4. September 2009

"Verständlich, dass Oasis langweilen"

Interview geführt von

Am kommenden Freitag erscheint "The Resistance". Bereits ab Montag gibts auf laut.de ein exklusives Vorab-Streaming des neuen Muse-Albums. Doch vorher wollten wir mit der Band mal Klartext reden.Wer Muse schon mal live erlebt hat, weiß um den Bombast und den Glamour, der den Shows innewohnt. Beim Interview-Termin präsentiert sich die Band kein bisschen schlichter. Die Engländer laden in ein Luxus-Hotel nach Zürich, in dem das billigste Zimmer knapp 360 Euro kostet – pro Nacht. Vor dem Gespräch hören wir das neue Album "The Resistance", das – passend zum Ambiente – auf dem iPhone gereicht wird.

Die Terrasse des Hotels offenbart herrliche Aussichten auf Stadt und See, doch wir interessieren uns natürlich für Matthew Bellamy, Dominic Howard und Christopher Wolstenholme, die sich dort fürs Interview niedergelassen haben. Die drei Musiker wirken hier keineswegs fehl am Platz, denn anders als noch vor wenigen Jahren tragen sie schicke Hemden, teure Designer-Sonnenbrillen und Rolex-Uhren.

Von Arroganz kann bei der Band trotz allem keine Rede sein: sie präsentiert sich gut gelaunt und gesprächsfreudig – obwohl unserer der letzte Interview-Termin an einem langen Promo-Tag ist.

Eben haben wir euer neues Album, "The Resistance" gehört, und es wirkte auf den ersten Blick weniger bombastisch und vielseitiger als seine Vorgänger, teilweise ziemlich eingängig. Gibt es bestimme Künstler oder Platten, die diesen neuen Sound beeinflusst haben? Die Chöre haben uns teilweise sehr an Queen erinnert.

Matt: Ich glaube, immer wenn jemand Gesang auf mehrere Spuren aufnimmt, klingt das nach Queen (lacht). Mit Queen teilen wir das Interesse an den gleichen Genres, vor allem Mercurys Begeisterung für klassische Musik und Oper. Brian May hingegen liebte klassischen Rock-Sound: alles auch wichtige Einflüsse für Muse. Der Song "United States Of Eurasia" ist natürlich eine Mischung aus verschiedenen Queen-Stilen.

Dom: Es gibt also Parallelen, aber von einem direkten Einfluss würde ich vielleicht eher nicht sprechen.

Chris: Viele kommen mit Queen, und ich liebe diese Band. Ich glaube auch, dass die uns beeinflusst haben, aber weniger musikalisch als in der Art und Weise, dass Queen frei waren, das zu tun, was sie wollten; wie sie sich ausdrückten und entwickelt haben. Aber während der Aufnahmen haben wir eher ganz aktuelle Sachen gehört, R'n'B oder Songs aus dem Radio.

R'n'B? Irgendwas Bestimmtes?

Ja, Timbaland zum Beispiel. Für den Song "Undisclosed Desires" haben wir versucht, ganz alte mit ganz neuen Sachen zu verbinden, um etwas originelles, neues daraus zu machen. Das ist ja das Ziel mit jedem neuen Album. Etwas zu kreieren, was sich anders anfühlt als das letzte. Und das machen wir mit jedem Album: uns auf neue Territorien wagen.

Wo liegen also letztendlich die Unterschiede von "The Resistance" zu den ersten vier Alben?

Dom: Ich stimme schon zu, dass das Werk entschlackter ist. Fast alles auf dem Album hat irgendwie viel mehr Platz, der Sound hat mehr Spielraum. Auf dem letzten war vieles beinah klaustrophobisch. Dieses mal haben die Songs Luft zum Atmen. Vieles ist schlichter, manches klingt aber auch sehr ambitioniert, beinah wie bei einer Sinfonie.

Matt: Der Unterschied ist, dass wir dieses Mal keinen Produzenten "von außen" ins Studio geholt haben. Wir haben alles selbst gemacht, hatten mehr Freiheiten, uns musikalisch auszuleben. Die Musik ist nicht redigiert. Ein Produzent hätte mit Sicherheit an manchen Stellen gesagt: "Das muss man verändern, das muss man kürzen". So aber hört man die unverfälschte Umsetzung von unseren musikalischen Visionen.

Chris: Der Hauptunterschied liegt meiner Ansicht nach darin, dass das letzte Album dann doch ein Gitarrenalbum geworden ist. Es gab kaum Klavier. Es war musikalisch definitiv ein Schritt nach vorn, aber von der Instrumentierung her eher eine Rückentwicklung. Ich mag das Album nach wie vor, aber ein Song wie "Supermassive Black Hole": das hätte ein richtig elektronischer Song werden können, doch dann haben wir die Gitarren genommen, und dann ist es wieder so ein Kompromiss geworden. Und bei dem Lied "Undisclosed Desires" haben wir die Gitarren einfach mal weggelassen.

Und noch mal eine Neuerung bei dem Song: Du spielst Slap-Bass.

Chris: Ja (lacht)!

Das ist doch ziemlich ungewöhnlich für ...

Chris: ... Ja, ja das ist es. Das war etwas ganz Neues. Das hat auch eher so als Spaß angefangen. Slap-Bass ist eigentlich nicht besonders cool, und ... es ist immer so technisch. Auf jeden Fall haben wir den Song gespielt, und ich hab erst mal so die offensichtlichsten Sachen gemacht, die ich immer spiele – und es hat einfach nicht gepasst. Ich habe im Studio so einen Bass ohne Kopf gespielt, welchen ich live nie spiele, weil er so hässlich ist (lacht). Und jemand hat gesagt, "Slap doch mal", weil ihn der Bass vom Aussehen daran erinnerte. Und es passte! Es war ungewöhnlich, so ein Funk-Element mit dunklen R'n'B-Elementen zu mischen, aber es hat funktioniert.

Apropos Spaß. Gibt es an Muse eigentlich auch eine ironische Seite? Viele denken immer die Band sei so erst, weil ihr gefühlvolle, oft traurige Musik macht. Dabei können Songs wie "Knights Of Cydonia" - mit dem dazugehörigen Video und dem Text - auch sehr komisch wirken.

Chris: Doch, die gibt es. Und ich glaube, das ist eines der größten Missverständnisse, die über Muse existieren. Die Leute denken, wir sind ernst, lesen Bücher und unterhalten uns den ganzen Tag über das Ende der Welt. Wir unterhalten uns über solche Dinge – zwischendurch. Vor allem dieses Mal hatten wir im Studio aber auch so viel Spaß, es geht wirklich witzig zu. Auch die Texte sind humorvoll geworden.

"Die Leute protestieren vor meiner Wohnung"

Bedingt durch die Krise oder globalpolitische Bedrohungen wie den Terror ist die Stimmung im Moment eher unterkühlt, vieles auch in der Kunst sehr bodenständig, oft sarkastisch. Findest du es eher schwierig, in solchen Zeiten emotionsbeladene Musik zu machen, oder erlebt die Art von Gefühl gerade eine "Wiedergeburt"?

Matt: Alles, was in England in den letzten Jahren passierte, hat uns auch beeinflusst. Vorneweg der erste Song "Uprising" ist ganz direkt beeinflusst vom politischen Geschehen.

Meine Wohnung in England hat ein Fenster, das direkt zur Amerikanischen Botschaft hinaus geht. Fast jedes Wochenende sehe ich dort Demonstrationen. Nicht nur während der Bush-Regierung, auch jetzt, beim G20-Gipfel, gegen den Krieg, wegen der Finanz-Krise ...

Ich glaube, dass die Leute sehr frustriert sind. Sie haben das Gefühl, kein Mitspracherecht, keine Macht zu haben. Das Parlamentarische System ist althergebracht, es stammt aus dem 16. Jahrhundert. Wir haben Lords. Wir haben einen Premier-Minister – der nicht mal gewählt wird. Und wir haben Parlaments-Mitglieder, die Geld stehlen. Die Leute in England sind verärgert. "Uprising" ist also der Wunsch nach einer Veränderung der Verfassung.

Du hast vorhin von diesem Song gesprochen, "United States Of Eurasia". Was hat es damit auf sich? Ihr habt eine Menge darüber getwittert. Ist das eine Art Konzept für euch? Und was bedeutet Eurasia? Für euch persönlich, nicht im geografischen Sinn.

Dom: Geografisch gesehen ist es ja der riesige Kontinent, der Europa und Asien zusammenfasst. Der Song ist eine Fantasterei, die beiden Kontinente wieder zu vereinen. Er widmet sich den positiven Seiten einer solchen Wiedervereinigung, am Ende zeigt der Song aber auch die Risiken auf, geht in die negative Richtung. Das Lied ist von einem Buch inspiriert, das Matt gelesen hat. Es geht um einen Berater der US-Regierung. Er schildert, wie die Regierung eine mögliche Vereinigung verhindern will, um weiter billig an Öl zu gelangen. Und es geht um die Gefahren, die die mögliche Super-Macht im Falle einer Vereinigung mit sich bringen würde.

Was du im Internet gesehen hast, ist eine Art Schatzsuche für unsere Fans. Es gibt verschiedene Schlüssel und Rätsel, die sie knacken müssen. Das bringt sie zu den verschiedensten Plätzen in Eurasien: Paris, Tokio, Hongkong ... Wer das Rätsel löst, bekommt den Song.

Matt, du hast eben von der politischen Unzufriedenheit der Engländer erzählt. Ist das auch ein Einfluss, den euer Heimatland auf euch hat? Neulich habe ich ein Interview von Euch gesehen, das Mike Skinner geführt hat. Seine Wurzeln sind sehr deutlich, der Akzent, die Themen, über die er spricht. Inwiefern wurdet ihr von England beeinflusst? Oder inwiefern repräsentiert ihr dieses Land?

Matt: Ich glaube wir haben eine sehr starke musikalische Verbindung zu England: Led Zeppelin, Queen, ein bisschen sogar die Beatles, Musik aus den 80ern, auch Sachen wie Depeche Mode, die Pet Shop Boys: alles Bands, die uns beeinflusst haben. Der Brit-Pop hat einen Stereotyp des Engländers geschaffen, mit dem wir gar nicht so viel zu tun haben.

Sind die Anfänge von Muse nicht sogar eine Rebellion gegen den Brit-Pop gewesen?

Nun, wir wollten daran erinnern, dass es in England ein reiches musikalisches Spektrum gibt, nicht nur Blur und Oasis. Damals hatten die in Europa und Amerika noch keinen so hohen Stellenwert, viele fanden die langweilig – und ich kann verstehen, warum. Aber es gibt eben auch gute Sachen wie David Bowie. Das ist jetzt natürlich nur meine Meinung.

Wie muss man sich denn den Prozess des Songwritings bei euch vorstellen? Läuft das sehr demokratisch ab? Oder gibt es einen Haupt-Schreiber? Man bekommt von außen eher den Eindruck, dass Matt den meisten Einfluss auf solche Dinge hat.

Chris: Matthew bringt die meisten Ideen ein. Er kommt mit Melodien und Akkord-Strukturen, aber er hat selbst noch keine Ahnung, in welche Richtung sich der Song entwickelt. Es ist nicht so, dass er den fertigen Song schon vor sich hat. Wir spielen Songs unendlich oft durch, und warten eher, was passiert. Das Songwriting ist keine Diktatur, es ist sehr demokratisch.

Matt, du spielst bei Muse - auch live - sowohl Gitarre, als auch Klavier. Ich hab mal ein Interview mit einer deutschen Sängerin gelesen, die sagte, dass sie eigentlich lieber Klavier spielt, aber auf der Bühne die Gitarre bevorzugt, weil sie findet, das Klavier stellt bei Konzerten eine Barriere zum Publikum dar. Würdest du das so unterschreiben? Und: Gibt es ein Instrument, das du bevorzugst?

Matt: Das Gitarre ist für eine Rock-Show in jedem Fall besser geeignet, einfach, weil man sich besser bewegen kann. Auch musikalisch, weil die Riffs aggressiver sind. Deswegen spielen wir während eines Konzerts immer nur drei, vier Klavierstücke. Wir wollen ja nicht, dass es den Leuten langweilig wird und sie einschlafen. Aber eine schöne Abwechslung in der Mitte einer Show ist es allemal.

Nehmt ihr weitere Musiker mit auf Tour, um "The Resistance" auch live umsetzten zu können?

Matt: Ja, schon seit "Black Holes And Revelations" haben wir einen vierten Mann, der Keyboard spielt, Synthesizer, Effekte und solche Sachen ...

Verrückte Fans, die besten Köche und Familien auf Muse-Konzerten

Wir haben vorhin darüber gesprochen, dass das neue Album etwas weniger bombastisch klingt als "Black Holes And Revelations". Habt ihr zurückgestuft, aus Angst, eure Musik würde zu kitschig werden?

Chris: Ich denke, es geht darum, eine gute Mischung zu finden. Der Anfang dieses Albums ist sehr "catchy", musikalisch eher keine Herausforderung. Herausforderungen sind gut, aber irgendwann macht man dann Musik, mit der nur andere Musiker etwas anfangen können. Musik, um andere zu beeindrucken. Wir wollten aber auch Songs, die jedem "durchschnittlichen" Hörer gefallen, tanzbar sind. Es geht also sehr eingängig los, und wird gegen Ende anspruchsvoller.

Eingängige, tanzbare Songs: "Starlight" lief hierzulande im Mainstream-Radio auf Heavy Rotation - Würdet Ihr selbst Muse eigentlich als Indie-Band bezeichnen?

Dom: Hm ... ich weiß nicht. Ich würde uns als musikalisch unabhängig bezeichnen - und das von Anfang an. Wir hatten immer den alleinigen Einfluss auf unsere Musik. Jeder der will, kann unsere Musik hören, egal wer oder wo, das ist okay. Unsere ersten drei Alben erschienen sogar auf Indie-Labels. Nun hat sich zwar das Label verändert, nicht aber die Herangehensweise. Wir schließen uns praktisch im Studio ein, und präsentieren unser Ergebnis, wenn es fertig ist. Niemand hat Einfluss, außer dem Produzenten, aber den gab es diesmal nicht.

Auf einem Konzert von euch kann es allerdings mittlerweile passieren, dass die Leute bei Songs wie gerade "Starlight" ausflippen, während sie bei alten Hits ruhig bleiben – weil sie sie nicht kennen.

Dom: Das ist kein Problem, die Gigs sind immer noch großartig. Mir ist das auch nie so aufgefallen. Ich sehe die Hardcore-Fans, vorne in der ersten Reihe: die kennen jeden Song. Ich glaube schon, dass wir mittlerweile mehr Leute anziehen. Aber ich denke nicht, dass das durchs Radio kommt, sondern einfach durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Und zu unseren Konzerten kommen viele verschiedene Menschen aus vielen verschiedenen Genres. Nicht nur Rock- und Indie-Kids – sogar Familien.

Mit dem Tod Michael Jacksons: Glaubst du die Zeit großer Ikonen im Pop ist vorbei? Bewegt sich alles sowieso mehr im Indie-Bereich?

Dom: Das hat sich verändert, in diesen Tagen, definitiv. Die Musik ist immer und überall abrufbar. Es gibt so viel Musik. Als Michael Jackson erfolgreich war .... In den 8oern, da waren viele der heutigen Genre noch nicht einmal erfunden. Und die Beatles, Elvis Presley .... Ich glaube, es ist unmöglich, dass so was noch mal vorkommt. Die Leute haben selbst so viel Ahnung von Musik, sie haben so viel schon gehört.

Wann und wie habt ihr denn vom Tod des King Of Pop erfahren?

Dom: Wir waren in New York um das Album zu mastern, also eigentlich schon fertig. Wir hatten ein Meeting mit MTV, weil wir im September bei den Music Awards spielen. Also hielten wir Rücksprache mit dem Director der Show, und wir erfuhren gegen Ende von der Nachricht. Wir alle dachten nur: "Holy Shit!".
Die Situation war so surreal, wir hatten eine gute, entspannte Besprechung, und dann so was. Das war wirklich tragisch. Fast jeder, der Musik liebt, war zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens auch Fan Michael Jacksons.

Aber ein direkter Einfluss für Muse war er nicht?

Wahrscheinlich, doch. (Überlegt) Zum Beispiel "Time Is Running Out", der groovy Beat, der Bass-Lauf am Anfang, das ist doch genau Billy Jean.

Dom, stimmt es, dass du bei dem kommenden Soloprojekt von Andy Burrow, dem ehemaligen Drummer von Razorlight, Schlagzeug spielst?

Dom: Ich habe einmal für ihn gespielt, bei einem Charity-Gig. Er ist ein ziemlich guter Freund von mir. Das war aber noch während seiner Zeit bei Razorlight. Ich hab gehört, die sind ziemlich erfolgreich, in Deutschland, stimmt das? Er hat die Band ja kürzlich verlassen, aber an eigenen Songs schreibt er schon länger.

Und wenn er ins Studio geht, um ein Solo-Album aufzunehmen, werde ich wahrscheinlich für ein paar Songs das Schlagzeug einspielen, aber erst im nächstes Jahr. Ich kann euch aber erzählen, was Andy als nächstes macht: Er ist mit seiner Frau und Kind nach New York gezogen und wird We are Scientists beitreten. Kennt ihr die? Also, zumindest geht er mal mit denen ins Studio, um die Songs einzuspielen, und begleitet sie auf ein paar Konzerten.

Zum Schluss noch eine ganz andere Frage an dich, Matt: Du wirst des Öfteren von Lesern des Rolling Stones zum "Sexiest Rockstar" gewählt. Schmeichelt das, oder empfindest du das als Geringschätzung deiner Musik?

Matt: Mir macht das nichts aus, aber es ist mir eigentlich auch ziemlich egal (lacht). Das sind unsere verrückten Fans, die voten immer, wenn man bei MTV oder so abstimmen kann. Wahrscheinlich könnten die nach dem besten Koch fragen - die würden uns wählen, ohne jemals was von uns gegessen zu haben. Wir haben, glaube ich, eine große Fan-Base bei den Internet-Nutzern, und wenn da abgestimmt wird, sind wir vorne dabei ... Ich bilde mir da nichts drauf ein, es ist aber nett, zu wissen, dass es solche Fans gibt …

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