laut.de-Kritik
Chaosprojekt in der Schnittmenge von Outkast und RHCP.
Review von Yannik GölzDass der Mann, dem Pop in den Zweitausendern mehr oder weniger gehört hat, einen Hang zum Chaos hat, das hätte man Pharrell Williams auch schon vor dem 2001 erschienenen Debutalbum "In Search Of..." von Neptunes-Liebeskind N.E.R.D, unterstellt. Aber erst diese Rock-affine B-Seiten-Verwertungsanstalt machte das popkulturelle Profil von Skateboard-P, Chad Hugo und Shay Haley komplett. Wo wahnwitzig gewerkelt werden durfte, jedes musikalische Experiment von Nu-Metal bis hin zu Sample-Roulette willkommen war und es keinen gestört hat, mal übers Ziel hinauszuschießen. Und weil niemand so wirklich stirbt, bäumt sich dieses Projekt 2017 noch einmal zum bislang konzentriertesten und rundesten Anlauf auf.
Das semi-selbstbetitelte Album setzt dabei auf eine recht bewährte Formel: Chaotisches Wall-Of-Sound-Sampling auf explosiver Drum-Anarchie, dazwischen Funk-Basslines und ein paar analog klingende Synthesizer. Hier werden Produktionstricks vom Bomb Squad oder von späteren A Tribe Called Quest-Alben verwendet, um Sound zu machen, der sich in der womöglich existierenden Schnittmenge von Outkast und den Red Hot Chili Peppers ansiedelt.
Kann man mit vielem vergleichen, meistens ist man aber beschäftigt, erstmal mitzunicken. Nummern wie "1000" und "Secret Life Of Tigers" ziehen so intuitiv, das zu viel darüber Nachzudenken vermutlich kontraproduktiv wäre. Insbesondere letzterer Titel glänzt mit auf verschiedenen Instrumenten gespielter Bassline, die so fantastisch mit Chorus, Setup und Drop arbeitet, dass jede Rückkehr zum leitenden Synthesizer eine einzelne kleine Erlösung darstellt.
Irgendwo dazwischen passiert währenddessen laut Lyrics eine ganze Menge politischer Kram, der aber ehrlicherweise ziemlich im Vibe von Party und Blödelei untergeht. Kendrick Lamar kanalisiert auf "Don't Don't Do It!" seinen ganz persönlichen "Bombs Over Bagdad"-Andre 3000, um den Polizeimord an Keith Scott in Charlotte, NC zu thematisieren, aber selbst dieser Song unterliegt einem so fröhlichen, fast albernen Gefühl, dass die Revolutions-Vibes einfach nicht so recht aufkommen wollen.
Abgesehen von diesen etwas seltsam platzierten Aktivisten-Chants gebiert sich "No-One Ever Really Dies" als Partyalbum für zeitgenössische Musiknerds. Auch wenn es erstmal primär auf die griffigen Rhythmen gepolt scheint, eröffnen sich bei näherer Betrachtung Collagen-artige Tracks mit so vielen musikalischen Ideen, dass man kaum noch hinterherkommt. Konstant springen Motive und Instrumente ein und aus, ständig tänzelt die Songstruktur um die Konvention herum. Das mindert die Eingängigkeit, da die einzelnen Motive hier und da ein paar Anläufe brauchen, um wirklich im Kopf zu bleiben. Wenn man mit der Übersättigung aber erstmal klargekommen ist, macht es um so mehr Spaß, jede Finesse in den Produktionen zu entdecken.
Genauso interessant gestaltet sich die Feature-Palette: Von jedem Ende der aktuellen Szene werden hier Gastmusiker eingespannt, von Rihanna über Ed Sheeran, von Future über Gucci Mane, von Wale bis Kendrick Lamar bis hin zu Andre 3000 und M.I.A. Und auch wenn jeder Einzelne so stimmig und unbedarft in die vorherrschende Soundkulisse eingewoben wird, wird keine Stimme ihrer individuellen Qualität beraubt. RiRi stuntet mit einem der Rap-Verses des Jahres, Gucci Mane übernimmt eine Hook, 3 Stacks macht traurig, dass da wohl kein Soloalbum mehr kommen wird.
Besonders interessant gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Atlanta-Vorherrscher Future, der auf "1000" zeitgemäßesten Autotune-Rap vom Stapel lässt, nur um trotzdem in einem perfekten Mittelweg aus glattem Synthesizer-Sound und ekstatischem, analogen Funk zu landen. Wie mühelos die Neptunes hier komplette Stilrichtungen in einen Guss bringen, beeindruckt aber nicht nur bei den Zusammenarbeiten. "Lightning Fire Magic Prayer" kommt als eine überambitionierte Genreschwemme daher, die in hypnotischen Trip Hop-Elementen, treibenden Grooves und einem der besten Breakdowns des Jahres vielleicht den besten Song der Platte schafft.
Ja, 2017 ist N.E.R.D nach wie vor Chaos. Die komplett ungezwungenen, mit musikalischen Ideen überlaufenden Tracks lassen sich genauso tanzen wie unter Mikroskop sezieren. Vor lauter Energie und formloser Feierstimmung fallen die ernsteren Textmotive ein wenig unters Rad, aber vielleicht ergeben die sich auch noch mit vermehrten Hördurchgängen. Die zweifellos folgen werden.
6 Kommentare mit einer Antwort
Großartig! Volle Punktzahl.
die erste N.E.R.D. Platte die ich je gehört habe. Sehr experimentell, und eigen. Erfrischend.
4/5
Hört sich interessant an, aber bei der Gastliste wird mir schlecht.
Seh ich auch so.
Hm, doch nicht schlecht, trotz der Gästeliste
Pseudo-Experten üben Pseudo-Kritik. Neptune's funktionieren mit fast jedem Gast, da diese sich an die Produktionen anpassen und nicht andersrum, wie sonst üblich!
Alter Ed Sheeran ist überall