Die umfassende Lektüre über die stilprägende Punkband besticht mit vielen Details, dürfte aber Einsteiger überfordern.

London (Burning) (rnk) - Endlich gibt es das umfassende, zwischendurch ausverkaufte Bandbuch von The Clash in einer Neuauflage und schickem rosa Hardcover (Heyne, gebunden, ‎408 Seiten, 24 Euro). Was für Neueinsteiger nur optisch nett aussieht, erkennen Expertinnen sofort. Es ist genau die gleiche Farbe wie auf dem Albumcover des Punk-Meilensteins "London Calling". Wer es ganz genau wissen oder das Cover mal recreaten möchte: Die Farbe Deep Blush, Hex Code #e4848f, tauchte bereits auf einem Cover von Elvis Presley auf.

Dem Barden aus Memphis schlug Ende der Siebziger ein eiskalter Wind entgegen, da sein dekadenter Lifestyle als Symbol für überholte Rockmusik gesehen wurde. Kein Idol für die jungen Punker, die mit dem Helden ihrer Eltern auf den ersten Blick nichts verband. Doch so wild war es laut Sänger und Bandleader Joe Strummer dann gar nicht. So begab es sich, dass Strummer einst Sid Vicious über den Weg lief und ihn augenzwinkernd provokant auf sein Elvis Presley-Jacket ansprach. Der Bassist der Sex Pistols erkannte in seiner naiven Art gar nicht den Seitenhieb und erzählte ungeniert-fröhlich, wo er das schmucke Kleidungsstück erwarb. Am Ende bleibt es eben doch Rock'n'Roll. Über Bob Dylan bricht sogar ein kleiner Streit zwischen Strummer und Gitarrist Mick Jones aus, da der Gitarrist mehr Respekt für den Folk-Poeten einfordert.

Von Freunden zu Erzfeinden

Auch mit einem weiteren Vorurteil räumt das Buch auf: So verfeindet wie später waren die Pistols und The Clash zumindest in der Anfangszeit gar nicht. Die Punk-Szene ist noch übersichtlich und schweißt die wenigen Bands zusammen. Die Bandmitglieder erzählen vom eigentlich freundschaftlichen gemeinsamen Abhängen und den gemeinsamen Tourneen. Die Pistols gelten Strummers Band als Vorbild, weil sie einen bereits fertigen Look haben und ihr Auftreten alle elektrisiert. Die späteren Erzfeinde spielen sogar ganz am Anfang noch als Vorgruppe bei Strummers erster Band The 101's. Dem geschäftstüchtigen Manager Malcolm McLaren stinkt die Nähe gewaltig, mit wachsendem Erfolg sieht er The Clash als gefährliche Konkurrenten. Wo die Pistols aber schon ein umtriebiges Team um sich wissen, das sich auch um deren Look kümmert, müssen Strummer und Co. ihre Klamotten aus Second Hand-Läden am Camden Market selber zusammen stellen. Cooperate Image ist auch im Punk wichtig, denn genau wie die anderen großen Bands träumen auch sie insgeheim von großen Hallen.

So landen die Pistols auch schnell bei EMI und The Clash ebenfalls bei einem Major. Ein Sakrileg, das ihnen bei den Betonköpfen der Szene viel Kredit kostet. Ein Glück, vielleicht wäre ein genresprengendes Werk wie "Sandinista" gar nicht mit so engstirnigem Denken entstanden. Hier fließt die gerade sehr neue Hip Hop-Musik in den Sound von The Clash ein, für die sich gerade Jones begeistert, der große Arrangeur im Hintergrund, auch wenn Joe Strummer klar der Leitwolf war. Leider ist das Publikum zu dem Zeitpunkt noch nicht so offen und buht Grandmaster Flash bei einem gemeinsamen Gig aus. Dumme Ignoranten, was würde man dafür geben, so etwas miterlebt zu haben. Chuck D erzählte später in einem Interview, dass ihn dieser Bastard aus Rock und Rap schwer beeindruckte und Public Enemy stark beeinflusste.

Umfassendes Lexikon, wenig mitreißend erzählt

Auch wenn diese Anekdoten spannend klingen, das Gesamtwerk fällt gerade für Neulinge und Interessierte weniger mitreißend aus. Der Drogenabsturz von Drummer Topper Headon bleibt tragisch, aber der Ton englisch-trocken. Die ersten Kapitel über die Kindheit geraten noch spannend, aber schnell entwickelt "The Clash - Das offizielle Bandbuch" den Charme eines Lexikons, das penibel noch einmal die Tourdaten skizziert und Charts-Positionen der Singles auflistet. Songinfos kommen eher schmallippig und mitunter auch trivial rüber. Irgendwann endet das letzte Kapitel mit müden Details zu dem schwachen Album "Cut The Rope". Die Band ist ausgerechnet auf dem Höhepunkt müde und kommunziert kaum noch. Schnitt, Abspann und Ende eines sachlich geschriebenen Buches. Was den Unterhaltungswert angeht, sollten Clash-Neulinge eher die hervorragende Dokumentation "The Future Is Unwritten" oder das Buch "Westway To The World" als Option in Betracht ziehen.

Das Inhaltsverzeichnis besteht auch nur aus den Jahreszahlen. Wer nicht genau weiß, dass das berühmte 'Rock Against Racism'-Konzert 1978 stattfand, darf auch aufgrund eines fehlenden Registers relativ lange durch die 408 Seiten blättern. Zu dem Konzert kam es übrigens auch wegen einer ekligen und rassistischen Bemerkung von 'God' Eric Clapton, der England für überfüllt hielt und von einer "schwarzen Kolonie" faselte. Eine Aussage, die er zwar halbgar zurück nahm und auf den Suff schob, aber später doch immer wieder bekräftigte. Auch in diesen Tagen fällt der "Tears in Heaven"-Sänger mit erschreckend dummen Aussagen zur Corona-Pandemie auf. Seine Hand ist wohl nicht das einzige, was bei diesem unbelehrbaren Menschen xtrem slow funktioniert.

Passt schon

Das Bandbuch ähnelt so mitunter einer Aktensammlung auf dem Polizeirevier. Ein Satz, den hoffentlich keiner der noch lebenden Clash-Bandmitglieder liest. Polizei-Gewalt und allgemein der Machtmissbrauch war ihnen immer ein dringendes Thema. Gerade Songs wie "White Riot" handeln davon, wie Polizisten aus reinem Sadismus und Willkür die jamaikanischen Einwanderer auf einem bis dato ruhigen Straßenumzug drangsalieren, bis irgendwann die Wut ausbricht. Strummer erinnert sich allerdings auch daran, wie er und Paul es einfach nicht auf die Reihe bekamen, ein Auto anzuzünden. Die Stärke der Band lag in ihren Auftritten und natürlich in erster Linie der Musik, die zeigte, dass Punk nicht ewig auf drei Akkorden hängen bleiben muss, sondern musikalische Grenzen sprengen kann. Das Sachbuch versprüht leider weniger von dem Feuer, ist aber die offzielle Chronik. Gerade bei der Flut an Texten ist die deutsche Übersetzung von Violeta Topalova eine Erleichterung. So gehören die berühmten und in der Form sicherlich noch nie gehörten letzten Worte Paul Headon: "Wenn ich das noch einmal tun könnte, dann würde ich nichts ändern. Ist doch alles gut gelaufen. Wir haben unseren Job gemacht, das war die Geschichte, jetzt sind wir fertig und das war's. Passt schon."

Wie relevant die Musik der Band ist, zeigt übrigens dieses sehr aktuelle und bittere Video aus der Ukraine, für das die noch lebenden Bandmitglieder gerne ihr Okay gaben:

The Clash - Das offizielle Bandbuch*

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