laut.de-Kritik
Die vielleicht beste Platte der Extreme-Metaller überhaupt.
Review von Toni HennigMark 'Barney' Greenway dürfte wieder mal ziemlich angepisst gewesen sein. Angesichts der Polizeigewalt in den USA, der Diskriminierung, die Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe und sexuellen Orientierung befürchten müssen und zunehmender Fremdenfeindlichkeit hat er auch allen Anlass dazu. Die Wut des Sängers über bricht sich nun auf "Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism", dem ersten Napalm Death-Album seit fünf langen Jahren, Bahn. Dies geschieht allerdings, wie gewohnt, nie ziellos, sondern mit Hirn und Verstand.
Dabei bekommt Gitarrist Mitch Harris nur noch Credits als Gastmusiker, genau wie Tourgitarrist John Cooke. Laut 'Barney' hat sich Harris aus familiären Gründen ein wenig zurückgezogen. Somit besteht das Haupt-Line-Up nur aus Greenway, Bassgitarrist Shane Embury und Drummer Danny Herrera. Auf das Klangbild hat dies aber keinerlei Einfluss, tönen die Saitensounds dank der wuchtigen Arbeit von Langzeitproduzent Russ Russell so eindringlich wie eh und je.
Das macht schon der Opener "Fuck The Factoid" unmissverständlich klar, der in derber Deathgrind-Manier alles kurz und klein schlägt und von den Gitarren-Harmonien eine ziemlich finstere Atmosphäre ausstrahlt. Und 'Barney'? Der klingt, obwohl er das 50. Lebensjahr schon überschritten hat, mit den Jahren immer giftiger und angefressener. Man denkt also zunächst, dass "Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism" nahtlos an den Vorgänger Apex Predator - Easy Meat" anknüpft. Dass dem nicht so ist, verdeutlicht das folgende "Backlash Just Because", wenn sich die Nummer zwischen moshigen Parts und für Napalm Death recht ungewohnten Mathcore-mäßigen Riffs hin- und herbewegt und nebenher noch dreckiges Punk-Flair versprüht.
Herrlich, wie die Truppe, auf die sich Metal-Heads, Punks und Hardcore-Fans gleichermaßen einigen können, danach in "That Curse Of Being In Thrall" wüstes Gegrinde, groovige Passagen und komplexere Rhythmen miteinander verbindet. Jedenfalls umreißt die Platte im Grunde jede einzige Schaffensphase der Mannen aus Birmingham, vom krachigen Grindcore der Anfangstage über den rhythmischen Death Metal Mitte der 90er bis hin zur rohen Aggressivität und düster verspielten Epik des Vorgängers.
An den knüpft auch das "Contagion" an. Dort löst eine tiefe Grabesstimme im Refrain das Hochgeschwindigkeitsgeballer in den Strophen ab. Noch abgründiger gestalten sich die Industrial-Rhythmen, die vor allem "Joie De Ne Pas Vivre" und den maschinell-klinischen Rausschmeißer "A Bellyful Of Salt And Spleen" dominieren, der das Blut in den Adern gefrieren lässt.
In "Invigorating Clutch" vernimmt man diese Morbidität ebenfalls. Nur gesellt sich noch eine gehörige Portion Groove aus "Diatribes"-Zeiten hinzu, so dass man aus dem Hüpfen und Pogen nicht mehr herauskommt, wenn der Song es später ins Live-Repertoire der Formation schaffen sollte. Danach gibt es mit den beiden Wutklumpen "Zero Gravitas Chamber" und "Fluxing Of The Muscle" in gewohnter Napalm Death-Manier so gewaltig auf die Rübe, dass einem Sehen und Hören vergeht.
Da überrascht es umso mehr, dass das folgende "Amoral" absolut rein gar nichts mit Metal zu tun hat. Stattdessen hört man durchgängig Postpunk-Killing Joke-Geriffe und garstigen Noise-Rock-Gesang in Anlehnung an Daughters - der heimliche Hit der Platte. Warum nicht mal eine komplette Scheibe in diesem Stil? Würde den Briten hervorragend zu Gesicht stehen.
Im Anschluss wütet 'Barney' mit zornigen Shouts drauflos: Das Titelstück treibt gnadenlos nach vorne, nimmt aber zugunsten der instrumentalen Varianz zwischenzeitlich immer wieder das Tempo ein wenig zurück, was der Schonungslosigkeit aber keinen Abbruch tut. "Acting In Gouged Faith" pendelt schließlich irgendwo zwischen kompromisslosem Grind und der rhythmischen Komplexität der Vorgängeralben.
Sicherlich nicht unmöglich, dass "Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism" bei so viel ungebändigter Spielfreude, Angriffslust und musikalischer Horizonterweiterung bei vielen Fans irgendwann zur sogar besten Napalm Death-Platte heranwächst und das zu Recht, denn trotz aller Finsternis lässt sich Wut kaum unterhaltsamer kanalisieren. Im Extreme Metal bleiben Napalm Death eine Klasse für sich.
2 Kommentare
mag ich
Gefällt mir auch sehr gut. Sonst packen es Napalm Death nicht immer, mich auf Albumlänge zu überzeugen. Hier schaffen sie es.
Ich stimme der Review voll und ganz zu.