Die kanadischen Schwermetall-Handwerker und ihr künstlerischer Überlebenswille am Rande der Verzweiflung.
Schmiede (giu) - "Ich fragte mich jahrelang, was aus Anvil geworden war", berichtet Slash im wohlwollenden Vorwort. Und trifft damit den Nagel auf den Kopf: Das vorliegende Buch handelt nicht von den Ruhmtaten einer übermenschlichen Combo, die eine weltweite Gefolgschaft hat. Es erzählt von einer 30 Jahre währenden Karriere mit wenigen erbauenden Momenten und vielen falschen Entscheidungen. Kurzum: Es ist die Geschichte eines Scheiterns.
Der Werdegang der kanadischen Speed Metal-Truppe ist dank des sehenswerten Dokumentarfilms bekannt: Auf zwei anerkannten Alben ("'Hard'n'Heavy", 1981 und "Metal On Metal", 1982) folgte nicht der erwartete Durchbruch, sondern der Abstieg in die Bedeutungslosigkeit. Warum, wissen die zwei Protagonisten Robb Reiner und Steve "Lips" Kudlow bis heute nicht.
Sex, Drugs und Knebelverträge
Klar, Sex & Drugs waren im Spiel. Als der bekannteste Manager der Szene sie unter Vertrag nahm, ärgerten sie ihn mit Starallüren. Sie unterschrieben Knebelverträge, die alle Einnahmen in andere Taschen fließen ließen. Die Mitglieder kamen und gingen. Aber all das taten andere auch. Außerdem gibt es kaum eine Band, die über Jahrzehnte konstant besetzt geblieben ist.
Mit Gitarre/Stimme und Schlagzeug war die Grundbesetzung beständig. Wie so oft fehlte es wohl am überlebensnotwendigen Quäntchen Glück. Und am Ehrgeiz, den Reiner und Kudlow erfolgreicheren Kollegen wie Metallica oder Bon Jovi bescheinigen.
"Anvil - Die Geschichte Einer Freundschaft" liest sich dank des Umstandes, dass die zwei abwechselnd zu Wort kommen und denselben Vorgang durchaus unterschiedlich interpretieren, wie von alleine. Dabei stellt sich heraus, dass Gitarrist Kudlow der kreative Kopf ist, dem es an Durchsetzungsvermögen fehlt, während sich Schlagzeuger Reiner als missverstandener Virtuose sieht, dem alles egal ist, so lange man ihm den verdienten Respekt zollt.
Vor verschlossenen Türen, in leeren Lokalen
Bei der Lektüre erwischt man sich ständig beim Schmunzeln. So amüsiert sich der Leser über eine völlig vergeigte Konzertreise Ende der 90er Jahre, in denen Anvil den Tiefpunkt ihrer ohnehin nicht gerade glorreichen Karriere erreichen.
"Wir hatten kaum Kohle, also konnten wir die Tour nur durchziehen, indem wir selbst einen Minivan mit Anhänger fuhren und jede zweite Nacht während der Fahrt schliefen ... Wir teilten uns die Zeit so ein, dass wir frühmorgens beim nächsten Club ankamen. Wenn wir dann in einem Motel in der Nähe eincheckten, bekamen wir den ganzen Tag umsonst und mussten nur für die Nacht zahlen".
Besser lässt sich der künstlerische Überlebenswille am Rande der Verzweiflung kaum beschreiben. Mehrmals stand die Band sogar vor geschlossenen Türen oder in leeren Lokalen. "Wir kamen bei dem Club in Los Angeles an, um herauszufinden, dass Katon DePena, der Leadsänger von Hirax, uns angeheuert hatte und der einzige Mensch im Publikum war. Katon zog eine Couch vor die Bühne und saß ganz alleine da, um sich Anvil anzuschauen". Die Kosten für den Privatspaß: 300 Dollar.
Späte Genugtuung
Nachdem sich Kudlow und Reiner Jahrzehnte lang von Freundinnen/Ehefrauen ausgehalten ließen und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielten, folgt die Erlösung in Form ihres ehemaligen Roadies Sacha Gervasi, den sie als Drogen liebenden 16-Jährigen zu Beginn ihrer Karriere kennen gelernt hatten und der sich im neuen Jahrtausend als Drehbuchautor in Hollywood einen Namen gemacht hatte. Er stellte eine Crew auf die Beine, die den Dokumentarfilm "Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft" drehte.
Das Mantra, das sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, scheint nun Wirklichkeit geworden: "Die Welt wird erkennen, wie gut wir sind". Ende gut, alles gut? Mehr oder weniger. Zwar genoss der Streifen einen weltweiten Kritik- und Publikumserfolg, doch die guten alten Zeiten sind offenbar dennoch vorbei.
Eine Geschichte, die das Buch nicht mehr erzählt. "Wenn die Haarpracht sich lichtet und die Hose im Schritt kneift, kann das für harte Rocker auf der Bühne peinlich enden. Muss aber nicht. Die kanadische Metal-Band Anvil bewies auf ihrem Konzert in Hamburg: Ehrliches Schwermetall-Handwerk verträgt sogar eine Portion Selbstironie", schreibt Spiegel Online anlässlich eines Auftritts im Juli 2010.
Ein Label haben Anvil immer noch nicht, aber wenigstens waren diesmal ein paar hundert Leute gekommen. Und sie haben uns mit ihren Pleiten öfters zum Schmunzeln gebracht als alle anderen Metal-Bands zusammen.
"Anvil! Die Geschichte einer Freundschaft" ist am 9. August als Taschenbuch im Heyne Verlag erschienen und kostet 12 EUR.
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In Wacken waren sie geil!