Das Idol von Legenden wie Radiohead, David Bowie, Leonard Cohen, Marc Almond und Sonic Youth ist mit 76 Jahren gestorben.
Konstanz (mis) - Scott Walker ist tot. Sein Label 4AD verkündete die Nachricht heute auf Facebook. Die Todesursache wurde nicht genannt. Walker wurde 76 Jahre alt und hinterlässt seine Frau Beverly, eine Tochter und eine Enkelin.
Scott Walker galt als öffentlichkeitsscheuer und enigmatischer Songwriter, quasi das männliche Pendant zur späten Marlene Dietrich. Seine Karriere begann in den 60er Jahren mit der Balladenband Walker Brothers, deren Hit "The Sun Ain't Gonna Shine Anymore" zu einem Kultsong der Hippie-Ära avancierte. Schon hier lässt sich der staatstragende, ins Morbide kippende Vortrag Walkers ablesen, der später auch seine Soloalben dominieren sollte. Auf seinen Soloalben "Scott 1", "Scott 2", "Scott 3" und "Scott 4", die in wahnwitziger Geschwindigkeit binnen zwei Jahren erscheinen, tränkt er seine eigene Melancholie in Soul-, Country- und Folkballaden und interpretiert auch Idole wie Jacques Brel und Burt Bacharach.
In den folgenden Jahrzehnten zieht sich Walker weitgehend aus dem Musikgeschehen zurück. Auf seinen Alben mixt er Rock-Elemente mit klassischen Strukturen und setzt seine hohe, schwere Stimme wie ein Maler den Pinsel ein, einzig um eine spezielle Atmosphäre zu erschaffen. Herkömmliche Songstrukturen finden sich kaum mehr, ab "Tilt" (1995) erinnern seine Werke vielmehr an Lou Reeds "Metal Machine Music", also die völlige Negierung von öffentlichen Erwartungshaltungen.
Walker kollaborierte mit Goran Bregovic für einen Song des Films "Toxic Affair" mit Isabelle Adjani und schrieb 1999 den Score für "Pola X" mit den Schauspielern Guillaume Depardieu und Catherine Deneuve. 2006 erscheint in Kollaboration mit Pulp-Impressario Jarvis Cocker auf 4AD sein experimentelles Noise-Album "The Drift", das seinen Namen einem neuen Publikum nahe bringt. Krachende Gitarrenwände, eruptierende Soundspielereien und seine hallunterlegte Geisterstimme markieren eine Art Horrorfilm-Soundtrack. Der Score zu "The Childhood Of A Leader", dem Kinodebüt von Brady Corbet, ist 2016 Walkers letzte Veröffentlichung.
Musiker wie Cosey Fanni Tutti von Throbbing Gristle, David Bowie, Leonard Cohen, Marc Almond, Thom Yorke von Radiohead, Midge Ure und Sonic Youth zählen zu Bewunderern seiner Kunst. Auch Radiohead-Produzent Nigel Godrich äußerte sich bereits zum Tod der Avantgarde-Legende.
So very sad to hear about Scott Walker.... truly one of the greats.. so unique and a real artist. On my way to work on the first day of recording OK Computer I passed him riding his bike on Chiswick High Street.. and when I got to the studio Thom was holding a copy of Scott 4..
— nigel godrich (@nigelgod) 25. März 2019
6 Kommentare
Och nö ...
Gruß
Skywise
Bittere Sache, gleich mal die alten Solo Alben herauskramen
RIP
Sehr schade. R.I.P.
Ein Künstler, der trotz vieler Bewunderer nie die Anerkennung gefunden hat, die ihm zustand. Er legte eine beispiellose Transformation vom Popsänger zum Avantgardisten vor und inspirierte wohl alle kommerziellen Musiker mit höheren Ansprüchen.
Zwischen "Scott IV" und "Tilt" war seine Karriere etwas ziellos, aber seine letzten Alben ("Bisch Bosch") waren noch mal ein zweiter Frühling.
Folgendes Lied ist nicht nur ein Killertrack. Es ist sogar ein Zodiac-Killertrack. Walker, der in seiner Mentalität wohl englischste aller amerikanischen Songwriter. war nicht nur einer der einflussreichsten Musiker aller Zeiten (u.A. Vorbild für Bowie oder U2). Er bleibt auch einer der charismatischsten Musiker der letzten gut 50 Jahre. Viele lieben seine Popstar-Phase mit den Walker Brothers („The Sun Ain't Gonna Shine Anymore“). Andere lieben Scotts frühe Soloalben und seine Brel-Interpretationen. Dritte schwören auf das konsequent avantgardischte Spätwerk mit Sunn O))) und Co.
Sie alle liegen richtig.
Walkers kreative Vielseitigkeit und bis ins hohe Alter ausgeprägte Neugier war nahezu einmalig. Gern empfehle ich zusätzlich das unterschätzte Filmsong-Album „The Moviegoer“. Doch aus meiner Sicht sticht dieses eine Stück alle anderen Walker-Songs aus. Sein Zauber liegt im blinden Verständnis beider Musiker. Walker überlässt Goran Bregovic den Groove, steuert das Boot aber mit Gesangsmelodie und den Storyteller-Lyrics eines echten Film Noir. Kurioserweise landet ausgerechnet dieses Lied auf keinem Walkeralbum oder in einem Thriller-Score. Stattdessen wird es Bestandteil einer französischen Komödie namens „Toxic Affair“. Der Film ist längst vergessen. Doch diese Nummer über einen der rätselhaftesten Kriminalfälle aller Zeiten bleibt.
„...in the midnight...he's waiting at the bars...“
Ruhe sanft, süßer Prinz.
https://www.youtube.com/watch?v=Ju_tvuIeSvM