1. April 2010

Seelenstriptease und Whisky für lau

Interview geführt von

Endlich ist es also doch noch wahr geworden! Endlich ist "The Obsidian Conspiracy", das neue Album von Nevermore fertig aufgenommen und für die neugierige Journaille bereit gestellt. Eigentlich war ja bereits Ende letzten Jahres eine Prelistening-Session in Holland angesetzt, die aber kurzfristig wieder abgesagt wurde. Grund dafür war schlicht und ergreifend, dass die Scheibe noch lange nicht fertig war.Auch Ende März, als uns im Rahmen der Musikmesse Frankfurt im Eschenheimer Turm insgesamt 13 Songs (incl. 3 Bonustracks) um die Ohren fliegen, sind die Nummern noch nicht gemastert. Einstimmiges Urteil nach dem ersten Durchlauf: scheiß auf's Mastering! Die Songs ballern jetzt schon ohne Ende!

Von Nevermore ist Gitarrist Jeff Loomis vor Ort, der seinen ersten Whisky noch mit Cola versaut, sich aber dann von mir überzeugen lässt, dass man einen zwölfjährigen Highland Park Scotch nicht vergewaltigen sollte und auch auf die amerikanische Abartigkeit, Eis in einen Whisky zu werfen, ist schnell abgehandelt. An den zwei folgenden Tagen wird Jeff auf der Messe für seinen Endorser Schecter den ein oder anderen Workshop abhalten, ein paar Songs von seinem Soloalbum spielen und auch einen der neuen Tracks von Nevermore vorstellen.

Zwar merkt man dem Gitarristen, der erst am frühen Morgen in Frankfurt gelandet ist, den Jetlag leicht an. Dennoch ist der Mann sehr gut aufgelegt und streut ins zwanglose Gespräch die ein oder andere Schote und Anekdote von manchen Personen aus dem Nevermore-Umfeld ein, bei denen man sich nicht wirklich sicher ist, ob man diese Leute persönlich kennen lernen will. Menschen die einem, während man mit ihnen am Tisch sitzt, freundlich lächelnd über die Schuhe strullern, sind mir dann doch ein wenig suspekt.

Irgendwie schwer vorstellbar, dass sich Jeff mit solch durchgeknallten Typen umgibt und sich auch selber als ein wenig unberechenbar bezeichnet. Dass Nevermore der Ruf einer heftigen Partyband vorauseilt, ist bekannt. Aber das in Einklang mit diesem zurückhaltenden, überaus höflichen, zuvorkommenden und fast schon schüchternen Menschen zu bringen, der mir im Interview gegenüber sitzt, fällt beinahe schwer. Dazu später mehr.

Aber genug der langen Einleitung, kommen wir zum kurzen Überblick der Tracklist.

"The Obsidian Conspiracy"

1. The Termination Proclamation

Der Einstieg ist direkt mal voll auf die Zwölf Die Riffs von Jeff sind so massiv und fett wie eh und je, lassen Sänger Warrel aber jede Menge Raum für seine Gesangslinien.

2. Your Poison Throne

Das bestätigt sich bereits im zweiten Song. Die Nummer ist äußerst eingängig und vor allem der Chorus lädt schon nach der ersten Wiederholung zum mitsingen ein.

3. Moonrise (Through Mirrors Of Death)

Ach hier glänzt Warrel mit einer genialen Gesangslinie im Chorus. Allerdings schießt Jeff in dem rasanten Song ein paar Riffs raus, die einem glatt den Sack rasieren. Eine der härtesten Nummern der Band.

4. And The Maiden Spoke

Steht dem Vorgänger in Sachen Härte in Nichts nach. Das Drumming von Van Williams ist hier allerdings ein wenig sperriger, als auf dem restlichen Album.

5. Emptiness Unobstructed

Leitet den balladesken Mittelteil des Albums ein. Der Track bleibt im melancholischen Midtempo und baut auf eine mit akustischen Gitarren intonierte Strophe auf.

6. The Blue Marble And The New Soul

Nahe an einer Ballade dran und für Jeff, wie er mir gegenüber zugibt, der persönlichste und wichtigste Song des Albums. Für Warrel wohl ebenfalls, der über die sanften Klänge mit einer echt harten Stimme hinweg singt. Die Soloarbeit von Jeff ist (auch hinter dem Gesang) überragend.

7. Without Morals

Damit sind die ruhigen Klänge vorerst vorbei und es gibt wieder jede Menge Saft. Die Gitarrenarbeit ist extrem stark und vor allem sehr transparent gestaltet.

8. The Day You Built The Wall

Mit seinem 4/5-Takt ist der Midtemposong ein wenig sperrig. Strophe und Refrain wechseln einmal mehr zwischen akustisch und verzerrt und erschaffen so eine interessante Atmosphäre.

9. She Comes In Colors

Ähnlich geht es hier zu, wobei der balladeske Beginn nach zwei Minuten in einen massiven Riffangriff übergeht.

10. The Obsidian Conspiracy

Den krönenden und wieder verdammt heftigen Abschluss liefert der Titeltrack, der in Sachen Riffs und ordentlicher Härte, keine Wünsche offen lässt. Vor allem Van tritt seine Doublebass beinahe durch die Wand!

11. The Purist's Drug

Die Nummer wird wohl leider nur für den japanischen Markt sein. Das bringt die Europäer um einen Song mit einem halb verschleppten Einstieg und einem Refrain, der bei jeder Wiederholung besser wird.

12. Crystal Ship

Wer erwartet hat, dass Nevermore die The Doors-Coverversion ähnlich uminterpretieren, wie damals "The Sound Of Silence" von Simon, sieht sich getäuscht. Die Nummer ist sehr nah am Original und - ja, ich behaupte sogar fast besser!

13. Temptation

Auch die The Tea Party-Nummer ist nicht sonderlich weit vom Original entfernt. Man mag sich über die Auswahl zwar ein wenig wundern, gelungen sind die beiden Coverversionen aber allemal!

Das Interview:

Nach einem sehr leckeren Essen wollen wir den Abend gegen halb zwölf auch langsam für Jeff beenden, weswegen ich mein Interview mit einem Kollegen aus München absolviere. Der Kollege legt dabei das Feingefühl einer Abrissbirne an den Tag und bohrt bei dem immer offen und ehrlich antwortenden Gitarristen bei sämtlichen Boulevard-Themen auch dann nach, wenn Jeff bereits sichtlich genervt auf die Fragen reagiert. An dem Spiel will ich mich aber nicht beteiligen.

Jeff, zwischen "This Godless Endeavor" und "The Obsidian Conspiracy" ist jede Menge Zeit vergangen. Wie kam es dazu.

Naja, wir waren in der Zeit ja auch nicht untätig. Wir waren zwei Jahre für "This Godless Endeavor" auf Tour, dann hat Warrel seine Soloscheibe veröffentlicht, danach ich meine und dann kam auch schon die Live-DVD "Year Of The Voyager". Also wirklich lange waren wir eigentlich gar nicht weg, aber es stimmt schon, dass Nevermore einfach mal eine Auszeit von einander brauchten. Das war wichtig, aber jetzt sind wir wieder zurück, innerhalb der Band ist wieder alles in Ordnung und nach den ersten Festivals im Mai werden wir eine große Europa- und eine US-Tour fahren. Und vor allem haben wir auch einen neuen Rhythmus-Gitarristen dabei. Wir werden also nie wieder als Quartett touren müssen (lacht).

So so, und wer ist der Neue?

Hm, das darf ich euch eigentlich noch gar nicht so richtig erzählen. Wir wollen damit noch ein wenig hinterm Berg halten, da er noch nicht mal alle aus der Band getroffen hat. Van, unser Drummer ist ihm bislang noch nicht über den Weg gelaufen und konnte entsprechend noch nicht sein 'ok' geben. Aber der Kerl hat schon bei Warrels Soloprojekt auf dessen Westcoasttour live gespielt, also dürfte der ein oder andere ihn bereits kennen. Sein Name ist Attila Goulash, er stammt aus Ungarn und ich hab vor zwei Wochen mit ihm eine Audition bei mir daheim gehabt und der Kerl kannte jeden verdammt Song! Der ist wirklich unglaublich. Er spielt jedes Riff, dass ich hören wollte mit einer unglaublichen Technik und jeder Menge Gefühl. Dabei ist er gerade mal 24 Jahre alt. Der Junge ist eine absolute Bereicherung für die ganze Band! Auf die neue Scheibe hatte er aber natürlich noch keinen Einfluss.

Darf er denn live dann seine eigenen Soli spielen, oder bleibt der Solokram fest in deiner Hand?

Haha, das wäre grob fahrlässig, ihn keine Soli spielen zu lassen. Das war ja es ja auch, was mich so an dem Mann beeindruckt hat. Irgendjemand hat mir einen Link zu einem seiner youtube-Videos geschickt und ich hab mir glaub ich "Narcosynthesis" angeschaut. Ich saß wirklich da wie "Kevin Allein Zu Haus". Beide Hände im Gesicht, den Unterkiefer auf dem Boden und konnte es nicht fassen! Der Typ hat hunderte von Videos und eins ist krasser als das andere. Sein Stil und sein Feeling ähneln meinem sehr, aber er hat doch noch seinen eigenen Touch dabei. Das ist einfach großartig für eine Band wie Nevermore. Und dann ist der Typ auch noch eine Seele von Mensch! Sehr höflich, bescheiden, freundlich. Ich kann gar nicht genug lobende Worte über Attila verlieren. Ich kann es kaum erwarten, ihn im Mai vorzustellen. Danach werden wir entscheiden, ob er fest dabei bleibt oder nicht.

Wie ist Warrel denn auf ihn gestoßen?

Coole Story. Die Freundin von Chris Broderick (ehemaliger Nevermore-Gitarrist und jetzt bei Megadeth, d.Verf.) arbeitet als Fotografin in L.A. Sie kannte Attila und der hat Chris eines Tages eine Mail geschrieben und gefragt, ob er dessen alten Job haben könnte (lacht). Chris hat dann den Kontakt zu uns hergestellt und Warrel hat ihn schließlich erst einmal in seiner Soloband angetestet. Attila hat zwei Einflüsse: Pantera und Nevermore. Wenn das nicht passt, weiß ich auch nicht. Als Steve Smythe (jetzt bei Forbidden, d.Verf.) damals wegen seiner Nieren-OP ausgestiegen ist, standen wir vor einem echten Problem. Wir haben dann zwar als Quartett weiter gemacht, aber wir brauchen einfach eine Rhythmusgitarre, wenn ich meine Soli spiel.

Wie ist denn die Situation innerhalb von Nevermore mittlerweile?

Hm, das lässt sich nicht so leicht beantworten. Wir hatten in den letzten Jahren definitiv einige Probleme. Warrel hatte Ärger mit seiner Pankreas, was vom Trinken herrührte und auch der Rest von uns war nie einer guten Party gegenüber abgeneigt. Wir waren immer als Partyband bekannt. Als Warrel dann klar wurde, dass er mit dem Alkohol aufhören muss, war es für ihn schwer zu akzeptieren, dass dieser Alkoholverbot nicht auch für den Rest der Welt galt. Wenn Van und ich beispielsweise stockbesoffen in den Bus fielen, war es für ihn anfangs sehr schwer, mit dieser Situation umzugehen. Das führte zu einigen Spannungen.

Jim hat sein eigenes Kreuz zu tragen mit Chrones Desease aber auch ihm geht es mittlerweile wieder recht gut. Allerdings hat sich das alle akkumuliert und sowohl unsere Freundschaft, als auch unsere Produktivität sehr negativ beeinflusst. Lauter private und auch jede Menge kleine Probleme haben sich immer weiter aufgetürmt und irgendwann war klar, dass wir erst einmal eine Auszeit von einander brauchen. Ich nehme mich da gar nicht aus. Auch ich hab mit Alkohol so meine Probleme und muss stellenweise sehr auf mich achten.

Du hast vorhin mal erwähnt, dass das neue Album weitgehend einzeln aufgenommen wurde. Also dermaßen, dass ihr nie gleichzeitig vor Ort ward. Hing das mit den alten Problemen zusammen, dass ihr erst mal wieder zueinander finden musstet.

Auf jeden Fall!. Es gab so viele Dinge, die wir erst einmal klären mussten. Auch und vor allem businesstechnische Probleme. Sachen, über die du dir nie im Leben Gedanken machst, wenn du jung bist und eine Band gründest. Als wir letzte Woche das Fotoshooting hatten und zum ersten Mal seit langem wieder als Band beieinander standen, musst wir uns erst mal wieder privat näher kommen und einige Dinge klären. Kommunikation ist ein großes Problem in vielen Bands und auch bei uns. Man hört oft immer wieder Sachen von anderen, was deine Jungs anscheinend über dich gesagt haben. Aber anstatt sich hinzusetzen und das mit ihnen zu klären, schwiegen wir das lieber tot. Das war auf Dauer fast tödlich. Daran müssen wir arbeiten aber es scheint, als wären wir während des Fotoshootings uns wieder näher gekommen. Ich bin jedenfalls optimistisch.

Mit einem bärenstarken Album wie "The Obsidian Conspiracy" im Rücken wäre alles andere auch nicht angebracht!

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