in Calvin Klein-Unterwäsche in den Dünen räkelte: "Du bist mein Traummann, wenn ich allein bin. Doch schau, was der and're Mann kann. Vielleicht schmeckt's beim anderen immer besser als bei dir. Besser wenn ich das einmal probier'". Einmal naschen sollte ja in Ordnung sein. Wie auch die "Erdbeeren Ohne Grenzen", deren Dasein im verschneiten Deutschland mit dem Gulasch-Pop a là Jim Pandzko verquickt wird: "Die Beere schmeckt lasch, dem Gaumen fehlt Spaß. Die Beere ist rot, doch ihre Seele ist tot".
Aber dann ist da ja noch der wunderbare Tristan Brusch, der sich nach "Mehr" verzehrt, dessen Herz aus jeder Silbe springt, der wie ein irrer Derwisch durchs Bild huscht. Bringt er die Rettung aus der Pop-Tristesse? "Ich will dein Herz und falsche Götzen zerfetzen / Ich will dein schönes Blut aussaugen / Nur an mich darfst du noch glauben / Das ist noch nicht genug, ich kriege nie genug." Der Exzess, er soll nur von kurzer Dauer sein. Schneller als man ahnt kehrt die Routine ein, und der Bruch mit der damals noch im feurigen Eifer Verehrten löst gerade noch ein Schulterzucken aus. Oder eben ein Linkswisch in Tinder. Nichts hält für die Ewigkeit, selbst das "Tattoo" ist seines Status' als untilgbares (Mahn-)Mal beraubt - einfach weglasern oder Arschgeweih drauf!
"Sex ist nie so gut wie man sich's vorstellt beim Wichsen", rappt Fatoni und trifft den Nagel auf den Kopf. In Zeiten von Facebook, Instagram oder Tinder fällt es jedoch schwer, sich von solchen Phantasmen zu lösen, zu verlockend präsentiert sich die Welt hinter dem Glas. Dabei kann sich der Blick nach links oder rechts durchaus lohnen, denn: "Manchmal ist das beste Essen ein Baguette von der Tanke". Mit Essens-Metaphern weiß Fatoni durchaus umzugehen.
11 Kommentare mit 4 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Rosenstolzrap. Schade, da ich gerade Mines "Das Ziel Ist Im Weg" wirklich mag.
Hört sich wirklich endlos wack an.
Album ist zu Genial für die Welt.
Ich mag das Album sehr gern, es ist kurzweilig und abwechlungsreich! Den Vergleich mit Rosenstolz verstehe ich nicht?!
Übrigens ... "Sex ist nie so gut wie man sich's vorstellt beim Wichsen", rappt nicht Fatoni, sondern singt Mine am Anfang des Songs ... hat der Praktikant den Artikel geschrieben?
wobei man dazu sagen muss, dass mine die line wiederum von fatoni hat, er hat sie nämlich zuerst auf "ziehst du mit feat. fatoni" gerappt
handwerklich sehr gut gemacht. aber songs wie "romcom" etc sind schon sehr akustische lindenstraße. wie kann man sich sowas anhören?