12. April 2012

"Wir waren übervorsichtig"

Interview geführt von

Bei Nada Surf hat sich in der Vergangenheit so einiges getan. Ihr aktuelles Werk "The Stars Are Indifferent To Astronomy" wurde erstmals seit ihrem 1996er Debüt "Hi/Lo" wieder im heimischen Loft von Bassist Daniel Lorca aus der Taufe gehoben. Zudem stockte man sowohl für die Recordings, als auch für die anschließenden Tour-Aktivitäten in Gestalt von Gitarrist Doug Gillard das Personal auf, was zur Folge hat, dass Nada Surf anno 2012 druckvoller und variabler klingen als je zuvor.Nada Surf-Oberhaupt Matthew Caws sieht von weitem mittlerweile ein bisschen aus wie Steve Martin. Zwanzig Jahre Rock-Biz inklusive unzähliger Tourneen haben ihre Spuren hinterlassen und ließen das Haupthaar des Frontmanns weitestgehend ergrauen. Dennoch versprüht der 44-jährige New Yorker jugendliche Frische.

Im Zuge der Tour zum aktuellen Album des Trios führt mich Matthew lächelnd und gut gelaunt durch das Catering-Labyrinth im Berliner Huxleys. Zwei Stunden vor der Show plaudern wir in der Folge über Schatten der Vergangenheit und kollektive Wohlfühlmomente der Gegenwart.

Hallo Matthew. Euch gibt es jetzt seit zwanzig Jahren. Nie geriet das Personal-Karussell ins Schwanken, und nie gab es einen Rockband-typischen Skandal zu vermelden. Worauf basiert diese beeindruckende Harmonie unter euch?

Matthew: Nun, ich denke, der Grund dafür liegt weit über zwanzig Jahre zurück. Damals kam es zu einem zwischenmenschlichen Urknall zwischen Daniel und mir (lacht). Wäre das nicht passiert, würde es Nada Surf heute vielleicht gar nicht geben.

Was ist denn genau passiert?

Matthew: Bevor wir Nada Surf gründeten, spielten wir zusammen in einer Band namens The Cost Of Living. Während dieser Zeit hatten wir einmal einen ziemlich derben Streit, der unsere Freundschaft für anderthalb Jahre auf Eis legte. Daniel ging dann nach Spanien, und wir redeten nicht mal mehr miteinander. Absolut kindisch im Nachhinein, aber so war es.

Irgendwann kam er wieder zurück nach New York, und wir überschütteten uns gegenseitig mit Entschuldigungen (lacht). Wir haben es dann wieder hinbekommen und uns geschworen, dass so etwas nie wieder passieren dürfe. Diese Phase hat uns letztlich unheimlich geholfen, auch wenn es vielleicht absurd klingen mag. Aber seitdem gab es nie wieder Stress, ganz im Gegenteil. Manchmal muss halt erst das Licht ausgehen, damit einem die Augen aufgehen.

Inwieweit haben äußere Umstände Einfluss auf das Bandgefüge?

Matthew: Ich würde fast sagen, dass beispielsweise die Tatsache, dass wir über all die Jahre von unseren Fans so uneingeschränkt unterstützt worden sind, eine mindestens genauso große Rolle hinsichtlich unserer Harmonie innerhalb der Gruppe spielt. Dieser Rückhalt ist schon fantastisch. Ich meine, die letzten zehn Jahre waren allgemein nicht immer rosig. Auch wir hatten mit der Biz-Krise zu kämpfen, verstehst du? Aber, ganz egal, ob wir kleine Shows oder große Gigs gespielt haben, das Publikum war immer präsent. Das schweißt natürlich auch immens zusammen und gibt einem das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.

Euer aktuelles Werk "The Stars Are Indifferent To Astronomy" steht eurem druckvollen Live-Sound in nichts nach. Das war bei den letzten Alben nicht immer der Fall. Was war diesmal anders?

Matthew: Wir haben in der Vergangenheit im Studio immer versucht, alles richtig zu machen. Auf jede Kleinigkeit wurde geachtet, und so haben wir das Gefühl für den eigentlichen Sound immer irgendwie aus den Augen verloren. Wir waren zu übervorsichtig. Wir waren in verschiedenen Studios und haben mit verschiedenen Leuten zusammengearbeitet. Für das neue Album wollten wir unverkrampfter an die Sache rangehen und die Songs und die Ideen einfach fließen lassen. Deswegen haben wir auch das erste Mal seit unserem Debütalbum wieder in unserer Heimatstadt New York aufgenommen.

"Dieses Mal war es komplett anders, viel entspannter"

Ihr habt erstmals mit einem zweiten Gitarristen gearbeitet. Inwieweit hatte die Arbeit von Doug Gillard Auswirkungen auf den "Rockgehalt" des neuen Albums?

Matthew: Ich würde nicht sagen, dass wir jetzt roher oder kantiger klingen, nur weil wir mit zwei Gitarren gearbeitet haben. Es war eher die allgemeine Stimmung während des Songwritings und der Aufnahmen, die letztlich dazu geführt hat, dass das Album so klingt wie es klingt.

Dann war es also eher Daniels (Daniel Lorca, Bassist) legendäres New Yorker Loft, welches den Rock-Vibe eurer Anfangstage wieder zu Tage förderte?

Matthew: Ja, das kann man so sagen (lacht). Wir waren die ganzen Jahre vorher in Los Angeles, Seattle oder San Francisco unterwegs und haben dort unsere Alben eingespielt. Das hat auch immer weitestgehend gut funktioniert, aber wenn du weit weg von Zuhause aufnimmst, verlierst du unheimlich viel Zeit. Du musst deinen Kram zusammenpacken und du musst ihn vor Ort wieder auspacken und dich vernünftig einrichten. Dann hast du noch Jetlag, und plötzlich stehst du vor dem Mikro und sollst deine neuen Songs einsingen. Das ist unheimlich stressig.

Dieses Mal war es komplett anders, viel entspannter. Wir haben eine ganze Zeit lang geprobt, Ideen ausgetauscht und bis in die Puppen gespielt, bis wir an einem Sonntagabend der Meinung waren, soweit zu sein. Am nächsten Morgen haben wir unser Equipment drei Blocks die Straße hinter uns hergezogen und haben uns ins nächstbeste Studio einquartiert. Mittags ging es los und keine fünf Tage später war die Scheibe weitgehend im Kasten. Wir brauchten nicht Mal ein Metronom. Wir waren einfach drin. Dann haben wir die Sachen wieder eingepackt, sind zurück ins Loft und haben dort an den letzten Overdubs gefeilt, und das war's. Wir hatten einfach keinen Druck, das war der ausschlaggebende Punkt.

"Wir haben unsere Schuldigkeit getan"

Einige munkelten, dass der Vorgänger - das Coveralbum "If I Had A Hi-Fi" - euer letztes Album sein könnte. Gab es auch innerhalb der Band diese Überlegung?

Matthew: Nein. "If I Had A Hi-Fi" haben wir aufgenommen, weil wir zu dieser Zeit etwas machen wollten, ohne aber groß auf irgendetwas warten zu müssen. Es gab keinen Songwriting-Prozess und keinen großartigen Ideen-Austausch. Es ging nur darum, welche Songs es letztlich werden sollten. Das ist zwischendurch auch mal ein sehr relaxtes Arbeiten (lacht).

Die letzten zwei oder drei Alben davor sind wir ins Studio gekommen und hatten vielleicht das halbe Album fertig, sodass während der Aufnahmen noch am Rest gearbeitet werden musste. Das ist natürlich aufregend, aber vor allem ist es unheimlich stressig. Diesen Stress hatten wir bei "If I Had A Hi-Fi" nicht. Die Songs waren ja schon fertig, auch wenn wir sie natürlich noch auf unsere Bedürfnisse zuschneiden mussten.

Das klingt ein bisschen nach einer Band, die mittlerweile nur noch macht, worauf sie Lust hat. Ist dem so?

Matthew: Ja, absolut. Das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber meiner Meinung nach haben wir unsere Schuldigkeit getan. Wir haben genug Alben draußen und wir haben überall auf der Welt gespielt. Druck spielt bei uns nur noch eine untergeordnete Rolle. Wir sind mittlerweile viel befreiter in allem was wir tun, als noch vor zehn Jahren. Nimm einfach die erste Single "When I Was Young": Normalerweise hätten wir um der Logik willen eher einen Song wie "Clear Eye Clouded Mind" als ersten Vorgeschmack veröffentlichen sollen. Dieser Song repräsentiert den Grund-Sound des Albums sicherlich um einiges treffender als "When I Was Young".

Aber wir dachten uns, so what? Wir machen was wir wollen, und "When I Was Young" ist einer unserer Lieblingssongs auf der Scheibe. Also, warum sollten wir die Leute nicht etwas verwirren und vor den Kopf stoßen (lacht). Dieses Gefühl, befreit von jeglichem Druck arbeiten zu können, ist wundervoll. Ich glaube, das hört man auch auf unserem neuen Album.

Das Album versprüht definitiv viel positive Energie, da gebe ich dir Recht, auch wenn man thematisch gesehen denken könnte, dass du dich nach Vergangenem zurücksehnst. Zeit ist ein großes Thema auf der Scheibe. Schwelgst du gerne in Erinnerungen?

Matthew: Ja, das tue ich, aber viel lieber beschäftige ich mich mit dem Heute und Morgen (lacht). Man darf die Texte auf dem neuen Album auch nicht missverstehen. Es geht nicht darum, zu sagen, dass früher alles schöner und besser war, sondern eher darum, ein Bewusstsein für Vergangenes zu schaffen, um das Hier und Heute besser verstehen zu können.

Es gibt doch so viele Dinge, die einem vor Jahren als junger Mensch widerfahren sind und die man zu der Zeit nicht richtig einordnen konnte. Das kennt doch jeder. Irgendwann später mit den Jahren werden manche Dinge erst richtig klar, und fangen an Sinn zu machen. Darum geht es auf dem neuen Album, wenn auch nicht nur ausschließlich.

Für was brauchtest du persönlich lange Zeit, um es zu verstehen?

Matthew: Oh, da gibt es so einiges (lacht). Zum Beispiel, die Sache mit Daniel, über die wir vorhin sprachen. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit und Wut machte lange Zeit keinen Sinn für mich. Mittlerweile bin ich froh, dass wir diese Phase durchgemacht haben, denn, wie gesagt, wer weiß, ob es die Band heute geben würde, wenn das damals nicht passiert wäre. Viele Dinge ergeben sich erst mit den Jahren, und viele Dinge werden einem mit den Jahren auch erst richtig bewusst, wenn man anfängt sie zu akzeptieren und damit zu leben.

Ich habe mich früher beispielsweise nie sonderlich wohl auf der Bühne gefühlt, weil ich mir nicht sicher war, ob ich mich wirklich als Musiker bezeichnen durfte. Ich kann heute noch keine Noten lesen, verstehst du? (lacht). Wenn mich jemand nach meinem Beruf gefragt hat, war es mir immer etwas unangenehm und fast schon peinlich zu sagen, dass ich Musiker sei, weil ich mich selbst nicht so richtig als einen echten Musiker empfunden habe. Das war ein Prozess. Mittlerweile gibt es fast nichts Schöneres, als auf der Bühne zu stehen und präsent zu sein. Dieses Selbstbewusstsein habe ich jetzt. Diese Entwicklung war wichtig für mich, um heute der zu sein, der ich bin.

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