Die norwegischen ESC-Teilnehmer überzeugen mit mystischem Ambiente. Mit ihrer starken Sängerin könnten sie zum Geheimtipp werden.

Oslo (fetz) - Der Countdown für den Eurovision Song Contest beginnt: Nur noch knapp eineinhalb Monate sind es bis zum ersten Halbfinale. Während die Buchmacher Isaak und damit Deutschland mal wieder wenig Hoffnung machen, sieht es für Norwegen schon besser aus. Die Buchmacher sehen die Folk Rock-Band Gåte mit Rang 14 im guten Mittelfeld. Nach einem Trip in die norwegische Hauptstadt und dem vorigen Konsum aller ESC-Beiträge stellte sich bei mir jedoch die Meinung ein: Ginge es beim ESC lediglich um die Musik, wäre dem Quintett einer der Spitzenplätze sicher.

Symbiose aus Tradition und Moderne

Dass ihr Song "Ulveham" (zu Deutsch: Wolfshaut) live aufgeführt noch mehr überzeugt, bewies die Band um Sängerin Gunnhild Sundli am Freitagabend in der Rockefeller Music Hall in Oslo. Ursprünglich wurde Gåte 1999 von Gunnhild und ihrem Bruder Sveinung ins Leben gerufen. Aktuell stehen Gunnhild Magnus Børmark (Gitarre), John Stenersen (Nyckelharpa), Mats Paulsen (Bass) und Jon Even Schärer (Schlagzeug) zur Seite. Das Markenzeichen ihrer Gruppe: Norwegischer Folk versetzt mit Elementen aus Rock und Elektronischem. Das Sagen hat dabei oft eine Geige statt einer Leadgitarre.

Was zunächst vielleicht schwer vorstellbar ist, entpuppt sich als gelungene Symbiose. Genau das liefern sie auf "Ulveham", mit dem sie sich beim Melodi Grand Prix, dem norwegischen Vorentscheid, gegen den 2019 bereits angetretenen KEiiNO durch das Zuschauervoting knapp durchsetzten. Wie viele ihrer Songs basiert "Ulveham" auf einem alten, norwegischen Gedicht. Womit sie bei mir und vielen anderen Pluspunkte sammeln: Norwegen schickt damit erstmals seit 2006 ein Lied in der Landessprache ins Rennen.

Im Bann der mystischen Klänge

Hat man sich vor dem Konzert nicht mit der Musik und den Inspirationen von Gåte bekannt gemacht, gibt das Bühnenbild erste Hinweise. Von der Decke hängt Geäst herab und auch an den Mikrofonständern sind Zweige angebracht. Nicht nur visuell, auch klanglich wird man in die norwegische Tundra transportiert. Diese Atmosphäre vermitteln sie bereits auf "Skarvane" von ihrer aktuellen EP, mit dem sie die etwa anderthalbstündige Show einleiten. Hätten sie "Ulveham" nicht geschrieben, wäre das Lied mit seinem mayestätischen Refrain und dem eingeflochtenen Synth ebenso ein geeigneter ESC-Song. Passend zum Ambiente steht Sundli mit ausgebreiteten Armen da, was zusammen mit der Musik und dem Hintergrund den Eindruck erweckt, dass sie Götter der Natur beschwört. Würden Gåte auch englische Lieder schreiben, würde man nur zu gerne eine Collab mit dem ebenso naturverbundenen Hozier hören.

Das rockigere "Snåle Mi Jente" holt im Vergleich weniger ab, dafür fördert es die Spielfreude der Gruppe zutage, die sich durch den gesamten Auftritt zieht. Sundli und Børmark umkreisen sich spielerisch, ohne aus dem Takt zu geraten. Der Gitarrist zeigt die Energie der Band auch öfter insofern, dass er wie ein Flummi über die Bühne hüpft und sich an seinem Instrument so präsentiert, als würde er den härtesten Metal spielen - was mal mehr und mal weniger zu den entsprechenden Stücken passt.

Was jedoch immer gleich - und gleich beeindruckend - bleibt, ist die starke gesangliche Darbietung. Nicht umsonst sagte Sundli im Interview vorab, dass sie das Gefühl hat, dass sie live oft besser singt als im Studio. Mit ihrer Stimme und der von ihr häufig angewendeten, besonderen Gesangstechnik ("kveding") sticht sie allemal aus der Reihe an anderen Sängerinnen beim ESC dieses Jahr heraus (ja, ich schaue zum Beispiel euch an, Zypern und Malta). Passend zu ihrer stimmlichen Präzision und Kraft bildet sie den Ruhepol der Band und gewinnt auch dann die volle Aufmerksamkeit des Publikums für sich, wenn sie sich nicht von ihrem Platz auf der Bühne wegbewegt und um sie herum Børmark und Paulsen umherspringen.

Große Norweger und große Momente

Auch wenn das Publikum, betrachtet man das Alter, bunt gemischt ist, musste ich feststellen, dass einige Norweger*innen ziemlich riesig sind. Mit 1,66m und zwei großen Norwegern vor sich hat man es doch eher schwer. Genau vor "Ulveham" postierten sie sich direkt vor mir, sodass ich nur das klangliche Erlebnis hatte. Das reichte jedoch aus, um festzustellen, dass sie die Performance perfektioniert haben. Der Auftritt gestaltet sich ebenso makellos wie im Finale des norwegischen Vorentscheids und klingt gleichzeitig nicht stumpf einstudiert oder lieblos abgespult.

Ein weiteres Highlight des Abends ist "Kjærleik", eine ruhige Folknummer. Sundli, Stenersen und Børmark sitzen zu dritt auf dem Boden, bevor etwa 25 Frauen die Bühne betreten und vor ihnen als Chor auftreten, den Sundli zum Ende hin durchbricht. Wenig verwunderlich erhält das Stück mit den meisten Applaus vom zahlreich erschienenen Publikum. Zwei Abende hintereinander spielen Gåte in der Rockefeller Music Hall, die zweite sogar gänzlich ausverkauft. Das Konzert endet schließlich mit einem meiner Lieblingssongs, "Sjåaren". Das zunächst akustische Stück verzaubert die Menge ein letztes Mal und setzt den Schlusspunkt unter eine gelungene Show.

Die Setlist:

  1. Skarvane
  2. Snåle Mi Jente
  3. Svarteboka
  4. Knut Liten Og Sylvelin
  5. Fanitullen
  6. Førnesbrunen
  7. Solfager
  8. Kjærleik (Acoustic Version)
  9. Talande Tunger
  10. Ulveham
  11. Bendik Og Årolilja
  12. Hamløypar
  13. Margit Hjukse
  14. Brurmarsj Frå Jämtland

Zugabe:

  1. Bannlyst
  2. Sjåaren

Weiterlesen

laut.de-Porträt Gåte

Für manche kommt der Durchbruch früh, für andere eher spät in der Karriere - und für die norwegische Band Gåte gewissermaßen zweimal. Kern der …

Noch keine Kommentare