laut.de-Kritik
Game Of Bones in Klang gewordenen Blutlachen.
Review von Ulf Kubanke"I don't really know what 'sorry' means." Die Stimme des Killers begleitet ergreifende Gitarren in den Schlund karger Ausweglosigkeit. "I've been sorry all my life." Das Sample zwischen den wuchtigen Vocals gehört dem siebenfachen Mörder Charles Manson. Auch Sharon Tate fiel seinen Ritualmorden zum Opfer. "I'm sorry I was born, that's what my mother told me ... I don't really know what 'sorry" means'..."
"Forever Failure" ist eine Klang gewordene Blutlache und womöglich der beste Song im beeindruckenden Katalog von Paradise Lost. Flankiert von den zwei anderen großen Alten – Anathema und My Dying Bride - legen Paradise Lost vier Jahre zuvor mit "Gothic" den Grundstein für Gothic Metal.
Ein rohes Richtfest, genagelt aus spröden Knochen. Mit "Icon" gelingt ihnen kompositorisch bereits ein regelrechtes Game of Bones. Doch erst "Draconian Times" poliert die räudige Katakombe zur anmutigen Schädelstätte auf. Die Platte gerät zu gleichen Teilen verführerisch und bedrohlich wie ein Sukkubus.
Trotz seiner melodischen Pointierung entzieht sich "Draconian Times" jeglicher Kategorisierung. Im Fanlager gilt die Scheibe unter Freunden der frühesten Tage als ebenso beliebt wie bei den Anhängern ihrer eingängigeren Sachen. Ist das Heavy Metal, Dark Rock, Gothic Hardrock oder gar angepoppter Doom? Vor allem ist es packende Unterhaltung, gegossen zum Kleinod ewiglicher Finsternis. Anspieltipp hierzu: "The Last Time".
Ihre musikalische Neugier fasst Nick Holmes als kernige Absage an Spartendenken in entsprechend deutliche Worte. "Gregor hatte nie etwas mit Metal zu tun. Seit ich ihn kenne, hört er Punk und Gothic. Ich selbst höre einfach alles, von Thrash über Pop bis hin zu Klassik. Wenn ein Song gut ist und man ihn liebt, sollte man dazu stehen." Selbstironisch bezeichnet die Band diese Platte selbst als "Missing Link zwischen Metallica und The Sisters of Mercy".
Ganz Unrecht haben sie damit nicht. "Shadowkings" etwa klingt, als hätte Hetfield ein Stück aus der "First And Last and Always"-Phase herausgebissen. Besonders das perfekt aufeinander abgestimmte Gitarrenspiel zwischen Macintoshs Leadinstrument und Aaron Aedys gelegentlich eingeworfener Akustischen macht über Gesamtlänge einen besonderen Reiz aus, der sehr angenehm an die Ästhetik von Hussey/Marx anno 1985 erinnert. Anspieltipp hierzu: "Enchantment".
So umarmen sie die Melancholie wesentlich inbrünstiger als auf den härteren Vorgängeralben. Passenderweise finden die Aufnahmen in der malerischen Tristesse der Great Linfort Manor statt. Die Winterlandschaft dieses altenglischen Landhauses mit angeschlossenem Park sieht Mitte der 90er genau so aus, wie die Lieder schlussendlich klingen.
Dies alles gebiert eine exquisite Mischung aus Schönheit und Morbitität. "I See Your Face" ist so ein Schlüsselsong. Das extrem lässige Arrangement trifft auf alptraumhaft reale Zeilen. Textliche Inspiration liefern die damalige Tragödie der gesunkenen Estonia sowie ein Kriminalfall, bei dem eine Mutter vor den Augen ihrer Kinder zu Tode gestochen wurde.
Auch die Manson-Samples dienen erwartungsgemäß keinem – wie gelegentlich zu Unrecht unterstellt - banalen Schockeffekt. "Die Frage ist eben, warum diese schrecklichen Dinge ausgerechnet immer ganz normalen Leuten passieren, die ein braves Leben führen, während Typen wie Manson relativ komfortabel in irgendeiner Anstalt abhängen."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
11 Kommentare mit 4 Antworten
hmm... ich verbinde halt immer als erstes die "icon" mit paradies lost, von daher wäre das mein meilenstein gewesen.
"draconian times" war bissi softer, hatte aber geile leads, insgesamt eingängiger, wenn ich das noch recht in erinnerung habe.
werde selbige am we mal auffrischen, wetter ist ja momentan wie gemacht für pl sporten.
Nach den grandiosen Gothic, Shades of God und Icon war ich von Draconian Times damals unglaublich enttäuscht.
Plötzlich war alles nach 08/15 Popsong-Schema.
Verse, Chorus, Verse, Chorus, Solo, Chorus, Ende.
Und das quasi durchgängig. Da war der Vorgänger Icon noch wesentlich gehaltvoller.
Also für mich definitiv kein Meilenstein. Hängt vielleicht aber auch damit zusammen, wann und in welchen Zusammenhang man Paradise Lost kennengelernt hat.
Wie gesagt, ich war damals bereits seit Gothic dabei.
hehe, klar kommt jetzt die diehard-"gothic/icon"-fraktion. aber man muss das nicht so alternativ sehen.
ich halte wenig von diesem gegeneinander. natürlich haben pl viele facetten. sie leuchten qualitativ jedoch - zumindest aus meiner sicht - gleich stark. natürlich hätte man auch gothic oder icon nehmen können. aber erst mit draconian sind sie am ende einer notwendigen entwicklung als songwriter so richtig komplett und pointiert. und musikalisch wie textlich einfach auf dt (siehe obig) auch am stärksten szeneübergreifend aufgestellt.
Mein Meilenstein wäre definitiv "Shades of God", damit habe ich die Band damals kennen- und lieben gelernt, Hammer Scheibe. Habe mich die letzten ca. 15 Jahre aber nicht mehr mit der Band beschäftigt, bzw. nur einmal live gesehen, muss ich da zwingend den einen oder anderen Release nachholen?
Den letzten Release The Plague Within könnte ich Dir empfehlen. Macht im Prinzip direkt auf der Shades of God Linie weiter.
die "faith devides us-death unites us" läßt sich aber auch nicht lumpen.war so das album, was pl bei mir wieder aufn schirm gebracht hat.
die alben jüngeren datums sind aber generell alle recht solide ausgefallen, nen fehlkauf macht man da bstimmt nicht.
Ich hätte auch mit Icon leben können, aber Draconian Times ist sowieso mein Favorit. Ich war damals verrückt nach Icon und hatte hohe Erwartungen, ja und dann hauen sie einem Forever Failure um die Ohren...
Hier möchte ich mich der Rezension anschließen. Ein subtiles, dunkles Meisterwerk. Schade, dass ich die Band erst vor ein Paar Monaten für mich entdeckt habe. Ich kannte die vom Namen her schon ewig, hatte mir aber noch nie vorher etwas von denen angehört. Da sieht man mal, was man so verpassen kann. Ich bin übrigens auch der Meinung, dass sämtliche PL-Phasen gleich hell leuchten. Verdienter Meilenstein!
Die ersten beiden Alben haben, selbst fuer heutige Standards, immer noch ultrafieses Geroechel. Unfassbar, was dieser Holmes da aus sich rausholt. 'Shades of God' ist aber auch mein Lieblingsalbum, da bin ich beim lautuser. Eine Dampfwalze nach der anderen.
DIe Sachen danach, dieses hier eingeschlossen, haben mir nix mehr gegeben. Gerade das hier und noch 2 andere klangen mir einfach nur nach angedunkelten Metallica.
Bestes Stueck nach wie vor aber 'Mouth', sollte klar sein.
Stabile Ansicht, Digger