Schnuffel, der singende Hase aus dem Hause Jamba, erobert mit seinem "Kuschel Song" die deutschen Charts. Platz eins für einen Klingeltonstar: Untergang des Abendlandes oder genialer Schachzug eines Unternehmens, das mehr und mehr die Musiklandschaft prägt? Fest steht: Deutschland befindet sich im Kuschelfieber.

Hasenstall (mmö) - Gehts noch, Deutschland? In der letzten Woche lächelten wir noch über den offensichtlich zu Scherzen aufgelegten Promoter der Plattenfirma Sony BMG, der uns ein Exemplar von Schnuffels "Kuschel Song" zusandte. Das Schmunzeln gefror uns auf den Lippen, als heute Vormittag die Pressemitteilung der Media Control, des Unternehmens, das für die Ermittlung der Charts zuständig ist, im Redaktionspostfach landete.

Schnuffel hüpft in dieser Woche mit einem lässigen Sprung auf den Thron der deutschen Single-Charts. Platz eins für ein virtuelles Kuscheltier, das eine Möhre besingt. Klar, debiler gehts kaum, aber das dachten wir ja schon beim Crazy Frog. Und so wähnt sich der Kulturpessimist unlängst im Realtone-Gulag.

Nicht zu Unrecht, denn so ganz ohne Verkäufe gelangt man nicht an die deutschen Single-Charts, die seit letztem Sommer auch Online-Releases berücksichtigen und die Charts nicht nach verkauften Einheiten, sondern nach Umsatz berechnen. Andererseits ist es kein Geheimnis, dass in den vergangenen Jahren immer weniger Verkäufe zum Charteinstieg genügten. So wird geschätzt, dass in schwachen Wochen einige hundert verkaufte Einheiten zum Sprung in die Hitparaden reichen.

Der grammatikalisch nicht ganz korrekt betitelte "Kuschel Song" kostet bei Jamba ohne Abo 1,99 Euro, also locker das Doppelte eines iTunes-Tracks - wo Schnuffel natürlich auch hoppelt. Auch das dürfte zum Höhenflug beigetragen haben. Erstaunlicherweise wird der Song auf der Anbieter-Homepage von den Usern eher schlecht bewertet. Zur Schau gestellte Abneigung, die die Scham des Downloads kompensieren soll?

Der Song selbst (Musik & Text: Jamba) ist ein billiger Großraumdissen-Stampfer mit einem Text, den man sonst eher von Einschlaf-CDs für Kleinkinder kennt. Doch das ist okay, denn Jamba ist ein Unternehmen, das aus Scheiße Geld macht. Und legitim ist es, weil Leute die Scheiße kaufen. Jamba behauptet auch nicht, dass das Kunst sei, geschweige denn Musik. Scheinheiligkeit kann man dem Unternehmen also nicht vorwerfen. Und Meister Lampe gibt keine Interviews.

So spielt die Musik auf den Musiksendern im TV längst in der Klingeltonwerbung. Für den Zuschauer, weil er sich das Gehörte gleich aufs ohnehin zum Musikabhörgerät Nummer eins avancierten Handy laden kann. Für die Industrie, weil die ohnehin spärlichen Verkäufe hier noch so etwas wie bare Münze versprechen. Und so kommt das Karnickel in die Charts.

Dennoch ist es verwunderlich, dass es nach dem grünen Frosch auf dem unsichtbaren Motorrad so lange gedauert hat, bis mit dem schnuffeligen Langohr und seinem libidinösen Verhältnis zur Möhre ein neuer Handystar auf den Plan tritt. Philip Ginthör von der kooperierenden Plattenfirma Columbia überschlägt sich in der Pressemitteilung vor sicher total ungekünstelter Begeisterung: "Ein Schnuffelhase bringt Deutschland ins Kuschelfieber!"

Klar, dass da auch schon ein Album in Planung ist, denn ob Medlock oder Schnuffel: Was sich verkauft, wird verkauft. Columbia/SonyBMG melkt die fette Katze, pardon, den fetten Klopfer, und droht, dass das hier nur die Debütsingle sei. Schon bläst das Münchner Unternehmen zum Möhrchen-Blitz auf Australien, Italien, Portugal, Frankreich und Russland. Dass der zum "Ringtone-Superstar" hochgejazzte Glubschaugen-Rammler von Tokio Hotel mühsam geleistete Aufbauarbeit kaputt kuscheln könnte, interessiert dabei nicht.

Schaut man sich einmal die aktuelle Chartspitze an, findet sich Schnuffel in guter Gesellschaft: Da reiten die Mallorca Cowboys, der abgehalfterte Techno-Star Alex C. spielt Doktor und Tim Toupet hält sich - dank Zwiebel auf dem Kopf - für einen Döner. Insofern wäre es wirklich unfair, einem computergenerierten Mümmelmann den Untergang des Abendlandes anzulasten.

Und wenn der doch kommen sollte: Der Messias der deutschen Musikindustrie, Tim Renner, prophezeite schon 2004: "Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm!".

91 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    bin bloss nicht mit diesen verallgemeinerten titeln wie "deutschland im..." einverstanden. kenn dieses zeug nicht mal, wieso sollte ich also im fieber sein hehe wie auch immer. wenns schon platz 1 der charts ist mit so einem titel , kann ja nicht viel gutes dabei rauskommen. aber trotzdem: mir egal :D

  • Vor 16 Jahren

    @Garret (« bin bloss nicht mit diesen verallgemeinerten titeln wie "deutschland im..." einverstanden. »):

    der kollege dobler nennt sowas dann immer "boulevard brutal". :D aber es gibt ja auch abstufungen: ganz deutschland, deutschland ... außerdem, selbst schuld, wenn du dich deutschland zugehörig fühlst.

  • Vor 16 Jahren

    rofl. auch schön: "deutschland an kuschelfieber gestorben". oder: "schnuffelstaat" :ill:

    ja, kasper gefrühstückt ...