Der Konzertbetrieb steht still, doch Düsseldorf macht weiter: SSIO zeigt, warum Gigs im Autokino das Beste sind, was uns gerade passieren kann.
Düsseldorf (kluk) - Carsharing-Wagen fürs Autokino mieten: 50 Euro. Vertragsstrafe fürs Rauchen im Leihwagen: 100 Euro. Vorher durch den Burger King fahren, um sich bei der Show mit zwei Big-King-Kronen blicken zu lassen: Unbezahlbar.
Fuhrpark-Junkie Ssiawosch Sadat lädt am Freitagabend zum "SSIO Parkplatz-Treff". Und damit ist er keinesfalls allein: Autokinos lassen in NRW einen ganz neuen Zweig der Konzertindustrie sprießen. Alleine hier auf dem Düsseldorfer Messegelände traten in den letzten zwei Wochen unter anderem Sido, Alligatoah, die 257ers und die Kölsch-Rock-Band Brings auf.
Statt Kölscher Tön gibt's heute Bonner Mundart und so reihe ich mich gegen 20 Uhr dann zwischen polierten BMWs, ausgelutschten Corsas und aufgeklebten Mercedes-Sternen ein. Mit einem Ford sind wir in der Unterzahl, mit dem dicken Subwoofer im Kofferraum nicht. Muss ja auch reichen, denn: Beschallung gibt's hier nur übers Autoradio. Frequenz gesucht, von (unter der Alltagsmaske) freundlich grinsender Security platziert, da dringen auch schon Klang und Geruch von entkorkten Piccolo-Fläschchen und anderen Substanzbehältnissen aus den umliegenden Familienkutschen. Für insgesamt 500 davon ist das Autokino ausgelegt.
Als klar wird, dass SSIO auch nach Sonnenuntergang noch auf sich warten lässt, macht sich – analog manch konsumierendes Beifahrers – ein ungutes Gefühl breit: Ob die Batterie jetzt noch so lange mitspielt? Hätten wir lieber nicht eine Stunde lang dem Ankündigungsfunk lauschen sollen? Doch, doch, besser ist's. Denn sonst hätten wir nicht nur die beruhigende Betreibermeldung verpasst, es stünden genug Starthilfe-Sets bereit, sondern hätten auch unfreiwillig noch weitere eloquente Gesprächsfragmente aus Nachbarautos aufgeschnappt: "Ja, klar, das Grundgestein des Technos liegt hier in Düsseldorf.")
Das einleitende DJ-Set scheint einigen Windschutzscheiben-Hooligans dann auch die letzten Kraft- und Batterie-Reserven abzuverlangen. Der Erste tritt das Gaspedal durch und angesichts der auch durch andere Verbrennungen befeuerten Geruchsentwicklung wünsche ich mir allmählich eine Zwei-Meter-Abstand-Regel für Autos herbei.
Schließlich erscheint SSIO auf der Bildfläche. Hup-Salven suchen ihren Weg gen Bühne, während sich der Star des Abends rappend im Cabrio-Smart auf und ab fahren lässt. Andere Motoren bleiben natürlich ausgeschaltet. Was folgt, ist zunächst einmal ein ganz normales SSIO-Konzert. Der ungewohnte Location-Kontext ist dem Tannenbuscher Impro-Garanten zunächst wohl noch etwas suspekt. Als Auflockerungsübung zu den "Messios"-Tracks "HULI" und "Jabi" werden dann erst einmal sämtliche Autofunktionen von Fernlicht über Scheibenwischer bis hin zum Überall-Parken-Knopf durchprobiert.
SSIOs saubere Performance dringt angenehm klar aus den Fahrzeugboxen, zwischen "Hash" und "Nullkommaneun" lässt die Setlist quasi keinen Platz für Durchhänger. Die Publikumsinteraktion jedoch erreicht ihren vorzeitigen Höhepunkt bereits mit dem fünfhundertfachen Einsatz der Scheibenwischerwasser-Spritzanlage – in Verbindung mit mannigfaltigem Kräuterzigarettendunst eine wahrlich unheilige Geruchssymbiose.
Ansonsten diffundiert aber kein weiterer Wermutstropfen durch die hier nicht verpflichtenden Gesichtsmasken. Die Radio-Verzögerung des benachbarten Mercedes tue ich spätestens zu "Testo E" als amüsanten Nebeneffekt ab. Dafür, dass das Konzert für die schwankende A-Klasse erst drei Sekunden später endet, holt sie uns auf dem Rückweg dann aber auch wieder entsprechend schnell ein.
Auf ebendiesem stelle ich fest: Ich bin nicht verschwitzt, habe keinen Tinnitus und die Füße tun auch nicht weh. Ich konnte Lautstärke und Equalizer an eigene Hörgewohnheiten (und das Gegröle der Umstehenden) anpassen und hatte bombigen Sound. Verdammt ja. Ich freue mich wieder auf "normale" Konzerte.
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