laut.de-Kritik
Der Tod steht ihm gut: Die Geschichte des Ian Curtis.
Review von Michael SchuhEr steht am Anfang einer jeden ordentlichen Legendenbildung und er lässt im besten Falle die Kassen (der verbliebenen Angehörigen) lauter klingeln als zu Lebzeiten: Gevatter Tod. Nimmt der sich aus Augenzeugenberichten, Originalzitaten und dem künstlerischen Erbe des Verstorbenen speisende Mythos dann erstmal Fahrt auf, ist er so schnell nicht mehr aufzuhalten. Endstation Hollywood.
Der US-Weltmetropole des Films das zerbrechliche, wenngleich Spielberg-taugliche Sujet Ian Curtis/Joy Division in den Rachen zu werfen, wäre freilich einem noch größeren Frevel gleichgekommen, als die irrwitzige Standort-Verlegung für die 2000er Verfilmung des urbritischen Hornby-Romans "High Fidelity" von London nach Chicago.
Stattdessen dirigiert den von diesem Soundtrack begleiteten Joy Division-Film "Control" der holländische Band-Intimus Anton Corbijn, der seine Meriten zwar vorwiegend als Video-Regisseur erworben hat, aber bereits Ende der 70er in seinem Hauptberuf als Fotograf das unverschämte Glück hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Corbijn als nachlassverwaltender Illustrator des mystischen Schaffens von Ian Curtis und Band - ein wahrer Glücksfall. Denn noch immer klingt es abenteuerlich, dass die kurze Geschichte der so eminent wichtigen Postpunk-Band, die einher geht mit dem Suizid ihres an Epilepsie leidenden Sängers Curtis, nun tatsächlich im offensiv beworbenen Leinwandformat vorliegt. Den zeitgleich agierenden Pionieren Buzzcocks oder Soundvordenkern wie Lou Reed und David Bowie fehlt dazu wohl allein der Heldentod.
Auch für den Soundtrack sammelte Musikfan Anton Corbijn alle höchstpersönlich ein, die Inspiratoren, die gefeierten Protagonisten und ein paar wenige Unverdächtige. Zu letzteren gehört für Außenstehende sicher John Cooper Clarke, eine aus Salford/Manchester stammende Dichter-Instanz, die bereits Ende der 60er in verrauchten Bars hintersinnige Psychedelia-Verse im Stile des hier aufgeführten "Evidently Chickentown" zum Besten gab und später mit lokalen Bands wie Joy Division auf die Bühne stieg.
Die Hauptband ist mit vier Stücken vertreten, den Singles "Transmission" (1979), "Atmosphere" (1980) und natürlich der Hymne "Love Will Tear Us Apart" (1980) sowie dem störrisch-intensiven "Dead Souls", das es 1980 unglaublicherweise nur auf eine B-Seite schaffte.
Zusammen genommen leisten sie den von Corbijn erhofften Anspruch, das durchaus heterogene Soundgesicht der Band darzustellen, das auf dem Debütalbum "Unknown Pleasures" noch einer hörbar eigenwilligen Punk-Ästhetik verpflichtet war, um mit dem synthetischeren "Closer" eine neue Irritationsstufe zu erklimmen.
"Atmosphere" weist Ian Curtis vielleicht am deutlichsten als Anführer einer raren Sängerspezies aus, deren Intonation völlig losgelöst von der begleitenden Akkordik zu agieren scheint und gerade dadurch eine weltfremde, einzigartige Faszination versprüht. Nur Avantgarde-Kollege Genesis P. Orridge kann Curtis in dieser Disziplin noch das Wasser reichen.
Unerreicht ist auch knapp 30 Jahre nach diesen Aufnahmen die herzzerreißende bis beklemmende Intensität, die die Band mit ihrem Mut zur musikalischen Reduktion zu Tage förderte. Simon Reynolds, Autor des Postpunk-Manifests "Rip It Up & Start Again: Post Punk 1978-1984" schwärmte zu Recht von den riesigen Räumen, die sich in Joy Division-Songs auftun und in denen ihre Hörer seither in Scharen versinken.
"Shadowplay", der einzige Song vom Debütalbum "Unknown Pleasures", ist in einer gehörig Respekt zollenden Coverversion der amerikanischen The Killers vertreten. Trotzdem: Dass sich Corbijn aus den Hundertschaften potenzieller Anwärter ausgerechnet Brandon Flowers' Band aussuchte, zahlt sich auf elegante Weise aus.
Da drei der vier Joy Division-Bandmitglieder noch am Leben sind, lag es nahe, sie um die Teilnahme am Nostalgieprojekt zu bitten. Ein Glück für Corbijn, dass er dies zu einem Zeitpunkt tat, als sich Bernard Sumner, Stephen Morris und Peter Hook noch grün waren. Ihre Beiträge reduzieren sich allerdings auf drei kurze, sphärische Instrumentals, von denen nur "Get Out" die Zwei-Minuten-Grenze überschreitet.
Ein echter Gewinn des Soundtracks ist die Entdeckung des wahnwitzigen Kraut-/Psychedelic-Monsters "She Was Naked" von Supersister aus dem Jahr 1970 (!), eine soundtechnisch ähnlich visionäre Leistung, wie die allseits bekannten der Kollegen Reed und Bowie.
Wobei: Die todtraurige Synthesizer-Eloge "Warszawa" von Bowies grandiosem "Low"-Album dürfte bei einigen Spätgeborenen zum Tiefschlag ansetzen. Nicht erst nach Genuss des Films erschrickt man beinahe, wie perfekt diese sechseinhalb Minuten Verzweiflung das Seelenleben der zerrissenen Person Ian Curtis vermeintlich in Töne umsetzen. Wenig verwunderlich daher, dass sie als Namensgeber der Prä-Joy Division-Formation Warsaw herhielt.
Auch Reeds Velvet Underground ("What Goes On") übten großen Einfluss auf die Attitüde von Joy Division aus. Die Sex Pistols als Initiatoren der britischen Punkbewegung ("Problems - live"), die Buzzcocks ("Boredom - live") als lokale Heroes von Curtis und der vor allem aufgrund seiner Stooges-Vergangenheit hoch verehrte Iggy Pop runden den stimmigen Sampler ab. Anstelle der von Curtis hoch geschätzten Kölner Kraut-Revoluzzer Can wählte Corbijn allerdings die Düsseldorfer Alternative Kraftwerk.
Joy Division-Kenner dürften sich zwar höchstens von der hier vertretenen Radio-Performance des Songs "Transmission" beeindrucken lassen. Corbijns Ziel, den Hörer auf Entdeckungsreise zu schicken, darf allerdings als gelungen betrachtet werden. "Enjoy the soundtrack of our lives", schließt der Regisseur im Booklet. Hinterher sollte niemand mehr sagen können, er habe von nichts gewusst.
9 Kommentare
Klingt nach einem hervorragendem Soundtrack. Der wird seinen Platz neben dem ebenfalls sehr schönen Trainspotting-Soundtrack finden
@Citizen Erased (« Klingt nach einem hervorragendem Soundtrack. Der wird seinen Platz neben dem ebenfalls sehr schönen Trainspotting-Soundtrack finden »):
ich finds auch gut
ja, die Cd hat so einpaar gute Songs...
Sam Riley hat phantasisch in diesem Film gespielt. Film und CD lohnen sich!
Film ist auch super
Film ist auch super