28. Juni 2017

"Linkin Park kann man nicht einfach ans Bein pissen"

Interview geführt von

Mit ihrem aktuellen Album "Crooked Teeth" zeigen Papa Roach zeigen ihren alten Nu Metal-Kollegen von früher die lange Nase. Während Linkin Park dieser Tage ordentlich Dresche bekommen und über das letzte Korn-Album schon gar nicht mehr gesprochen wird, überzeugen Jacoby Shaddix und seine Männer mit ihrem neuesten Studiostreich.

Die Musikwelt rund um die Jahrtausendwende präsentierte sich so farbenfroh wie ein prallgefülltes Ikea-Bällebad. Überall funkelte, glitzerte und leuchtete es. Boybands und Girlgroups marschierten vorneweg, dicht gefolgt von Blockbuster-Popstars wie Santana, Britney Spears, Celine Dion und Robbie Williams. Aber es gab auch eine musikalische Gegenbewegung. Fernab von digitalen Format-Sounds hievten Bands wie Korn, Limp Bizkit, Incubus und die Deftones die Crossover-Essenz ihrer Kollegen von Faith No More und den Red Hot Chili Peppers auf ein neues Level.

Auch Papa Roach waren seinerzeit mittendrin statt nur dabei. Die Nu Metal-Kakerlaken aus dem kalifornischen Vacaville tummelten sich im April 2000 mit ihrem Major-Debüt "Infest" in den Top-5 der amerikanischen Billboard-Charts. 17 Jahre später sind Papa Roach immer noch am Start. Erst vor kurzem erschien das mittlerweile achte Studioalbum der Band "Crooked Teeth", mit dem Jacoby Shaddix, Jerry Horton und Co. wieder verstärkt an ihre Anfangstage erinnern. Wir trafen uns mit Sänger Jacoby zum Interview und sprachen über den perfekten musikalischen Mittelweg, alte Kühlschränke und persönliche Lebensretter.

Jacoby, Linkin Park kriegen dieser Tage ordentlich was auf die Mütze. Auch Korn haben sich mit ihrem Versuch, alte Erinnerungen zu wecken nicht überall Freunde gemacht. Ihr hingegen werdet mit eurem neuen Album nahezu überall auf Händen getragen. Woran liegt das?

Keine Ahnung. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns im Gegensatz zu Linkin Park und Korn für einen musikalischen Mittelweg entschieden haben. Aber ich muss hier jetzt auch mal eine Lanze für die anderen Jungs brechen. Ich meine, was soll der Scheiß? Einer Band wie Linkin Park kann man nicht einfach so ans Bein pissen, nur weil sie kaum noch Gitarren am Start hat. Die Jungs schreiben immer noch tolle Songs. Die Leute sollten sich wirklich mal einkriegen. Wenn sich eine Band nicht mehr weiterentwickeln darf, dann sollte man sich über das Business große Sorgen machen.

Warum habt ihr noch Gitarren am Start?

Weil wir nun mal eine Rock-Band sind. Aber wir experimentieren auch viel rum. Hör dir nur unseren neuen Song "Periscope" an. Der sticht auf dem neuen Album ziemlich raus. Letztlich spielt es aber keine Rolle, welchen Sound ein Song verkörpert. Wichtig ist nur, dass der Song gut ist. Punkt.

Apropos "Periscope": Dem stehen auf der anderen Seite Nackenbrecher wie "Crooked Teeth" und "My Medication" gegenüber; Songs auf denen du wieder rappst, als hättet ihr "Infest" erst vor einem Jahr veröffentlicht. Wer oder was hat dich in puncto "Gesang" wieder zurückblicken lassen?

Das waren vor allem unsere beiden Produzenten Nicholas Furlong und Colin Brittain. Die beiden sind noch sehr jung, sie lieben unsere alten Platten und wollten unbedingt, dass ich wieder mehr rappe.

"Mich interessiert nicht wer den längsten Briefkopf hat"

Soll heißen: Zwei Newcomer-Produzenten zeigten einer altgedienten Band wie Papa Roach wo es langgehen soll?

So in etwa. (lacht) Aber im Ernst: Mich interessiert nicht wer den längsten Briefkopf hat. Ich meine, wir haben in den vergangenen zwanzig Jahren mit den größten Produzenten des Business gearbeitet. Jay Baumgardner, Brendan O'Brien, Howard Benson, James Michael: Diese Leute haben alle einen Plan in der Tasche. Die wissen genau worauf es ankommt. Wir wollten diesmal aber mehr Risiko eingehen. Wir wollten wieder etwas mehr Frische reinbringen. Und Nick und Collin waren die perfekten Leute dafür. Die haben sich nicht für aktuelle Trends oder Hypes interessiert. Ihnen war nur wichtig, unseren alten Sound, mit dem sie aufgewachsen sind, ins Hier und Jetzt zu transportieren. Dieses Konzept hat uns gleich vom ersten Augenblick an überzeugt.

Welcher Song markierte denn den 'ersten Augenblick'?

Das war "My Medication", einer meiner Lieblingssongs auf dem Album. Irgendwie haben die Jungs sofort die perfekte Mixtur hinbekommen. Und dann habe ich einfach wieder angefangen zu rappen.

Neben der Wahl der Produzenten seid ihr noch weitere Neuerungen angegangen. Stichwort Crowdfunding. Ich war ja ein bisschen überrascht, als ich davon gehört habe. Ich meine, nach über 17 Millionen verkauften Tonträgern ...

Natürlich geht's uns allen gut. Wir leben ein schönes Leben. Es ging dabei auch in erster Linie darum, unsere Fans irgendwie in den Produktionsprozess mit einzubeziehen. Und ich kann dir sagen, da ging so richtig die Post ab.

Hab ich auch gehört. Ihr hattet aber auch ein paar lustige 'Preise' am Start. Ein Studio-Kühlschrank, eine Wegwerf-Kamera mit Backstage-Bildern, eine private Akustik-Session: Da war so ziemlich alles dabei, was das Papa Roach-Herz begehrt.

Naja, wir wollten nicht nur die Standard-Sachen anbieten. Signierte Platten, Fotos und Backstage-Pässe finde ich persönlich jetzt nicht so spannend. Da macht so ein Kühlschrank schon mehr her. Es geht einfach darum, einen persönlicheren Kontakt zu den Fans herzustellen. Natürlich kann man sich nach den Shows hinstellen, Selfies machen lassen und ein bisschen Smalltalk halten. Aber so richtig persönlich und innig wird es nur selten. Unser Kühlschrank fördert natürlich auch keine allzu spannenden News zu Tage. Aber als Fan hat man mit dem Ding vielleicht das Gefühl uns irgendwie nahe zu sein. Das ist doch cool. Ich meine, im Grunde geht's dabei doch um den Jux. Das ist doch eine lustige Sache. Und die Fans fanden es cool.

Ihr habt sogar euer komplettes Sacramento-Studio angeboten. Hat einer zugeschlagen?

Nein, leider nicht. (lacht) Die private Akustik-Session ging leider auch nicht weg. Das wäre bestimmt auch großer Spaß geworden. Aber wie gesagt, es ging in erster Linie um den Spaß.

"Ich bin ein richtiger Menschenfreund geworden"

Mir kam aber zu Ohren, dass ihr zumindest im Studio besucht worden seid.

Ja, das stimmt. Das war eine richtig coole Sache. Einige Fans haben Backing Vocals mit eingesungen. Das passte irgendwie wunderbar zum kompletten Spirit des Albums. Das waren Momente, da musste ich ganz oft an die guten alten Zeiten denken. Damals als wir unser erstes Demo "Old Friends From Young Years" aufgenommen haben, wollten wir immer eine Band zum Anfassen sein. Das ist mit den Jahren natürlich immer schwieriger geworden. Nach "Infest" ging eigentlich gar nichts mehr. Plötzlich war man in dieser Erfolgsblase gefangen. Hinzu kamen persönliche Macken, die mit zunehmendem Erfolg immer stärker wurden. Das alles hat vor allem mich immer weiter von dem Menschen entfernt, der ich eigentlich immer sein wollte. Mittlerweile bin ich wieder unten, hab meine Süchte und Dämonen unter Kontrolle und genieße jeden Augenblick Normalität der mir geschenkt wird. Das Abhängen mit wildfremden Fans im Studio war so ein Moment. Das hat einfach tierisch Spaß gemacht.

Du hast gerade deine Süchte und Dämonen angesprochen. Alkohol war jahrelang dein bester Freund. Mittlerweile bist du dreifacher Familienvater und wie du so schön sagst wieder unten. Haben dich deine Kinder wieder zurück ins normale Leben geführt?

Als normal würde ich mein Leben immer noch nicht bezeichnen. (lacht) Aber klar, die Kids haben mich wieder geerdet. Aber es waren nicht nur meine Kinder. Auch meine Frau, und vor allem meine Band haben nie aufgehört an mich zu glauben. Mit Jerry (Jerry Horton, Gitarrist) häng ich jetzt fast mein ganzes Leben lang rum. Der hat mich ganz oben gesehen. Aber der kennt auch den Jacoby, den man am liebsten einfach nur an die Wand klatschen würde. Jerry stand immer an meiner Seite. Er ist mit mir durch dick und dünn gegangen. Und dafür werde ich ihm ewig dankbar sein.

Manche Menschen müssen erst so richtig auf die Schnauze fallen, ehe sie begreifen, was das Leben doch für ein Geschenk ist. Ich bin überglücklich, dass ich überhaupt noch am Leben bin. Und ich bin glücklich, dass wir mit Papa Roach immer noch am Start sind und den Leuten da draußen etwas bedeuten. Ich bin ein richtiger Menschenfreund geworden. Mein Herz und meine Türen sind immer offen. Daheim haben wir einen Studenten aus der Dominikanischen Republik zu Gast. Der lebt schon seit ein paar Jahren bei uns. Das hätte mir mal einer vor 17 Jahren erzählen sollen. Dem hätte ich einen Vogel gezeigt. (lacht) Aber heute ist alles cool. Mein Leben ist cool. Ich bin cool. Und das alles habe ich nur meiner Familie und meiner Band zu verdanken.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Papa Roach

Im Vergleich zum Katastrophen-Formatradio des bundesdeutschen Alltags ist die Senderlandschaft in den USA ein vitaler Mikrokosmos. Immer wieder setzen …

4 Kommentare mit 2 Antworten