Die Geschichte einer Musikerin erzählt von Hoffnung, Wandlung, Mut, Feminismus, vom Plausch mit Musen und Geistern und der Treue des Pianos.

New York City (dani) - Ein seltsames Buch hat Tori Amos da geschrieben. "Widerstand: Hoffnung, Wandlung und Mut" (Hannibal, 240 Seiten, broschiert, 20 Euro) erzählt, der Untertitel verrät es, "die Geschichte einer Songwriterin". Sie berichtet von ihrer Ausbildung am Peabody-Konservatorium für Musik, die sie als Fünfjährige antrat, um sie mit elf Jahren wieder abzubrechen. Ihre ersten bezahlten Jobs hatte sie als Barpianistin in einer Schwulenbar in Washington. Ihren Vater, der als Geistlicher dafür angefeindet wurde, seine Tochter in diesem "Sündenpfuhl" auftreten zu lassen, zitiert sie mit: "Es gibt keinen sichereren Platz für ein 13-jähriges Mädchen."

Tori Amos erzählt, wie sie in Bars lernte, Erwartungen des Publikums gerecht zu werden, und dazwischen dennoch ihren eigenen Stil zu entwickeln. Sie erzählt auch, was sich in Etablissements im Regierungsviertel der USA so alles aufschnappen lässt, wenn der Kopf hell und die Ohren offen sind. Der Grundstein für ein politisches Bewusstsein wurde hier gelegt. Sie erzählt von Reisen, von Tourneen, vom Kontakt und Austausch mit Fans und Kolleg*innen weltweit. Sie beschreibt ihren Schaffensprozess und ihren Umgang mit den aufreibenden Anforderungen des Kulturbetriebs. Dazwischen streut sie politisches Faktenwissen ein oder teilt persönliche Erinnerungen an einschneidende Ereignisse, etwa an den Terroranschlag am 11. September 2001 oder an Krankheit und Tod ihrer Mutter.

Alles schnattert durcheinander

Für ihr Buch schöpft Amos aus dem reichen Erfahrungsschatz einer über Dekaden währenden Karriere. Dabei nimmt sie viele verschiedene Perspektiven ein: Sie spricht als Tochter, als Mutter, als politische Aktivistin, als Freundin, als Feministin, als US-Amerikanerin, in deren Adern Cherokee-Blut fließt, als Musikerin, Komponistin, Texterin, als Frau in einer männerdominierten Welt ... Das Problem dabei: All diese Stimmen schnattern durcheinander.

Der Umstand, dass "Widerstand" keiner Chronologie folgt, sondern von einer Touranekdote zu einem Reisebericht zur Erinnerung an einen Song und seine Entstehungsgeschichte zu einer Momentaufnahme aus der Familiengeschichte zu einer Analyse des Entertainmentbetriebs zu einem flammenden Appell gegen Genitalverstümmelung zum nächsten Song und seiner Story springt, und dann das Ganze wieder von vorne, unterstreicht den wirren, verwirrenden Eindruck noch.

Tori Amos selbst wirkt einerseits äußerst nüchtern, faktenorientiert, voller Detailwissen um politische und gesellschaftliche Zusammenhänge: eine beeindruckende, kluge, inspirierende Künstlerin, meinungs- und haltungsstark, mit nicht einer, sondern gleich mehreren Missionen. Man muss sie einfach bewundern. Wenn sie dann aber wieder und wieder in esoterische Gefilde abgleitet, seitenweise Dialoge wiedergibt, die sie mit den Musen führt, mit den "Song-Beings", die durch die Zeit zu ihr kommen (oder manchmal eben auch nicht) oder mit dem Geist ihrer verstorbenen Mutter durch Zeit und Raum reist, dann überfällt einen hin und wieder doch hinterrrücks die Frage, ob diese Frau eigentlich noch alle Latten am Zaun hat.

Hippiekommune besetzt das Ordnungsamt

Die Übersetzung in teils unerträglich geschraubtes, verschrobenes Deutsch mag recht nah am Original bleiben, hilft aber auch nicht gerade dabei, die Lesbarkeit zu erleichtern: Manches liest sich, als habe eine Hippiekommune das Ordnungsamt besetzt und schickt jetzt deren offizielle Rundschreiben raus: "Die Kommunikation basierte auf einer Neubenennung eines Wortes mit einer Referenz." Pardon, aber ... hä? "Zum Beispiel verwandelten wir ständige und penetrante Saboteurinnen in Cornflake Girls." Achso. Hä?

Tori Amos positioniert sich klar politisch, hält mit ihrer Meinung zu Trump und Konsorten nicht hinter dem Berg. Befremdlich, dass das so gar nicht im Widerspruch zu glühendem Patriotismus zu stehen scheint. Die Soldaten- und Veteranenverehrung nimmt stellenweise schon fast kultische Züge an, wenn sie von denen erzählt, "die ihre Existenz dem Überleben unserer großartigen Nation opferten".

Im nächsten Moment prangert Tori Amos aber schon wieder Unterdrückung und Diskriminierung an, setzt sich für Mädchen und Frauen, für Missbrauchsopfer, für die LBGTQ-Gemeinde ein und ruft dazu auf, mit aller Macht die Demokratie zu schützen. Sie erteilt nachrückenden Künstler*innengegerationen weise Ratschläge. Dazwischen streut sie Familienfotos und alte Zeitungsausschnitte und die Lyrics der Songs, deren Entstehungsgeschichten sie ausbreitet.

Das Kopfschüteln bleibt

Dann wieder macht sie einen Abstecher in die Natur - oder gleich in die Welt der Geistwesen - um Kraft und Inspiration zu tanken. Oder auch, um mit einer Pflanze Freundschaft zu schließen. Langweilig wird das nicht, das ratlose Kopfschütteln allerdings begleitet einen nach der Lektüre noch eine Weile. Wie gesagt: ein seltsames Buch.

Fotos

Tori Amos

Tori Amos,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Tori Amos,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Tori Amos,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Tori Amos,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Tori Amos,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm) Tori Amos,  | © laut.de (Fotograf: Björn Buddenbohm)

Weiterlesen

laut.de-Porträt Tori Amos

Eigentlich spielt Tori Amos nur Klavier und singt dazu. Aber das tut sie eben einmalig schön. Sie erblickt am 22. August 1963 als Myra Ellen Amos in …

2 Kommentare mit 14 Antworten