Die erste vollständig autorisierte Kurt-Cobain-Dokumentation erlaubt neue und tiefe Einblicke in das Seelenleben der Nirvana-Legende.

Aberdeen (mma) - Nichts weniger als das ultimative Kurt-Cobain-Porträt nahm sich Regisseur Brett Morgen mit "Montage of Heck" vor. Schon zu Beginn der Arbeiten am Biopic vor acht Jahren stand allerdings eine Frage unweigerlich im Raum: Braucht es nach Doku-Rückblicken wie VH-1s "Behind the Music" oder AJ Schnacks "About a son" wirklich einen weiteren Spin auf den mythenumwobenen Suizid des legendären Nirvana-Kopfs?

Brett Morgen umschifft die Frage mit dem Verweis, dass es sich bei "Kurt Cobain: Montage of Heck" um die erste Dokumentation handelt, die sämtliche Hinterbliebenen des Rockstars abgesegnet haben. Neben Nirvana-Gründungsmitglied Krist Novoselic, Witwe Courtney Love und Ex-Freundin Tracy Marander debütieren hier Cobains Schwester Kim, Mutter Wendy sowie Vater Donald in Interviews. Darüber hinaus übernahm Tochter Frances Bean Cobain die Aufgabe der ausführenden Produzentin.

Sie ließ Morgen, der bereits 2012 mit einer Dokumentation über die Rolling Stones reüssierte, völlig freie Hand bei der Montage seines Films. Lediglich die Aufgabe, ihren so ungekannten Vater so facettenreich wie möglich zu porträtieren, gab sie ihm auf den Weg. Witwe Love wiederum überreichte dem Regisseur als erstem Autor überhaupt den Schlüssel zum Lagerraum mit Cobains Hinterlassenschaften.

Mit freundlicher Genehmigung

Dort durchforstete Morgen erstaunliche Mengen an bislang ungesichtetem Material: Mehr als 200 Stunden Musik- und Audioaufnahmen, 4000 Seiten Notizen und diverse Skulpturen, Zeichnungen und Ölgemälde erlauben ein unerreicht detailliertes Bild des Privatmanns Kurt Cobain. Sein Porträt inszeniert der Regisseur anhand eines Erzählstils, den er in der Nähe von Pink Floyds "The Wall" verortet.

"Meine Filme zielen eher auf eine Gefühls- denn Wissensebene", erklärt Morgen diesbezüglich im Gespräch. "Montage of Heck" ist dementsprechend nicht nur nach einer Cobainschen Soundcollage von 1986 aus dem Lagerfundus benannt, sondern setzt viel Grundwissen über die Genesis von Nirvana voraus.

Derweil behandelt die Dokumentation vorrangig den Familienmenschen hinter der Generation-X-Ikone. Nie aufgeführte Super-8-Filme zeigen eine glückliche Jugend, die von der Scheidung der Eltern jäh unterbrochen wird. Den chronologisch angeordneten Film schließen intime Aufnahmen aus der Zeit mit Frau Courtney und Tochter Frances.

Auf diese Weise befriedigt Morgen zum einen zunächst einmal genau den medialen Voyeurismus, vor dem der Nirvana-Antiheld Zeit seines Lebens floh - und den er zugleich selbst in ausführlichen Homestories bediente. Denn die Filmfragmente entblößen Cobain und Love in diversen Badezimmerszenen nicht nur optisch, sondern auch emotional. Wenn Cobain einen Vanity-Fair-Artikel, den seine Ehefrau vorliest, zynisch nachsynchronisiert, unterstreicht das einmal mehr sein paradoxes Verhältnis zu den Medien.

Zum anderen nimmt sich der Filmemacher einige Freiheiten im Umgang mit dem Archivmaterial. So begnügt er sich nicht lediglich mit Fotografien handschriftlicher Notizen, sondern lässt die Tagebucheinträge des Musikers animieren. Durch diesen Live-Inszenierung holt er Cobains Niederschriften, die zwischen politisierten Bonmots und provokanten Slogans wie "Abort Christ!" changieren, fast zurück in die Jetztzeit.

Frische Perspektiven

Noch nachdrücklicher hauchen die Animateure Stefan Nadelman und Hisko Hulsing den Notizen anhand von Cartoons Gegenwart ein. Im Renderstil von Richard Linklaters "A Scanner Darkly" porträtieren die Zeichnungen die Adoleszenz des Songwriters. Sie zeigen einen ungewohnt nahbaren Cobain, der zwischen Frustration über das zerrüttete Elternhaus, dem Gefühl des Ungeliebtseins und der Flucht in Kunst, Drogen und krude sexuelle Erfahrungen sich selbst sucht - und schließlich im Punkrock fündig wird.

Dennoch verbleibt der Film letztlich bei zusätzlichen audiovisuellen Perspektiven auf das Leben des Grunge-Antihelden. Die Super-8-Sequenzen kreieren durchaus ein Gefühl von Intimität; aber tiefere Erkenntnisgewinne als etwa die 2007er-Doku "About a son" bietet, die auf ausführlichen Audio-Interviews mit dem Protagonisten basiert, kann Brett Morgen aus dem Archivmaterial nicht extrahieren. Seine Collage relativiert allerdings die monokausale Annahme, Cobains Suizid sei eine rein drogeninduzierte Flucht vor dem Ruhm gewesen.

Kein 'ungreifbares Einhorn'

Courtney Love liefert hier Indizien für Cobains Minderwertigkeitskomplexe als Ursache seines Niedergangs. Seine Verlustangst sei derart groß gewesen, dass allein ihr Gedanke an einen Seitensprung zum ersten erfolglosen Selbsttötungsversuch 1994 geführt habe. "Er hat es irgendwie gespürt", resümiert Love.

"Das gemeinsame Ziel von Frances und mir war es, Kurt auf Augenhöhe zu begegnen", so Morgen im Making-of. "Er ist kein ungreifbares Einhorn. Er war ein Mann. Er hatte Stärken und Schwächen wie wir alle." Auch abseits dieser rhetorischen Feststellung - sowie ungeachtet mancher Badezimmerspannerei - bleibt der Blick hinter die Kulissen, die wir über zwei Dekaden nach Cobains Tod längst ausgeleuchtet wähnten, in jedem Fall ein überaus spannender.

"Kurt Cobain: Montage of Heck" läuft ab 9.4. in ausgewählten Kinos. Am 28.5. erscheint der Film auf DVD & Blu-ray.

Fotos

Nirvana und Courtney Love

Nirvana und Courtney Love,  | © Motor (Fotograf: ) Nirvana und Courtney Love,  | © Motor (Fotograf: ) Nirvana und Courtney Love,  | © Motor (Fotograf: ) Nirvana und Courtney Love,  | © Motor (Fotograf: ) Nirvana und Courtney Love,  | © Virgin (Fotograf: ) Nirvana und Courtney Love,  | © Virgin (Fotograf: ) Nirvana und Courtney Love,  | © Virgin (Fotograf: ) Nirvana und Courtney Love,  | © Virgin (Fotograf: )

Weiterlesen

laut.de-Porträt Kurt Cobain

Kurt Cobain: Das Idol, der Mythos, die Ikone einer ganzen Generation. Wie auch bei anderen Rockstars ging die Mystifizierung seiner Person erst so richtig …

laut.de-Porträt Nirvana

Der Verantwortliche, der 1992 bei MTV den Song "Smells Like Teen Spirit" auf Heavy Rotation setzt, ist sich wohl kaum bewusst, dass er damit den Schalter …

laut.de-Porträt Courtney Love

Blondes Gift oder nicht verstandene Rockerbraut? Courtney Love, die Witwe des verstorbenen Kultidols Kurt Cobain, Frontfrau der Gruppe Hole und hauptberuflich …

12 Kommentare mit 15 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    hat ihn mittlerweile schon jemand gesehen ?

  • Vor 9 Jahren

    ich war am donnerstag im kino - die review oben fasst es gut zusammen.

    inhalt: die doku verdeutlicht, welch ein trauriges leben kurt von beginn an lebte; zwischen eltern und verwandten hin- und hergeschoben, keine freunde, keine ausbildung, etc. den rasanten aufstieg bis hin zum tragischen ende. wirklich glücklich sieht man ihn nur in den homevideos - ihr wisst schon, die die die öffentlichkeit nie zu gesicht bekommen wird

    aufmachung: grundsätzlich in ordnung, die sequenzen mit den animierten notizen und den schnellen schnitten sind etwas anstrengend für das auge.

    ein paar mal sieht man courtney's möpse

  • Vor 9 Jahren

    Ich habe ihn Dienstag gesehen. Vieles kannte ich leider bereits, es gab sogar Ausschnitte aus den 'Horror Movie Tapes', wenn ich mich recht erinnere. Weiss nicht genau, was ich davon halten soll, es gibt keine neuen Einblicke. Vielleicht haben mir auch zu viele lachende Leute ein bisschen was versaut. Mir war oft eher mulmig zumute. Flashbacks.
    Zum Interview danach mit dem Regisseur bin ich nicht mehr geblieben, meine Begleitung war auf ihrer Periode und es gab an dem Tag sehr ungute vibes zwischen uns.

    Positiv: der nervige Grohl kommt nur in Ausschnitten von damals vor, als er noch nicht nervig war. Haette es nicht ertragen, wenn sie den auch noch was dazu haetten sagen lassen. Krist war interessant. Warum sie aber nicht noch andere Weggefaehrten/Freunde vor die Linse geholt haben, Osborne halt z.B., oder Dylan Carlson, verstehe ich nicht.