laut.de-Kritik
Klassische Metaller in freier Wildbahn.
Review von Olaf SchmidtMöchte man noch einmal den klassischen Metaller in freier Wildbahn erleben, bevor er zusammen mit dem Rest der Menschheit im nächsten Eiszeitalter versinkt, bietet die neue Overkill-Live-DVD eine gute Gelegenheit dazu. Schon bevor die ersten Töne des Auftritts erklingen, flaniert die Kamera an den wartenden Fans vor der Oberhausener Turbinenhalle vorbei, die freudig jedes Klischee zelebrieren, das man mit dieser Szene verbindet. Irgendwie putzig, aber zugleich auch schön, dass einige Dinge eben doch konstant bleiben.
Diese ersten Bilder deuten schon an: Overkill präsentieren uns keinen gewöhnlichen Konzertmitschnitt, sondern einen Musikfilm. Immer wieder unterbrechen Interviews und Backstage-Dokumentationsszenen den munteren Thrash-Metal-Reigen. Gleich zu Beginn sinniert Bobby "Blitz" Ellsworth darüber nach, man habe den Fans etwas besonderes bieten wollen und spiele deshalb nicht nur eins, sondern gleich zwei Alben am Stück. Eine gute Idee, die das Publikum dankbar aufnimmt. Zwei Jahre haben sich Overkill seit diesem Abend Zeit gelassen, um das Material zu sichten und die Haare schön zu machen.
Zunächst gibt es "Horrorscope" am Stück, bis heute das bestverkaufte Album der Metal-Urgesteine aus New Jersey. Müßig zu erwähnen, dass von der damaligen Bandbesetzung nur noch Sänger Bobby Blitz und Bassist D.D. Verni an Bord sind. Aber die Neuen, die teilweise auch schon fast zwanzig Jahre in der Band lärmen, machen ihre Sache ebenfalls gut.
Speziell Dave Links glänzt mit ein paar feinen Gniedeleinlagen, zum Beispiel in "Frankenstein", dem Instrumentalstück. Verni spielt beim Titelsong einen Doppelhals-Bass. Ich kann mich nicht erinnern, so ein Teil schon einmal gesehen zu haben. Die Notwendigkeitsfrage lassen wir mal in der Schublade. Der Komplettdurchgang des Band-Debüts "Feel The Fire" steht dem ersten Set in Nichts nach, die Zuschauer feiern Klassiker wie "Rotten To The Core" gebührend ab.
Im Unterschied zu der maximal soliden Live-DVD von Anthrax neulich verschonen uns Overkill mit Schlagzeugsoli oder ähnlich überflüssigem Schnickschnack und spielen energisch, aber bestimmt die Songs der beiden Platten runter. "Kill At Command" fahren sie etwas vor die Wand, machen sich dann im Interview herrlich darüber lustig. Rhythmusgitarrist Derek Tailer: "Die einzige Sache, die ich über 'Kill At Command' sagen kann, ist, dass ich selbst, Derek Tailer, den Song absolut perfekt gespielt habe. Es waren die anderen vier Typen in der Band, die ihn königlich verkackt haben." Hahaha.
Man merkt den Thrashern an, dass sie den Auftritt nicht als Pflichtübung sehen, sondern richtig Spaß am Material haben. Wie auch nicht? Beide Alben stellen schließlich Klassiker des Genres dar. Auf der Bühne herrscht viel Bewegung, während Bobby Blitz wie gewohnt alles kaputtkräht. Die längere Arbeit der technischen Crew hinter diesem Mitschnitt macht sich bezahlt. Das Resultat sieht dynamisch aus und klingt hervorragend. Licht und Atmosphäre kommen bestens zur Geltung. Der Beleuchter legt sich voll ins Zeug, die Bildregie begeht nicht den Fehler, das Geschehen zu hell zu filmen.
Die eingestreuten Interviewschnipsel amüsieren mit lustigen Anekdoten aus dem Tourleben. So erfahren wir, dass Derek Tailer die Herausforderung meisterte, zuerst seine Stiefel und dann die Hose anzuziehen. Noch mehr Respekt nötigt einem allerdings Soundmischer Eddy "The Mexecutioner" Garcia ab, der bei diesem Auftritt als Interimsschlagzeuger hinter den Kesseln sitzt und nicht nur ein ganzes Tourset auswendig lernte, sondern auch noch die beiden Alben am Stück. Für einiges Schmunzeln sorgt auch ein Kollege der schreibenden Zunft mit unfassbarem Akzent.
Wer seinen Live-Thrash lieber bildlos möchte, darf sich freuen: Neben der DVD gibt es in der Box auch zwei CDs.
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