24. Juli 2001

Die Medien machen den Hip Hop kaputt

Interview geführt von

Das Gespräch mit den Beiden lief dann sehr smooth und locker ab. Nur die momentanen Selbstzerfleischungs-Szenarien innerhalb der Hip Hop-Szene sorgten für erkennbare Wut bei Nico Suave. Beim späteren Konzert war davon zum Glück wenig zu spüren. Die Fans feierten zusammen mit Nico Suave, Tefla und Jaleel, Dabrutack, dem Hanseknallerer, sowie der Hamburger Hip Hop-Prominenz (inklusive Deichkind, FlowinImmo, Illo 77, DJ Mad, Dendemann, Sleepwalker und Moqui Marbles) das Ende der Tournee.

Wie läuft die Tour?

Nico: Sehr gut. Heute ist ja der letzte Termin. Ich bin sehr zufrieden, auf jeden Fall. Klar, in einigen Städten hätte es besser laufen können, aber im großen und ganzen sind wir sehr zufrieden. Reichenbach (Wo zum Teufel liegt denn das?) war nicht so voll, einen Tag vorher trat Jan Delay auf. Da hat die Karte 40,- Mark gekostet und dann noch mal 20,- für uns, dass konnten sich halt viele nicht leisten. Krefeld, der erste Termin, war auch nicht so cool. Wurde nicht so gut promotet, da er sehr kurzfristig angekündigt wurde.

Wie viele kommen denn im Schnitt?

Nico: So ca. 250 dürften das schon sein.

Warum ist Mr. Schnabel vom Line-Up abgesprungen?

Nico: Schnabel hat abgesagt. Er hat sich von seinen Leuten getrennt, Sleepwalker und DJ Ben Knobi, (Michael Jackson erschallt in ohrenbetäubender Lautstärke beim Soundcheck). Ist auch nicht mehr beim Management Octopussy. Insofern hat es sich nicht mehr so angeboten, mitzufahren (Später wird Nico während des Konzerts erzählen, dass er mit Schnabel down ist).

Kommen wir zum Album. Es war relativ schwer, kreative Fragen zu finden, da du auf der Platte ja eigentlich schon alles Wissenswerte erzählst.

Nico: Stimmt. (Gelächter)

Also, was hat es mit dem Song "Kritiker" auf sich? Schlechte Erfahrungen gemacht?

Nico: Klar, wir haben auch unsere Erfahrungen mit den Kritikern gemacht. Der Song ist jetzt nicht spezifisch. Ich will mich nicht beschweren, dass alle Kritiker uncool sind. Sondern eher, stell dir vor du hast ne Lieblingsscheibe, (Thriller von Michael Jackson, zum Thema Laut, das hören wir gerade aus dem Hintergrund, Flucht nach draußen auf drei kleine Steinhöcker). Noch mal zum Thema Kritiker. Das Lied basiert auf drei Strophen, jede Strophe steht für sich. In der ersten Strophe erzähle ich davon, dass ich halt oft schon ne Lieblingsplatte hatte, die ich auch selber bis ins Detail analysiert habe, die einfach die Bombe ist, gut produziert – gute Raps. Und dann gibt es diverse Kritiker, die sich mit der Platte gar nicht richtig auseinandersetzen, sei es aus Zeitgründen oder aus Mangel an Interesse.

Auch in Hip Hop-relevanten Zeitungen?

Nico: Gutes, aktuelles Beispiel: Die Juice. Die hat das Hi-Tek-Album verrissen, was wirklich eine Mörderscheibe ist. Das hat nichts mit Geschmack zu tun, natürlich kann man sagen, mir gefällt das Album nicht, aber man muss zugeben, dass sie gut produziert ist und dass da geile Features drauf sind. Und der Typ kriegt nur vier Kronen in der Juice.

Vier Kronen hast du auch bekommen ...

Ja, vier Kronen hab ich auch bekommen, aber der Typ hat mindestens fünf verdient. Da rege ich mich halt drüber auf, und deswegen habe ich den Song geschrieben.

Also gab es keine persönliche Angriffe gegen dich oder so?

Nico: Wir haben auch die Erfahrungen gemacht. Da gibt das Leute, die geben sechs Punkte in der Zeitung, haben uns aber nur vier gegeben, nur weil sie grundsätzlich sechs nicht vergeben. Und haben uns fünf Punkte nicht gegeben, weil sie die Platte nur überflogen haben. Das ist whack.

DJ Sparc: Vor allem Leute, die mit Hip Hop nix zu tun haben, da wird es dann schwierig. Wenn also jemand zu mir kommt und jetzt sagt, besprich mal bitte das Rockalbum, so etwas kann ich mir nicht anmaßen. Und wenn jetzt jemand daherkommt, der mit Hip Hop nur zu tun hat, weil es mehr oder weniger sein Job ist oder weil es in der Redaktion keinen Fachmann für diese Richtung gibt, dann ist das für mich nicht der richtige Weg. Das ist whack.

Wie bist zum Hip Hop gekommen?

Nico: So mit 13, ich habe diverse Leute kennen gelernt, die schon seit Jahren dabei waren, seien es Breaker, Emcees oder Maler. Deejays sind bei uns in Menden nicht so vertreten. Ich war oft im Jugendzentrum, bin Skateboard gefahren. Ja und irgendwann habe ich dann den Entschluss gefasst, selber Texte zu schreiben.

Wieviel Menden ist denn noch in dir drin? Ist ja wahrlich keine coole Großstadt ...

Nico (lacht): 100%, Menden ist 'ne schöne Stadt, ich bin da geboren und aufgewachsen, natürlich schlägt mein Herz für Menden. Ich fühl mich auch in Hamburg sehr wohl, aber Menden ist nun mal meine Homestadt und das wird sie auch immer bleiben.

Was ist wahr? Du bezeichnest dich selbst als "Raps Münchhausen", aber die Briefträgerstyles sollen ja wahre Erlebnisse sein.

Nico: Tja, "Raps Münchhausen" war auch so ein Flash. Guck dir die Szene doch mal an. Wie viele Battle-Lyriker gibt's da draußen, die meinen sie seien die Besten, nur aus Imagegründen. Doch dieses Image ist nicht cool. Und Münchhausen war einfach so ein Text, ebenfalls Battle-Lyrik, aber auf einer anderen Humor-Schiene. Beim Album war es mir jedoch wichtig, keinen Scheiß zu erzählen. Sondern Fakten auf den Tisch zu bringen, und mein Leben zu präsentieren. So ist alles, was du auf dem Album hörst, auch so passiert, bis auf ein paar Kleinigkeiten. Briefträger-Styles ist von A bis Z so geschehen, wie ich es erzählt hab. Ich hab vier Monate als Postbote gearbeitet, und diese Zeit hab ich auf Papier gebracht.

Also gibt es bei dir nicht nur die Hamburgerschen Doppeldeutigkeiten?

Nico: Nee, ich bin ja auch kein Hamburger. Ich mache Rap, wie ich es für richtig halte. Wenn ich Bock hab', einen Text zu schreiben, in dem ich nur Scheiße erzähle, wie bei Münchhausen, also nur Übertreibungen aufstelle, dann mach ich das. Wenn ich Bock hab', einen Song wie "Vergesslich" zu machen, wo ich auch mit Ironie spiele, dann schreibe ich so etwas. Genauso wie bei Briefträger-Style oder "Es hängt davon ab". Es ist halt von der Tagesform abhängig und von der Phase, die man durchlebt. Wie es einem emotional geht und so. Das ist Musikmachen für mich. Musikmachen heißt, das Leben reflektieren. Und mein Leben reflektiert nicht immer nur gute oder nur schlechte Laune. Sondern immer ein Teil von jedem, und das ist dann meine Art Musik zu machen.

(Nach Batteriewechsel, und der wieder entfachten Diskussion um Beef innerhalb der Szene)

Nico: Es ist halt auch so, dass die Medien viel kaputt machen, da sie so etwas ja suchen. Sie wollen ja, dass es im Hip Hop mehr und mehr abgeht. Wenn jemand sagt, dass er den und den scheiße findet, dann kann er das auch machen. Aber grundsätzlich sind es die Medien, die Feindbilder erschaffen. Deichkind zum Beispiel haben 250.000 Maxis von "Bon Voyage" und 100.000 vom Album verkauft. Und die Leute, die letztes Jahr noch auf die Konzerte marschiert sind und in der ersten Reihe standen, dissen sie heute. Und warum dissen sie Deichkind? Weil zum Beispiel jemand sagt, zum Beispiel Savas, dass er Deichkind scheiße findet. Aber das darf er auch sagen, weil das sein Geschmack ist.

Die Medien pushen das aber dann so hoch. Eine Zeitung wie die Juice zum Beispiel, die einen Award für den whacksten Act vergibt. Und da ist dann Deichkind auf einmal der whackste Act. Einen Monat vorher war das Album noch Platte des Monats in der Juice. Und das nervt mich einfach. Ein Azad, der ein tighter Emcee ist, der alles selbst produziert, der die Cuts selber macht, der breakt, der beatboxt; der wird nicht danach beurteilt, ob er ein vernünftiges Album abliefert, sondern wegen eines einzigen Tracks ("Gegen den Strom", Disse gegen Samy, Deichkind usw.). Und das geht einfach nicht. Die Medien machen zu viel kaputt und merken es gar nicht.

DJ Sparc: Wollen es auch gar nicht merken. Die Medien machen ihren Job, so muss man das einfach sehen. Die Leute sollen die Zeitung kaufen. Was liegt da näher, als einen Beef herauf zu beschwören. Die Kids kaufen dann das Mag und lesen sich den Scheiß durch.

Hip Hop-Magazine dürfen sich aber doch nicht auf Bravo-Niveau begeben ...

DJ Sparc: Die Juice hat wahrscheinlich auch einmal ohne diese Hintergründe angefangen. Doch mittlerweile ist auch die Juice abhängig von ihren Verkäufen.

Nico Suave: Die haben ne 60.000er Auflage. Dazu kommt noch die Konkurrenz mit Backspin, die auch in diese Regionen vorstoßen. Jeder muss gucken, wo er bleibt. Ist zwar scheiße, wenn das auf solchem Weg läuft. Business-Scheiße, und die Leute checken es nicht. Aber irgendwann kommt die Quittung. Auf den Tag warte ich. Ich werde auch beim nächsten Interview mit der Juice meine Meinung sagen, dass das der absolut falsche Weg ist. Ich schreibe seit sieben Jahren Texte, seit zehn Jahren höre ich Rap.

Mitte der 90er war es scheißegal, was man gehört hat. Da gab es lockere Gruppen wie Pharcyde, aber auch härtes wie den Wutang-Clan. Man hat halt beides gehört. Heute ist es ja so, dass sich viele Leute nur noch Battle-Lyriks geben. Die denken, wer die besten Battle-Texte schreibt, ist auch gleich der tighteste Emcee. Früher war alles etwas lockerer. Ich will aber nicht sagen, dass früher alles besser war, denn heute kann ich meine Platte rausbringen. Trotzdem merkt man, dass da mal irgendwann vor ein zwei Jahren ein Boom war, wo alles ging. Heute ist auch noch einiges am Start, aber heute hat es einfach eine ganz andere Basis. Wir müssen abwarten.

Haben die Konzerte denn noch wenigstens teilweise den früheren Jamcharakter?

DJ Sparc: Damals war das ja auch noch eine Szene, d.h. man kannte sich halt untereinander, weil es eben nicht so viele Leute gab, die Hip Hop gelebt haben. Auf 'ner Jam kanntest du jeden. Und wenn du ihn nicht persönlich kanntest, dann wusstest du immerhin, was er war bzw. was er tat. Das gibt es nicht mehr. Die Eppendorfer kommen mit zehn Leuten, die Barmbeker sind zu zehnt dabei, doch keiner weiß, was der andere macht. Okay, bei den Sprühern ist es wahrscheinlich anders. Genauso bei den Rappern, DeeJays und Produzenten. Doch das Publikum kennt sich untereinander nicht.

Nico Suave: Zum Beispiel legen nach unseren Konzerten immer Deejays auf. Gut, manchmal kommt der Veranstalter und schließt den Laden sehr schnell. Aber meistens spielen wir so lange, wie wir können. Ich kann es nicht ab, wenn das Konzert vorbei ist, und alle stürmen Richtung Eingang. Das ist für mich auch eine Art Jamcharakter, wenn noch aufgelegt wird. Oder dass es nach dem Konzert eine Freestyle-Session gibt. Auf der Tour hatten wir zum Glück nur ein Konzert, wo alle schnell weg waren.

Viele sogenannte Underground-Headz kommen wohl auch nicht mit der Selbstironie und dem kommerziellen Erfolg der Hamburger Acts klar. Deichkind zum Beispiel kriegen von KKS und Azad auf’n Deckel. Die Beginner oder Samy sind auch oft Feindbilder.

Nico Suave: Das kommt immer drauf an. Deichkind zum Beispiel sind einfach zu schnell nach oben gekommen und haben dafür auch alles getan. Das ist eine Geschichte, die man denen einfach nicht verziehen hat. Ich hab kein Bock auf die Typen, die denken, dass sie die Härtesten wären und nur harte Texte bringen. Aber wenn die mal auf Grund ihrer Texte in eine Hardcore-Situation kommen, dass einer vor ihnen steht und reinen Tisch machen will, dann ziehen sie den Schwanz ein. Dann ist keiner der Situation gewachsen. Ich meine, wir leben in Deutschland, wir sind in Großstädten wie Hamburg, Frankfurt oder Berlin, das ist mitunter kein Kindergeburtstag.

Hip Hop ist für mich aber etwas Persönliches, ich will von mir erzählen und keinen Dreck. Die Leute, die jetzt sagen, Deichkind ist scheiße, dass sind die, die sich letztes Jahr das Album geholt haben oder die es heute noch heimlich zu Hause hören. Im Endeffekt ist das alles aufgesetzte Scheiße. Es gibt natürlich auch Rapper, denen ich harte Aussagen auch abnehme. Einem Azad oder den Spezializtz zum Beispiel, da weiß ich, aus welchen Vierteln die kommen, und was die machen. Es gibt aber genauso viele Leute, wo ich mir denke: Typ, das ist nicht ernst, was du mir gerade erzählst. Ich bin nun auch nicht immer so ein Weichei, dass ich meine ganzen Fehler zugebe usw., aber ich bleib auf dem Teppich. Jeder muss das repräsentieren, was er wirklich repräsentieren kann. Sparks zum Beispiel kommt aus Hamburg-Steilshof (oder so ähnlich), das ist auch ein Ghettoblock. Aber er geht damit jetzt nicht hausieren.

Gut, kommen wir am Schluss noch mal zum Album. Haben sich die Erwartungen kreativ wie kommerziell erfüllt?

Nico Suave: Wir sind voll zufrieden, auf unserer Internetseite werden fast nur coole Kommentare gepostet. Im Kreativbereich wird in Zukunft noch einiges mehr gehen, weil wir als Team durch die gemeinsame Tour noch enger zusammenwachsen. Bei "Vergesslich" zum Beispiel hatte ich echt ein bisschen Panik, dass das Ding so richtig hoch in den Charts einsteigt, da es eine Zeitlang heftig auf den Musiksendern rotierte. Es ist irgendwo in den 80ern eingestiegen und war ein paar Wochen später auch schon wieder draußen. Das war mir im Endeffekt auch lieber. Wichtig war für mich, dass sich die Leute den Song aufnehmen, und ich mir so eine gewisse Basis schaffe. Ich will aber nicht mein ganzes Leben lang, nur nach "Vergesslich" beurteilt werden. Die nächsten Sachen werden anders sein als diese Nummer, da sie uns einfach nicht repräsentiert. Es war halt nur ein Flash, eine Textidee, weil ich nun mal supervergesslich und chaotisch bin.

Vielen Dank für das Gespräch.

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