laut.de-Kritik
Die Intensität tut fast weh.
Review von Toni HennigVor gut drei Jahren bekam Camae Ayewa alias Moor Mother einen Ritterschlag, der, wie man denken könnte, mit Rap normalerweise so viel zu tun hat wie Donald Trump mit fortschrittlicher Klimapolitik.
Es handelte sich um Prog-Nerd Steven Wilson, der in einem Interview ihr Labeldebüt "Fetish Bones" nicht treffender hätte beschreiben können: "Es klingt stellenweise beinahe wie Sun Ra, hat Free Jazz-Elemente dabei, Industrial-Elemente, Hip Hop-Elemente, und irgendwie rappt sie darüber diese bizarre Geschichte, wie sie in der Zeit zurückwandert und dabei beobachtet, wie ihre eigenen Vorfahren ermordet werden ... es ist alles extrem finster. Eine hochgradig spezielle Platte".
Bei aller besagter Vielfalt bestimmt ein ununterbrochenes politisches Engagement die Arbeit der in Philadelphia ansässigen Musikerin, Aktivistin, Poetin und auch Herausgeberin von Magazinen. Dieses kommt wieder alles andere als zu kurz, lädt das Werk doch ihrer eigenen Aussage zufolge zu einer "DIY-Zeitreise" ein, die in rund dreißig Minuten die Geschichte der People of Color in den USA von der Sklaverei bis hin zu den schwersten Rassenunruhen seit den Sechzigern (1992 in Los Angeles nach dem Freispruch von vier weißen Cops) umreißt.
Die Polizisten hatten ein Jahr zuvor den Afroamerikaner Rodney King während der Verhaftung vor laufenden Kameras brutal misshandelt. King prognostizierte später, dass "immer eine bestimmte Art von Rassismus" bestehen bleiben wird, aber die Menschen auch zurückschauen und sehen müssten, "was wir bisher erreicht haben". Das schreibt sich auch Ayewa auf die Fahnen.
So erinnert sie in "Passing Of Time" zu afrikanischen Trommeln und Gesängen nicht nur an ihre Vorfahren, sondern auch daran, dass eine gewisse Form von Sklaverei immer gibt, auch wenn diese ihr Gesicht wandele. Die strukturelle und physische Gewalt, unter der Afroamarikaner in der Vergangenheit litten, ruft Moor Mother stets ins Gedächtnis und führt in "After Images" drastisch vor Augen, dass diese eigentlich jeden von uns treffen kann: "You think this hell won't come for you?!". Die radikalen Soundskizzen passen dabei zum Inhalt.
Viel zu lachen, gibt es auf der Platte demzufolge nicht. Das verdeutlichen bereits die dräuenden Dark-Ambient-Soundscapes und die atonalen Streicher in "Repeater", über die sie düstere Spoken Words legt. In "Don't Die" rückt der Gesang zu hämmernden, analogen Industrial-Rhyhthmen ganz nah ans Ohr des Hörers, er schlägt beinahe ins Weinerliche um: So viel klangliche Intensität tut nahezu weh.
Das oben erwähnte "After Images" dominieren maschinelle Techno-Beats und geisterhaften Stimmen, ihre Ohnmacht entlädt sich aber auch in entfesselten Raps. Ein roter musikalischer Faden lässt sich wie auf "Fetish Bones" (2016) kaum erkennen. Dafür tönt Moor Mothers Mixtur so verstörend kompromisslos wie nie.
Zuletzt arbeitete Camae Ayewa mit Zonal, dem gemeinsamen Projekt von Kevin Martin (The Bug) und Justin K. Broadrick von den Industrial-Metallern Godflesh zusammen, was man der Platte ebenfalls anhört: "Engineered Uncertainty" lässt an eine Rohversion von The Bug denken. "LA92" vergegenwärtigt den Albtraum, der Anfang der Neunziger in Los Angeles erschütternde Realität wurde, mit bedrohlichen Illbient-Mitteln.
Stilistisch geht also vieles, nur das flaue Gefühl in der Magengegend, das bleibt immer. Selbst, wenn Ayewa gemeinsam mit Saul Williams, der sich als eindringlicher, ruhiger Erzähler von ihrer Unbeherrschtheit nicht erschüttern lässt, in "Black Flight" die afroamerikanische Protest-Kunst wiederaufleben lässt. Das gilt auch für die kaputten Dancehall-Beats in "Private Silence", über die Moor Mother und Reef The Lost Cauze abwechselnd angriffslustig wüten, sowie die dissonante Kammermusik, die in "Shadowgrams" und "Cold Case" schmerzvoll und dringlich unheimliche Ambient-Welten schwirrt.
Im Grunde klingt "Analog Fluids Of Sonic Black Holes" so, als würde man die Unmittelbarkeit Godfleshs in ein komplexes analoges DIY-Gewand überführen, das in alle möglichen Richtungen ausschlägt. Hochgradig speziell" eben.
1 Kommentar
Klingt spannend, kommt auf die Liste