laut.de-Kritik
Diese Platte könnte als Musical Karriere machen.
Review von Philipp KauseEs wurde nie ausdiskutiert, ob Punks besonders soziale Wesen sind, weil sie ein 'besseres' System anstreben, oder ob sie besonders selbstzentriert sind. Ohne Nina Hagen lässt sich das schwer klären, denn sie ist eine der wenigen Promi-Punks, die noch leben und der Anarcho-Strömung die Treue halten. Übrigens ganz ohne sich je als Teil von Punk gefühlt zu haben, das habe man ihr angedichtet. Ihre neue Platte ist nicht deswegen eine Sensation, weil sie Dylans "Blowin' In The Wind" covert. Recyceln tun ja viele, seit Corona fast jede*r. Der Clou auf "Unity" liegt im neomarxistisch gesinnten 'l'agent provocateur'-Ansatz des widerspenstigen Sounds (z.B. "Shadrack") und der feministischen Bekenntnisse ("United Women Of The World") - Anschlag auf die Diskussions-Faulheit unserer Tage.
Nina lobpreist in mehreren Songs den Wert der "Unity" und "Community" und meint damit etwas grundsätzlich anderes als Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer, wenn sie "große Geschlossenheit" verkündeten. Und eben auch einen anderen Feminismus. Hagen tritt in ihrem Spätwerk als die Raue, Laute, Kompromisslose, Konfrontative auf. Ob die Töne im einzelnen 'schön' sind, so wie sie sie zischt, als wären's Zaubersprüche eines Magiers, ist zweitrangig. Die Vocals und seltsam eigenwilligen Arrangements mit Zitat-Schnipseln und Noise-Loops sind in erster Linie wirkungsvoll. Schnell tritt das Gefühl auf, diese Platte könnte als Musical Karriere machen. Wahrscheinlich alles eine Frage der Zeit. "Wir arbeiten da seit Jahrzehnten schon dran, das ist eine Zusammensammlung von Schätzen. Das sind sozusagen ein paar getrocknete Blumen und ganz viele frische. Das ist eine Schatzansammlung, die war auch mal kurz tiefgefroren und weiterverarbeitet", beschreibt Nina den Entstehungsprozess von "Unity".
Im Detail feiert die Ex-Ost-Berlinerin, Ex-Hamburgerin, -Kalifornierin, -Londonerin, -Pariserin und wieder Berlinerin einige Highlights ihrer Biographie noch mal. Die Punk-Explosion randaliert am Rande. Hagens Rolle als Europas Dub-Pionierin bekommt dagegen fett Platz eingeräumt. In "Shadrack", im stark produzierten Dance-Tune "Gib Mir Deine Liebe", in "Open My Heart (Dinner Time)", im Titelstück "Unity" und dem Trip Hop-zugeneigten und asiatisch angehauchten "Redemption Day" setzt sie der Abstraktion dieses Genres ein Denkmal. Mancherorts wie in "Venusfliegenfalle" regiert der absurde Humor der Künstlerin, ein weiteres Markenzeichen. Text und Musik frappieren.
Höhepunkt im durchweg spannend gestalteten Werk ist "Geld, Geld, Geld" mit vielen eingängig gereimten wie auch bösen, direkten und schonungslos ins Mark des Kapitalismus bohrenden Zeilen. Da agiert sie doch punky: "Wie leben in einer traurigen Welt / was alleine zählt, ist Geld, Geld, Geld / alles muss schnell geh'n, aber alles wird vom Winde verweht. / Große Städte stinken, die Reklameschilder blinken. / Du siehst mich nicht winken, aber ich seh' dich in deinen Illusionen versinken. / Du glaubst, du gehst grade, aber ich seh dich nur hinken. / Dich selbst linken, immer tiefer versinken, dich mal wieder betrrrrinken. / Dich besaufen, dir Sex kaufen / vor dir selbst weglaufen. / Wir leben in einer dunklen Zeit. / Ich spüre eine große Einsamkeit. (...) Wir leben in einer traurigen Welt."
Und wenn man nun doch auf "Blowin' In The Wind" zu sprechen kommen soll, dann sei vorangestellt, dass Nina sagt, sie sei "traurig, dass in den ganzen Casting-Sendungen immer nur gecovert wird. Covern macht großen Sinn, weil es ja gute Songs gibt auf der Welt, die es wert sind zu covern." Nun, sie bringt überwiegend eigenes Material mit, und auch mit dem Klassiker von 1963 vollzieht sie mehr als nur das Covern. Das Demo des Dylan-Songs nahm Nina Anfang der '00er auf, als sie in L.A. lebte. Es handelt sich um eine Übertragung ins Deutschsprachige, allerdings variiert sie in den Metaphern. "Wie viele Straßen / auf dieser Welt / sind Straßen voll Tränen und Leid?" singt sie in Sixties-Folksinger-Style zu Akustikgitarre, immensem Percussion- und Effekte-Aufgebot für den heulenden Wind und mit undefinierbaren Tönen, die von einer Ukulele stammen könnten. Dazu passt ihre Erinnerung, "ich bin ja ein alter Hippie gewesen in der Zeit, wo die da ihren Punk gefeiert haben." Solide Sache, nicht besonders weltbewegend, eher einer der schwächeren Momente der Platte, die durch solche Schlenker aber angenehm bunt gerät. "Ich hätt' ja auch 'Masters Of War' nehmen können", kommentiert Nina im Interview ironisch ihre Präferenz für "Blowin' In The Wind". "Wenn wir den live spielen, also da kannst du wirklich Scherzkekse drauf nehmen: Publikum singt immer mit, die kennen den Song, das ist einer unserer Super-Songs."
Schon die vorab-Single "United Women Of The World" strich einem die Ausrichtung der LP auf einen Frauenstandpunkt dick aufs Brot. Dass und weshalb der Song fast nicht erschienen wäre, erzählt bereits viel über seinen Inhalt. "Dieses Lied lag eingefroren in einem Aufnahmestudio, und die wollten das nicht rausrücken, jahrelang. Und ich hab immer gebettelt und gebettelt (...) und da steckte wieder ein männlicher Freund dahinter. Wieder ein männlicher, der mich so enttäuscht hat. Aber mit der Hilfe von (...) Grönland Records haben wir's geschafft, sein versteinertes Herz wieder aufzutauen. (...) Und ich versteh's manchmal nicht: Es gibt so übergriffige Menschen, die glauben, Nina Hagen ist irgendwas, womit man Geld machen kann." Die Aufnahme musste in dieser und keiner anderen Fassung her, weil drei Sängerinnen, Lene Lovich, Liz Mitchell und Nina, zusammen zu hören sind. Los geht's als catchy Alternative Rock, dann folgen Electro-Echo-Loops und Rockabilly-Soul-Takte.
Auch "Unity" ging dem Album bereits voraus, wobei die (beabsichtigte) Zuordnung des Tracks zu Black-Lives-Matter in der Subtilität des Stücks unscheinbar war. Ein George raunt und seufzt da immerzu "Hey Nina, this is George calling" - kein Geringerer als Parliamentarier George Clinton! Der P-Funker hatte in den '80ern mal auf ihren Anrufbeantworter gesprochen. Nina konservierte den Schnipsel und widmet ihn dem 2020 erdrosselten George Floyd, verwendet dazu schrille Funkwellen-Interferenzen, ein vergessenes Herzelement der Funkiness, während ein Dub-Reggae den Takt vorgibt. Ein rundes, schönes und quirliges Lied.
Eindeutiger sozial engagiert zeigt sich "16 Tons", weil es um den Betrieb einer Kohlemine geht. Nina festigt die Kategorie des Protestsongs, klingt musikalisch einerseits nach Nick Waterhouses Surf-Sound, andererseits nach trockenem Outlaw-Rock im Sinne Steve Earles oder Kris Kristoffersons. "Bei '16 Tons' geht's um eine Firma, die damals ihren Angestellten kein Geld bezahlt hat, sondern irgendwie Lebensmittelkarten - eine äußerst unsoziale Art des Kapitalismus! 'Ne Weiterführung der Sklaverei auf eine etwas undurchsichtigere Art und Weise. Ich find das ganz wichtig, dass wir das so machen wie damals Dr. Martin Luther King und die Bürgerrechtsbewegung, die durch die Straßen gelaufen sind. In ihrer gewaltfreien (...) Art und Weise haben sie Lieder zusammen gesungen. Heutzutage brauchen wir auch wieder (...) sozialpolitische Songs - kriegen wir wenig zu hören, aber die brauchen wir."
Auf Deutsch merkt man trotzdem mehr vom stochernden Einsatz der Künstlerin für Gerechtigkeit. In der Klang-Collage "Atomwaffensperrvertrag" ist es ihr ganz wichtig, den wiederholten Bruch eines immerhin ratifizierten Abkommens anzuprangern. Während unser aktuelles Oberhaupt Olaf, der in den '80ern mehrmals als westdeutscher Juso-Delegierter die Sowjetunion bereiste, von nuklearen Gefahren überrascht scheint und Pressekonferenzen zum Thema mit Andeutungen, Arroganz und Abwürgen löst, macht es bei Nina Bam! Bam! Und noch ein Argument. Und noch ein Fakt! Und noch ein Beispiel! "In Büchel in der Südeifel sind im Rahmen der sogenannten 'nuklearen Teilhabe' innerhalb der NATO circa 20 Atomsprengköpfe stationiert. Wovon jede einzelne das Zehnfache der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe besitzt." Den scharfzüngigen und inhaltsreichen Spoken Word-Flow unterlegt ein sportlich getakteter Drum'n'Bass mit Electro-Exotik und Western-Feeling. Hagen loopt Ausschnitte aus Reden. Auch ein Satz von Trump erklingt.
Für Drum'n'Bass-Funk mit gesprochenen Zeilen und Effekten auf den Stimm-Tonspuren ist die 67-Jährige gerne mal zu gewinnen, so auch in "Open My Heart (Dinner Time)". Assoziativ spinnt die Songwriterin kurze Sätze zu einem impressionistischen Stück Comedy mit Helge Schneider-Subversion zusammen. Entstanden ist das Lied durch Gebrabbel ihres Sohns Otis, als der 1990 geborene jüngere Halbbruder von Cosma Shiva Kleinkind war.
Eine spontane Jam-Session mit Bob Geldof beendet diese originelle Platte. Unter den Alben 2022 erinnert sie maßgeblich nur an eine andere, nämlich Santigolds "Spirituals". Es gibt ein paar Parallelen: Karibische Musikelemente, spannend eingesetzt, Crossover-Genre-Ausrichtung, spirituelle Momente in den Textaussagen, Witz und Feuer, massive Bässe, eine starke Protagonistin und ein Aufrechterhalten von Neugier beim Hören vom ersten bis zum letzten Track. Hagen bleibt cool. Möchte aber nicht Punkerin genannt werden. Und nutzt die CD-Veröffentlichung, um das wichtigste nochmal klar zu stellen: "Da diese Welt so schnelllebig ist und Schubladen aufmacht, wo eine Überschrift draufsteht, und da steht (...) 'Godmother of Punk', (...) sieht man gar nicht, wie wir das erlebt haben. Ich hab das nicht so erlebt, dass ich jetzt plötzlich Punk bin. Ich war solidarisch mit den Punks. Aber mit den friedliebenden, mit den gewaltlosen Punks, die für Frieden und Freiheit stehen." Amen. Für diese beiden Fs tritt die LP zweifellos ein.
2 Kommentare
Nina for president.
wenn philipp kause schreibt fliesen die wörter wie melodien in meine ohren / danke