laut.de-Kritik

Überragendes Spätwerk der Elder Statesmen of British Gothic-Doom.

Review von

Paradise Lost reifen mit fortschreitendem Alter wie das Bouquet eines guten Weines. Auf die glanzvolle Rückkehr zum Death-Doom ihrer frühen Tage mit "The Plague Within" von 2015 folgte zuletzt mit dem geradlinigen Doom-Metal-Brocken "Medusa" eine der härtesten Scheiben ihres Schaffens. Für "Obsidian", das mittlerweile 16. Album in 32 Jahren, öffnen sich die Briten nun stilistisch wieder und verweben die zuletzt eingeschlagene Richtung wirkmächtig mit dem dunkelbunten, hochmelodischen Gothic Metal ihrer Mitt-90er-Phase. Dank dieses modernen und gleichzeitig retrospektiven Ansatzes liefern sie nicht nur ein äußerst vielfältiges wie dynamisches Album, sondern auch ihr bestes seit "In Requiem".

Bereits der Opener "Darker Thoughts" verdeutlicht mit aller Kraft den eklektischen Ansatz von "Obsidian". Gezupfte Akustikgitarren, ein voluminöses Cello und nervöse Violinen bereiten den Boden für den klaren, anfangs etwas an "One Second"-Zeiten erinnernden Gesang von Nick Holmes. Erst nach fast zwei Minuten führt die täuschend fiebrige Spannung urplötzlich in einen tiefen Schlund aus langsam walzenden Doom-Riffs und schwebenden Gothic-Einschüben. Holmes, stimmlich vollkommen auf der Höhe, folgt dem Geschehen songdienlich mit brutalen, markerschütternden Growls und leidendem Klargesang à la "Draconian Times". Ein majestätisch melancholisches Solo von Greg Mackintosh im Schlussteil setzt der eleganten Tristesse dieses Auftakts die Krone auf.

Schwärzer und härter geht das Quintett im atmosphärisch sehr dichten "Fall From Grace" zu Werke. Nach der an "No Hope In Sight" angelehnten Einleitung leidet sich die Band erbarmungslos durch den bedrohlich schleppenden, irgendwo zwischen "Icon" und "Medusa" stehenden Doom-Koloss. Holmes Wechselgesang unterstützt das düstere, zum Teil wehklagende Ambiente erneut bravourös. Die in der Songmitte mantraartig um die hymnischen Verse "There's something inside me / there's something unkown / a suffering sublime speaks / words I don't know" gebauten Worte "We're all alone" vernichten auch noch den allerletzten Funken Hoffnung. Besser kann man Trostlosigkeit kaum vertonen. Erneut besonders herausragend: Mackintoshs Solo inklusive direktem "The Last Time"-Zitat.

Mit "Ghosts" schlagen Paradise Lost völlig unvermittelt andere Töne an und huldigen ihrer Vorliebe für den Gothic Rock der 80er. Deutlich die Verweise in Richtung Fields Of The Nephilim und Sisters Of Mercy ("Alice"). Trotzdem klingt das zu jeder Zeit typisch nach Paradise Lost. In den Strophen getrieben von Steve Edmondsons stoisch knurrendem Bass und den superben Drumfills des seit "Medusa" zur Band gehörenden Waltteri Väyrynen (unter anderem Bodom After Midnight) entwickelt sich der Track im Refrain zu einer catchy Hymne mit hohem Ohrwurmfaktor.

Auch "Forsaken" versprüht innerhalb seiner einführenden Chorsequenz eine Portion Sisters-Flair ("This Corrosion"). Strukturell eher einfach gestrickt, lebt der Track hauptsächlich von der vielschichtigen Gitarrenarbeit. Trotz offenkundiger Nähe zu "True Belief" und "The Last Time" erreicht "Forsaken" nicht ganz deren Durchschlagskraft. Im grimmig stampfenden "Serenity" geht es im Gegensatz dazu bedeutend deftiger und doomiger zur Sache. Aaron Aedys wuchtige Riffs und Mackintoshs höchst einprägsame Leads zünden ad hoc. Auch Holmes presst wieder derart abgrundtief böse Growls aus seinen Stimmbändern, dass man sich fast zu "Gothic" zurückversetzt fühlt.

Ähnlich, aber bedeutend finsterer: das pechschwarze, durch und durch geniale "The Devil Embraced". Schon im Intro bauen Paradise Lost anhand eines beklemmenden Orgelmotivs, dessen Fortführung mit einem Klavier sowie spröden Tönen der Gitarre und des mächtigen Basses Edmondsons eine zutiefst unheilvolle Stimmung auf. Das darauf einsetzende, tief dröhnende Riff und Holmes in den Strophen konterkarierend hoher Klargesang mit den Versen "I'm tired of dreams, I'm tired of almost everything / dreams deceive and living never" unterstützen den depressiven Unterton des Tracks bestens. Die brutalen Growls im Refrain und Mackintoshs aufwärtsstrebende, düstere Hooks geben dem Song zusätzlich eine erhabene Weite. Absolut brillant, was die Briten in diesem sechsminütigen Epos bieten.

Das getragene, hochemotionale "Ending Days" und das eingängige "Hope Dies Young" überzeugen nicht zuletzt aufgrund einer Verbundenheit zu den "Draconian Times"-Klassikern "I See Your Face" und "Yearn For Change" ebenfalls auf voller Linie. Im bombastisch wütenden "Ravenghast" packen die Shadowkings ein letztes Mal den Galle speienden Doom-Hammer aus. Anstatt aber nur auf kantige Riffs und rohe Gewalt zu setzen, garnieren sie den Track geschickt mit erhebenden Melodien. Nach allen Regeln der innigen Dramatik ihrer Kunst verpassen sie der Platte ein würdiges Finale, wie es stärker nicht ausfallen könnte.

Mit dem schwarz glänzenden Juwel "Obsidian" veröffentlichen die Elder Statesmen of British Gothic-Doom ein überragendes Spätwerk, das zwischen "Shades Of God", "Icon", "Draconian Times" und den aktuellen Alben pendelt. Lahmende Verläufe, oft ein störendes Problem mancher Vorgänger, muss man hier schon mit der Lupe suchen. Vor allem Hauptsongwriter Mackintosh zeigt sich in Hochform. Jedem der neun Tracks verpasst er mit seiner unnachahmlichen Melancholie eine lange vermisste Ausdrucks- und Anziehungskraft, die ihresgleichen sucht. Der das volle Spektrum seiner Stimme ausbreitende Holmes steht dem in Nichts nach. "Till the last kingdom falls / to a shelter repressed by a long loneliness / finding answers we scorned / in a veil yonder grave, with a scovel we remain / in blood."

Trackliste

  1. 1. Darker Thoughts
  2. 2. Fall From Grace
  3. 3. Ghosts
  4. 4. The Devil Embraced
  5. 5. Forsaken
  6. 6. Serenity
  7. 7. Ending Days
  8. 8. Hope Dies Young
  9. 9. Ravenghast

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