Herr Manthe trägt Schuhe von Animal Collective, empfiehlt Chris Cunninghams webexklusive Videokunst sowie die Coda zum Berlin Festival.
Berlin (mma) - Musikvideos scheinen seit einiger Zeit auf einen neuen Exklusivitätspeak zuzusteuern. Der klassische Musikmarkt brach Anfang der Nullerjahre vor der kontrollreduzierten Übermacht des globalen Netzwerks zusammen. Videos wurden zu überteuertem Promoschnack umgedeutet und verschwanden, wenn es sich nicht um bewährte Megaseller-Künstler handelte, in den Low-Budget-Bereich kleinerer Indieacts.
Musikvideos immer exklusiver
Quasi neoliberal gesundgeschrumpft, überdauerte die Idee Musikfernsehen lange Zeit in der Nische. Bis auch der Massenmarkt wieder einsah, dass nicht bloß die visuellen Inszenierungen einer Lady Gaga Marktwerte mitunter erst erschaffen.
Diese neuerliche Wiederbelebung unter verschärften Wettbewerbsbedingungen bringt allerdings auch einen sehr viel härteren Kampf um die größten Kuchenstücke mit sich. Wenn YouTube und GEMA seit vielen Monaten um die Lizenzen für Videoclips auf der Google-Plattform ringen, zeigt das, wie ultimativ dieser Überlebenskampf ausgefochten wird.
Auf die Spitze getrieben bedeutet das Machtduell nicht nur, dass deutsche YouTube-Nutzer ständig mit der Meldung 'Inhalte in deinem Land nicht verfügbar' konfrontiert werden, es führt weiterhin auch zur Nichtverfügbarkeit von Inhalten aufgrund maximierter Exklusivität. Denn auf je weniger Plattformen ein begehrtes Stück Bewegtbild zu sehen ist, desto konzentrischer bündelt sich die Aufmerksamkeit auf die wenigen Spielstätten.
Chris Cunningham phantomisiert
So besuchten aktuell derart viele Musikvideo-Connaisseurs die Webseite des Museum of Modern Art, das als einziges Chris Cunninghams neueste Regiearbeit präsentierte, dass die Server wegen Überlastung schlicht zusammenbrachen.
Der Brite, wir erinnern uns, prägte gemeinsam mit Spike Jonze und Michel Gondry auf unnachahmliche Weise die Hochzeit der Pop/Video-Verschmelzung der späteren 1990er. Das Magazin Pitchfork wählte nicht umsonst gleich vier Filme Cunninghams in seine Liste der Topvideos jenes Jahrzehnts.
Nach vier Jahren Pause als Popvideoregisseur – seine letzten Arbeiten waren der surreale Musikkurzfilm "Rubber Johnny" sowie die Umsetzung des The Horrors-Stücks "Sheena Is A Parasite" - feierte er also im MoMA die Premiere seines neuesten Werks: eine zehnminütige Geschichte zu Gil-Scott Herons Song "New York Is Killing Me".
Wie bei jüngeren Festivalauftritten in Deutschland auch belässt es Cunningham natürlich nicht dabei, lediglich die Bildebene zur Musik zu liefern. Stattdessen bemüht er sich erneut um eine symbiotische, rhythmische Verschmelzung von Ton- und Bildspur, greift tief in die Tonebene ein, ergänze Herons Stimme etwa mit Field Recordings der New Yorker U-Bahn.
Breakdown im Nadelöhr
Der Webinhalt, den das MoMA nach der Performance ins Netz stellte, sah sich dem Ansturm an interessierten Usern, die in zunehmender Zahl durch den Boom-Markt Mobile Internet jederzeit und von überall surfen gehen, jedoch nicht gewachsen. Schon seit Dienstag ist der Content nicht mehr zuverlässig abrufbar. Sollte sich der Zustand in den nächsten Tagen bessern, empfiehlt sich der erneute Aufruf unserer Seite.
Die zugespitzte Exklusivität künstlerisch anspruchsvoller Musikvideos führt also in diesem exemplarischen Fall dazu, dass lediglich eine kleine Elite tatsächlich sofort in den Genuss der Reizwirkung kommt. Der Rest, und das ist in einer Zeit der Ad-hoc-Verfügbarkeit von Inhalten im Internet durchaus bemerkenswert, muss sich erst mal anstellen und in Geduld üben. Videokunst hat nach dem Tod des Musikfernsehens ein neues Nadelöhr.
Berlin Festival Zugabe
Gute Nachrichten halten unterdessen die Macher des Berlin Festivals bereit: Der Nachholtermin für die beiden ausgefallen Hauptacts des Tempelhof-Events steht. Am 8. Dezember spielen die belgischen Mash-up-Eklektiker 2manydjs und Big-Beat-Ikone Fatboy Slim in der Arena Berlin, nachdem ihre Performances am 10. September wegen Sicherheitsbedenken kurzfristig abgesagt worden waren.
Für alle Käufer eines Berlin-Festival-Tickets ist der Abend natürlich umsonst. Die genauen Teilnahmebedinungen – unter anderem ist eine Online-Vorabregistrierung nötig – sind auf der offiziellen Webseite einzusehen.
Environmentalist Shoes
Wer sich schon jetzt für die kommende Festivalsaison schick einkleiden möchte, beweist mit den Schuhdesigns von Animal Collective auf jeden Fall Stilsicherheit. Die Experimentalpopper haben sich mit dem Hersteller Keep kurzgeschlossen und ihre eigenen Designs auf deren Tretern untergebracht. Der erste Schuh der Serie, ein Slip-on namens "The Tobin" made by Avey Tare ist bereits vorbestellbar.
Neben drei Modellen für Erwachsene soll auch eins für Kinder entstehen. Allen Vorbestellungen wird bei Auslieferung ab März 2011 eine Kassette mit unveröffentlichten Animal Collective-Tracks beiliegen. Die Einnahmen aus den Verkäufen gehen vollständig an den Socorro Island Conservation Fund, eine Organisation, die sich dem Kampf gegen illegales Fischen vor der Küste Kaliforniens verschrieben hat. In jeder Hinsicht eine gute Sache.
Berlin-Korrespondent Matthias Manthe berichtet in seiner wöchentlichen Kolumne über Themen, die wir gegen seinen ausdrücklichen Wunsch "indie" nennen. Feedback und Anregungen gerne direkt an matthias@laut.de.
2 Kommentare
Ein wirklich unglaublicher Schuh!
Oh Mann...wie kann man sich als vermeintlich seriöser Musikjournalist nur auf Pitchfork beziehen? Als "Referenz"? Ebenso peinlich ist die Einleitung im Stile eines Ulf Poschardt.