Das Testament des Grunge-Außenseiters: Ein grimmiger Blick in die Fratze des Todes und eine Pflichtlektüre für Coronaleugner.

Konstanz (mis) - "Close the book if the story's over, cash out a curtain call, this is clearly the fall I won't get up from", steht es auf dem Klappentext geschrieben. Um die Weihnachtszeit herum verbreitet sich die Neuigkeit, dass Mark Lanegan abermals ein Buch geschrieben hat. Inhalt: Seine Corona-Erkrankung. Niemand konnte damals freilich ahnen, dass der Vorhang für den US-Sänger nur wenige Wochen nach dem Auslieferungstermin des Buches tatsächlich für immer fallen würde.

Dass seine Geschichte wirklich zu Ende ist. Die Todesursache wurde nie öffentlich gemacht, Lanegan ist in seinem Haus in der irischen Wahlheimat Killarney gestorben. Nach der Lektüre von "Devil In A Coma - A Memoir" (White Rabbit Book, gebunden, englisch, 142 Seiten, 11,98 Euro) ist schwer vorstellbar, dass sich sein Tod unabhängig von Covid-19-Langzeitfolgen ereignet haben könnte. Lanegan war als langjähriger Drogenabhängiger schließlich die Definition einer Risikogruppe.

Positiv nach Interviewtermin

Das weiß auch Cold Cave-Sänger Wesley Eisold, Gast auf Lanegans letztem Album "Straight Songs Of Sorrow", der im Vorwort die Kämpfernatur des Sängers in den Vordergrund stellt, und vorsichtig das Happy End formuliert, dass dessen Überleben die Seele bereichere. Trotz des traurigen Sequels im echten Leben lässt sich Eisolds Lob nun auf das Buch übertragen. Denn wie schon bei seiner musikalischen Lebensbeichte "Sing Backwards And Weep" (2020) begeistert Lanegan mit grimmiger, kraftvoller Prosa im Stil Bukowskis, in der kein Protagonist so viel Fett abbekommt wie er selbst. Mit Ausnahme des Schicksals, das ihn Ende 2020 in Gestalt eines irischen Journalisten heimsucht, dem Lanegan wider besseres Wissen Zutritt in sein Haus gestattet - und der sich am Folgetag positiv testet.

Lanegan liegt drei Monate lang im Krankenhaus, zu einem Drittel davon bewusstlos. "Devil In A Coma" rekonstruiert den Alptraum seines Lebens beginnend mit dem Treppensturz im eigenen Haus, in dessen Folge er 48 Stunden auf dem Boden liegend verbringt, bis seine Frau gegen Lanegans Willen doch einen Krankenwagen ruft. Was dann geschieht, ist mit Höllentrip nur unzureichend umschrieben. Der Sänger kommt mit akuter Nieren­insuffizienz sofort auf die Intensivstation, eine Transplantation scheint unausweichlich, ein Luftröhrenschnitt steht im Raum, die Ärzte schreiben ihn mehrmals ab, doch der Musiker erwacht. Seine Frau erzählt ihm später, niemand im Spital sei mit diesem Krankheitsbild so lange am Leben geblieben.

Ein Höllentrip mit dem immergleichen Fenster-Ausblick

Mark Lanegan beschreibt die bekannten Emotionen eines bettlägrigen Schwerkranken, von resignativ über kämpferisch, ein Alltag zwischen Hoffnung und Frustration - mit dem immergleichen Fenster-Ausblick. Lediglich an den Krankenschwestern bewundert er die Fähigkeit, "den Patienten das Gefühl von Geborgenheit zu geben, selbst den offensichtlich unglücklichen und unfreundlichen wie mir". Dass er vielleicht nie wieder singen würde, ist für ihn zu seiner eigenen Überraschung das kleinste Problem, auch als einer der Ärzte ihm feierlich gesteht, seinen Namen gegoogelt zu haben.

Wie schon bei der Arbeit an seiner Biografie ist der Patient Lanegan gezwungen, seine Tage damit zu verbringen, auf sein Leben zurück zu blicken, diesmal jedoch mit der beißenden Gewissheit, dass dieses neuartige Virus die Torheiten seiner Jugend in einer Art und Weise rächen würde, von der er bisher keine Vorstellung hatte. Verhängnisvolle Aussichten, die Lanegan in wundervolle, lakonisch-derbe Worte und einen mitreißenden Rhythmus kleidet: "Due to my past addiction, for years my life had been an endless search for a place to bury a needle, but like everything else I ever cared about, I maniacally burned through them all like there was no tomorrow until suddenly it was tomorrow, with me standing dick in hand thinking it was still yesterday."

"Blackstar" in literarischer Form

"Devil In A Coma" packt einen in seiner dramatischen Ausweglosigkeit auf ähnliche Weise wie David Bowies Abschiedsalbum "Blackstar". In die Geschichte streut Lanegan zahlreiche Kurzgedichte ein, die mal wie Reflektionen eines informierten Außenstehenden wirken, dann wieder bestimmte Erinnerungsfetzen neu aufgreifen oder als semantisches Pendant zu seinen nicht enden wollenden Tagträumen im Krankenbett fungieren. Sie bergen Momente der Reue und der Schuldgefühle, belegen jedoch vor allem die selbsttherapeutische Wirkung, die Lanegan aus dem Schreiben bis zuletzt ziehen konnte.

They're almost all gone now
my old gang
I'm in my fifties
but most of them died in their twenties
or early thirties at best
It's been a long lonesome couple of decades
out here in the wilderness alone
I treasure laughter when it comes and
lean towards some new alliances
as well as the few that are left behind
like me
but there's not many around these days
This is the price I have paid for stubbornness
and recalcitrance
amongst many other shortcomings
I have never really known
how to give up the ghost.

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4 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Wann kommt das Buch auf deutsch?

  • Vor 2 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 2 Jahren

    Ungelesen 5/5

    Schöne Rezi auf jeden Fall.

  • Vor 2 Jahren

    "Lanegan war als langjähriger Drogenabhängiger schließlich die Definition einer Risikogruppe."

    Nein. Mal abgesehen von dem fehlerhaften Konstrukt - Lanegan war sicherlich nicht die Definition einer Gruppe - ist das einfach Quatsch. Drogenabhängigkeit alleine macht Covid keinen Deut gefährlicher. Folgeerkrankungen durch Drogenkonsum wie COPD oder Schäden am Kardiovaskulären System natürlich schon, aber dann wären auch Raucher und Menschen, die sich jahrelang ungesund ernähren Risikogruppen.

    • Vor 2 Jahren

      Sind sie ja auch

    • Vor 2 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 2 Jahren

      "Drogenabhängigkeit alleine macht Covid keinen Deut gefährlicher. Folgeerkrankungen durch Drogenkonsum wie COPD oder Schäden am Kardiovaskulären System natürlich schon"

      Das ist jetzt aber auch schon ziemliche Erbsenzählerei oder nicht?

    • Vor 2 Jahren

      Dieser Kommentar wurde entfernt.

    • Vor 2 Jahren

      ne, halt nicht. die Verbindung ist nur eine mittelbare. Korreliert Substanzabhängigkeit mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf? Ja. Allerdings korreliert Substanzabhängigkeit auch mit psychischen Erkrankungen, mangelnder Gesundheitsversorgung, Obdachlosigkeit, niedrigem Einkommen, Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen, Immunschwäche und einer Reihe anderer Größen, welche wiederrum Riskofaktoren für eine höhere Mortalität (nicht nur) durch Covid sind. Drogen können je nach Substanz und Konsummuster dem Körper sehr stark oder auch nur kaum schädigen. Wenn eine drogenabhängige Person fragt, ob Sie ein erhöhtes Risiko auf einen schweren Verlauf oder Tod hat, dann ist die Antwort "Vielleicht" mit der Möglichkeit der starken Verbesserung dieser Prognose durch eine kurze Anamnese. Definierende Faktoren für Risikogruppen sind vielmehr Multimorbidität und hohes Alter, einerseits weil in diesen Gruppen die Mortalität drastisch erhöht ist, andererseits weil diese Gruppen deutlich homogener hinsichtlich der Verläufe sind. Und wenn ein Mensch mit Alter>85 oder mehr als fünf als mit hohem Risiko assozierten Komorbiditäten fragt, ob er ein erhöhtes Risiko auf einen schweren Verlauf oder Tod hat, dann ist die Antwort: "Ja, ein stark Erhöhtes!".

    • Vor 2 Jahren

      "Drogen können je nach Substanz und Konsummuster dem Körper sehr stark oder auch nur kaum schädigen. Wenn eine drogenabhängige Person fragt, ob Sie ein erhöhtes Risiko auf einen schweren Verlauf oder Tod hat, dann ist die Antwort "Vielleicht" mit der Möglichkeit der starken Verbesserung dieser Prognose durch eine kurze Anamnese."

      Ein im Rahmen der Möglichkeiten liegender Ersatz für eine kurze Anamnese wäre dann vielleicht ein kurzes Auseinandersetzen mit Lanegans Biographie. ;-)

      Magst ja mit deinem Punkt bezogen auf die allgemeine Gruppe "Drogenkonsument" Recht haben, aber das war ja auch nicht wirklich der Ausgangspunkt des Ganzen.