Markus Kavka und Elmar Giglinger blicken zurück auf das Musikfernsehen und hinter seine Kulissen. In der Oral History kommen ehemalige VJs wie Klaas Heufer-Umlauf und Musiker zur Wort.
Köln/Berlin (rnk) - "Hamma wieder was gelernt!" Wer diese Abmoderation kennt, hat die 35 Jahre wahrscheinlich überschritten. Der MTV-Moderator Markus Kavka, mittlerweile Autor und DJ, beendete mit diesem Satz die MTV News. Ein Format, das in den noch jungen Jahren des Internets durchaus seine Relevanz besaß und die Zuschauer über Britney Spears' unwahrscheinliche Jungfräulichkeit und Justin Timberlakes Frisur informierte.
Gerade Kavkas süffisante Art hob die teilweise doch ziemlich trivialen Neuigkeiten auf ein anderes Level, davor war er als Moderator bei Viva und Viva 2 durchaus auch Indie-Fans bekannt. Immer noch großartig, wie er auf einem Clipboard mit seinem umfangreichen Wissen die Musikgeschichte von Genres erklärte. Er war der coole Lehrer, den wir in der Schule nicht hatten und der uns pickeligen Indie-Teenies die bunte Musikwelt näher brachte. Im schrillen VJ-Zirkus neben einer immer etwas hibbeligen Charlotte Roche der Ruhepol, der eher mit Kompetenz auffiel und eh schon immer zehn Jahre älter war als der Rest der lauten Rasselbande im Kölner Sender.
Da gerade die Anfangszeit durchaus improvisatorisch war, haben die beiden Autoren Markus Kavka und Elmar Giglinger auch in ihrem neuen Buch "MTViva liebt dich!" viel zu erzählen. Zusammen mit Giglinger, der als Programmchef von Viva und MTV Fernsehgeschichte mitbegründete und entwickelte, blickt Kavka zurück zurück in die Zeit des noch erfrischend anarchistischen Musikfernsehens, den Aufstieg als wichtiges Leitmedium in allen Jugend-Zimmern und das traurige Ende einer einstmals tollen Idee. Wer die Inspiration hinter dem Buchtitel kennt: Glückwunsch, du saßt auch selig vor einem Röhrenfernseher und erkennst natürlich sofort den Songtitel der Band.
68 Protagonist:innen der MTViva-Ära kommen in der Oral History zu Wort, darunter auch Jan Müller von Tocotronic, die 1996 bei einer Viva Comet-Veranstaltung den Newcomer-Preis "Jung, deutsch und auf den Weg nach oben" (sic!) ablehnen und damit den kurz den Zorn von Elmar Giglinger auf sich zogen. "Musicbox", "Elf99","Popshop" und "Formel Eins" heißt zu der Zeit das Angebot für junge Menschen. Nicht gerade die große, weite Welt, und mit Auftritten von unguten, deutschen Schlager-Menschen, aber ab und zu erscheinen auch Visage oder Depeche Mode.
Anarchie und Videoverwertungungsgesellschaft
Auch wenn die Moderatoren im Rahmen ihrer Grenzen noch versuchten, nicht so ganz provinziell zu wirken, sahen die ersten Stunden MTV in den Augen deutscher Kids wie eine Mondlandung aus. Spätestens mit Nirvana in der Dauerrotation kommt auch die Alternative-Kultur im großen Stil nach Deutschland, wenn auch zunächst nur über Kabel und in englischer Sprache.
Auch für Deutschland ein Paradigmenwechsel, weil man nun auf einen Schlag berühmt werden kann und nicht mehr auf die Gnade der piefigen deutschen Sendeanstalten angewiesen ist. 1991 ereignet sich in Hamburg der Vorabend zu deutschen Revolution. Eigentlich ist zuerst ein Spartensender in der hanseatischen Metropole geplant, doch Tom McGrath, Chef bei Warner, denkt sofort größer als die damals noch bescheidenen Kolleg:innen. Aus dem herrlich deutsch-blöden Namen "Videoverwertungsanstalt" ensteht VIVA. Der junge, frische Sender mit viel Ambition fordert den Platzhirsch aus London heraus. Dieter Gorny, ehemals Chef der Musikmesse Popkomm, übernimmt den Chef-Posten und bringt damit den ersten wirklichen Musikfernseher nach Deutschland.
Die ersten VIVA-Gesichter heißen Heike Makatsch, heute Schauspielerin, Nilz Bockelberg, heute erfolgreicher Podcaster und Mola Adebesi, heute irgendwas. Glaubt man den Berichten, war es beeindruckend einfach, in den Sender zu kommen, der seinerseits beim Casting ein gutes Gespür bewies, und das obwohl viele der späteren Langzeitmoderatoren "einfach nur mal so schauen wollten". Die Generation Praktikum mit 200 Absagen, 500 km Anreise für Mindestlohn und "Benefits" wie Obstkorb lacht darüber bitter. Wunderschön überhaupt diese Anfangszeit, die mit viel Chaos, eher wenig Erfahrung und viel Impro über die Bühne beziehungsweise den Sender geht. Aus der Schule oder Ausbildung zum Interview mit Take That und Bruce Willis, und irgendwann selbst auf den Straßen Köln erkannt werden. Jeder der Vjs kann eine verrückte Story über Marotten der Stars erzählen, Elmar Giglinger etwa über einen Flirt mit Madonna zu "Ray Of Light"-Zeiten.
Die noch größere Sensation kommt Jahre später mit VIVA 2. Ausgerechnet Deutschland, das Mainstream wie kaum ein anderes Land abgöttisch liebt und lebt, bekommt ein bis dato nie wieder erreichtes Kreativfeld zum Austoben. Selten waren Indie-Szene und Musikfernsehen so gut verknüpft wie in diesen Zeiten. Nicht einmal MTV, das seine Indie-Formate immer ins Nachtprogramm verlagerte. Den ganzen Tag bekommen Alternative-Fans den Einblick in Subkulturen und Künstler abseits der Dauerberieslung. Tocotronic-Clips in Endlosschleife, The Notwist bereits um 13 Uhr nach der Schule und Musikverrückte in den Chefpositionen, die auch gegen finanzielle Vernunft ihre Lieblingsgruppen durchgedrückten.
Anarcho-Formate wie "Zwobot" und auch mal Kunst-Installationen in einer Straßenbahn waren möglich. Der damals und auch heute noch polarisierende Niels Ruf überrascht in dem Buch mit ruhiger Selbstreflektion und spart auch nicht mit Kritik an seiner Person. Giglinger attestiert dem damaligen Agent Provocateur ein unfassbar großes Star-Potential, das er mit teilweise äußerst stumpfen Provo-Aktionen wieder zunichte machte. Auch hier wurden Grenzen ausgelotet, die es so im TV zuvor nicht gab. So sehr vielleicht Musikfernsehen seine Zeit hatte, so sehr kann man VIVA 2 auch heute noch vermissen. Es war wirklich nicht alles früher besser, aber das hier auf jeden Fall.
Das Ende für MTVIVA kündigt sich bald an. Der Erfolg lässt Dieter Gorny von noch mehr träumen. Warum nicht eine große Sache noch größer machen, mit noch mehr Gewinnen an die Börse bringen. Das Ende der Kreatitvität bei Viva, dem MTV später auch folgt. Nach der Jahrtausende vollzieht sich kein direkter Absturz, aber ein Sterben auf Raten.
Das Web 2.0 macht den User selbst zum Kurator seiner Musik, überhaupt geht der Anteil an Musik immer weiter zurück. "Jackass" und andere Realityformate übernehmen, den Sound der Zeit dominiert berühmt-berüchtigte Klingelton-Werbung für Jamba. Es gibt noch kurze Flackerlichter wie die VIVA 2-Kopie von Sarah Kuttner, die immerhin etwas Indie-Touch reinnimmt, aber doch mehr PR um ihre Person betreibt.
Die Lage ist trotzdem so ernst, dass die beiden Erzrivalen sogar fusionieren und von Viacom endgültig auf profitable Vermarktung getrimmt werden. Elmar Giglinger fasst das bittere Ende zusammen: "Wir waren mit Leidenschaft dabei (...) Zahlendreher waren nun gefragt und Sachbearbeiter, die ohne jegliche Emotion vorgingen." Kavka und Giglinger haben es trotzdem geschafft, auch in dem atemlosen MTV-Stil ein natürlich auch schwer nostalgisches, aber sehr mitreißendes Buch über eine interessante TV-Epoche zu schreiben.
Die famous last words gebühren Rocco Clein. Die klügste, menschlichste und subversivste Erscheinung im Popkulturfernsehen verstarb am 1. Februar 2004 an den Folgen einer Hirnblutung. Wenn selbst bekannten Journo-Zynikern, die nicht gerade mit Empathie auffallen, die Stimme bei der Erwähnung des Namens wegbricht und später ein renommierter Musikjournalismuspreis seinen Namen trägt, weiß er da oben in seiner Oasis-Ultras-Kutte: Wir leben für immer.
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2 Kommentare mit einer Antwort
"Mola Adebesi, heute irgendwas"
Trash-TV-Kandidat
Damals schon irgendwas.
Zitat: Och Tupac, nööö
Zitat Ende.
VIVA 2♥️
Das war genau meine Zeit. Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, da mittlerweile alles jederzeit überall verfügbar ist.
Aber damals war VIVA 2 für Fans von Musik abseits des Mainstreams Pflichtprogramm!