laut.de-Kritik
Der ewige Oasis-Star triggert Nostalgie-Gefühle.
Review von Rinko HeidrichBleischwere Solo-Alben von Damon Albarn, nicht minder betrübliche Stimmung bei seinen Kollegen Dave Rowntree und Graham Coxon, Pulp mussten dieses Jahr sogar den Tod ihres Bassisten verarbeiten. Die Stimmung ewiger Jugend aus den Neunzigern verblasst immer mehr und weicht dem Wissen um Vergänglichkeit.
Auch ein Noel Gallagher, der mit Oasis das euphorische Britpop-Lebensgefühl damals maßgeblich mitprägte, flirtet derzeit heftig mit der dunklen Seite des Lebens. So coverte er für eine Radio-Show Joy Division und lässt Goth-Ikone Robert Smith für einen Remix seines Songs "Pretty Boy" ran. Richtig gute Stimmung war bei dem Grummler und ewigen Trotzkopf eh nie angesagt. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Die Scheidung von Ehefrau Sarah McDonald im Januar hob sicherlich nicht die Stimmung, aber es war die Pandemie, die Noels zuvor entdeckte Vorliebe für Dance-Grooves wieder jäh beendete.
Ein bisschen Kampfgeist steckt trotzdem noch in dem Mann, dessen Wurzeln in Manchester und seiner trotzigen Arbeiterklassen-Mentalität liegen. "I'm Not Giving Up Tonight" klingt wieder nach einem Titel der alten Gallagher-Schule. Alles drückt dich auf den Boden und keiner glaubt an dich? Egal, geh raus und zeig es ihnen! Northern Soul eben, der leider musikalisch komplett auf Nummer Sicher geht und fast schon provokant simpel wirkt. Als ob er all den Ignoranten seiner Kunst gehässig eine seichte Britpop-Nummer hinwirft. Selber schuld, ihr wolltet ja meinen Ausbruchsversuchen auf neue Pfade nicht folgen, also fresst dieses B-Seiten-Material und schweigt für immer.
Doch Noel kann es viel besser, wie "Dead To The World" unter Beweis stellt. Filmmusik wolle er eines Tages komponieren, erklärte er kürzlich in einem Interview. Das hier kommt einem perfekten Score-Sound schon sehr nahe. Klassisch, elegant und opulent wie ein Sechziger-Film der alten britischen Schule. Noel wird es nicht gerne hören, aber seine Rückgriffe auf Traditionen, auch die eigenen, gehören zu dem besseren Material seiner Songwriting-Karriere. Innovativ ist daran nichts, aber die Vorstellung, wie Noel durch das neblige Swinging London mit Schauspieler-Legende Michael Caine als Chauffeur fährt, muss man als Fan britischer Kultur einfach lieben. Sogar Liam, ansonsten um keine Breitseite gegen den verhassten Bruder verlegen, schrieb anerkennend auf Twitter: "Wie kann ein so gemeiner kleiner Mann ein so schönes Lied schreiben?".
Traditionell geht es mit "Open The Door, See What You Find" weiter. Ist jetzt 1966 oder 1996? Egal, das große Streicher-Drama schließt nahtlos an "Dead To The World" an, diesmal allerdings noch gemischt mit schönerem Oasis-Rock und Richard-Ashcroft-Edelbritpop. Ein bisschen frech, wie Noel da Nostalgie-Gefühle triggert. Es ist nicht einmal der Höhepunkt der großen Rückschau und Selbstzitate-Revue. "Trying To Find A World That's Been And Gone Pt. 1" ist so Oasis, dass es jedem Fan, der den Aufstieg in den Neunziger Jahren mitverfolgt und seitdem nicht mehr von seiner Jugendliebe loslassen kann, Freudentränen in die Augen treibt.
Natürlich gab es bei Noel Gallagher immer wieder diese Rückgriffe auf die Hochphase, aber selten in solch einer Form. Selbst wenn er mal wieder auf ein bekanntes "Wonderwall/Talk Tonight"-Thema zurück greift, fängt er hier die seitdem etwas verlorene gegangene Magie wieder ein. Doch auch Füllmaterial ist man als Oasis- und Noel-Fan gewohnt. Diesmal gibt es ein "There She Blows" oder ein "Think Of A Number". Langweilige Nummern, die repetitiv auf keinen Höhepunkt zusteuern. Auch das unter Kritikern bereits hochgelobte "Easy Now" entwickelt nach einem großen Einstieg keine weitere Idee und schließt an die zahnlosen Dad-Pop-Nummern der jüngeren Vergangenheit an. Nicht ärgerlich, aber auch keine Empfehlung für die nächste Best Of.
Diesen Platz darf dafür gerne "Pretty Boy" einnehmen: Eine Nummer mit Wave-Spirit sowie einem Wink in Richtung der anderen Manchester-Heroen New Order. Vielleicht findet sich hier die Zukunft von Noels Songwriting. Sein Gespür für Melodien und sein jüngeres Interesse für Dance-Rhythmen gepaart mit der großen Melancholie im Herbst des Lebens. Die Fotografie des Album-Covers zeigt die Stelle, auf der einst das Maine Road Stadion stand. Hier spielte sein Lieblingsverein Manchester City, hier feierten Oasis einst ihre triumphalen Konzerte. "The Dreams We Have As Children They Fade Away", sang Noel einst. Es scheint so, als fange er erst jetzt, mit Ende Fünfzig, wirklich wieder an zu träumen und sehnt sich nach der Zeit, als es nur nach vorne ging. Eine gute Entscheidung: "Council Skies" ist seine beste Arbeit seit dem Solo-Debüt.
8 Kommentare mit 3 Antworten
Musik für Leute, die solche Musik hören.
Musik für Leute wie mich
und für mich und für argemongo (vermute ich mal)
Der Remix von ober Smith haut mich jetzt nicht so vom Hocker, dafür überraschenderweise der von den Pet Shop Boys...
Ansonsten bleibt Chasing Yesterday wohl weiterhin mein Highlight von Noel...
Gut abgehangener Altherrenrock. Warum das jetzt als seine beste Platte oder zumindest als return to form gewertet wird, muss man nicht verstehen. Who Built the Moon? war um einiges spannender.
Gut zu hören, dass die Qualität auch wieder bei Noel stimmt! Die beatlastigen Tracks nach dem letzten Album, insbesondere „Black Star Dancing“, waren schon okay, aber die hymnischen Melodien stehen Noel besser. Wenn die Brüder solo so weitermachen, brauche ich definitiv keine Oasis-Reunion mehr.
Noel Gallagher lässt wieder Mana vom Himmel fallen. Das beste was ich seit Jahren gehört habe von A bis Z stringente Platte. Absolute Knaller sind Dead to the World und Easy Now einfach zum niederknien.
Ja jetzt nicht der große Knüller, aber auch nicht komplett mies: https://youtu.be/rfvdSdrJovw