1. Dezember 2009

"Können U2 da mithalten?"

Interview geführt von

Paul McCartney erzählt im Interview mit laut.de, wie die aktuelle Live-DVD "Good Evening New York City" zustande kam und wie sehr sich die Produktionsbedingungen im Lauf der Zeit geändert haben.Manchmal ist die berufsbedingt anerzogene Höflichkeit von Promo-Agentur-Mitarbeitern bezaubernd. Ob denn Interesse an einem Paul McCartney-Interview bestünde, wurde ich neulich ernsthaft gefragt. Also mal ausnahmsweise nicht an der neuen Band um den Bassisten dieser anderen Band, die sich vor zwei Jahren aufgelöst hat. Nein, sie meinen tatsächlich den Bassisten, dessen Band sich vor 39 Jahren aufgelöst hat. The one and only Paul McCartney.

Es könne sein, dass unser Telefonat nach 20 Minuten abrupt beendet werde, kündigt mir McCartneys Presse-Agent an, Paul sei "very busy today". Wo sich der Ex-Beatle genau befindet, wird nicht mitgeteilt. Kann man ihn ja fragen. Tabu sind schließlich nur Fragen zu Heather Mills. Im verabredeten Zeitfenster zwischen 19 und 20 Uhr deutscher Zeit meldet sich McCartney exakt um 19.40 Uhr. 20 Minuten später sind seine letzten Worte "Auf Wiedersehn, schuss!"

Hello Michael? Hier spricht Paul aus England.

Großartig. Ich fühle mich geehrt, dass du mich anrufst.

Danke sehr. Ich bin gerade auf der Autobahn Richtung London unterwegs. Wo bist du?

Ich bin in Konstanz, einer Stadt in Süddeutschland, direkt am Bodensee und nahe der schweizerischen Grenze.

Cool. (Auf deutsch:) Wie ist den Wetter?

Es regnet. Schon die ganze Woche. Was machst du in London?

Ich spiele eine Show für die Charity-Veranstaltung "Children In Need", eine ziemlich große Sache, bei der auch die BBC dabei ist. Im letzten Jahr sammelten sie meines Wissens um die 40.000 Pfund, eine enorme Summe. Ich werde einer von mehreren Teilnehmern des Abends sein, Take That sind auch dabei.

Wir haben uns hier alle sehr gefreut, dass du im Zuge deiner neuen Live-CD/DVD-Veröffentlichung "Good Evening New York City" speziell mit einem Online-Musikmagazin sprechen wolltest.

Ja, das sind nun mal die modernen Kommunikationskanäle. In den USA habe ich Pitchfork Media ein Interview gegeben. Kennst du die Seite?

Ja, die kenne ich. Dein PR-Agent erzählte mir heute mittag, unsere Seite würde ihn an Pitchfork erinnern.

Ja, das hat er mir auch erzählt.

Wie kam es denn zu der Entscheidung, die großen Zeitungen dieses Mal außen vor zu lassen?

Nun, ich habe sie nicht direkt außen vor gelassen. Ich spreche hier und da immer noch mit ihnen. Aber die Welt ist zu vielfältig, als dass man sich unnötig beschränken sollte. Online-Medien geben dir auch mal die Chance, mit jüngeren Leuten zu sprechen. Es ist einfach interessant.

Ich habe deinen New York-Auftritt auf DVD gesehen. Er beinhaltet einen Zusammenschnitt deiner drei Konzerte aus diesem Sommer. Ist dieses neue Baseballstadion CitiField, das auf der Stelle des früheren Shea Stadiums gebaut wurde, in Wirklichkeit auch so beeindruckend und atmosphärisch wie es am Fernsehschirm erscheint?

Ja. Ich habe ohnehin eine enge Verbindung zu dem Ort, da ich das Shea Stadium seinerzeit mit den Beatles eröffnete, es später mit Billy Joel verabschiedete und nun das neue CitiField einweihen durfte. Aber letzten Endes war es vor allem ein Konzert, das auch ohne die Historie gut gewesen wäre.

Könnte man sagen, dass du mit dieser Veröffentlichung dein gesamtes Schaffen zusammen fasst?

Es ist schon ziemlich umfassend: Von den frühen Beatles-Sachen über die Wings, hin zu meinen Solosachen und den aktuellen Fireman-Songs. Von daher ist die Aussage sicher ganz treffend.

Hast du dir die DVD denn schon zuhause angeschaut oder wäre das ein zu beängstigendes Szenario?

Haha, nein. Ich war ziemlich in den Entstehungsprozess involviert, so dass ich das meiste schon im Schneideraum gesehen habe. Also ich weiß schon, was alles drauf ist. Es wäre sonst nicht allzu beängstigend gewesen, das zuhause anzuschauen.

Wie ist das, wenn man so ein Ereignis noch einmal im Schneideraum durchlebt?

Dazu gibt es eine schöne Anekdote: Als ich mit der Einladung betraut wurde, im CitiField zu spielen, dachte ich zunächst nur an ein Konzert. Dann sagte einer aus meinem Team: Warum filmen wir es nicht? Und ich meinte, okay. Es sollte zunächst einfach mal ganz zwanglos gefilmt werden und sollte es dann funktionieren, hätten wir ja alles auf Band. Daher gab es logischerweise auch keinen Regisseur. Wir sammelten einfach das ganze Live-Material. Danach brachten wir alles nach London in ein Filmstudio.

Dort fragte ich die Leute immer mal wieder, wie der Auftritt denn in Szene gesetzt würde. Doch da das niemand so recht wusste, musste ich eben mit in den Schneideraum und ein paar Dinge festlegen. Ich kam daher ziemlich oft vorbei und stellte Fragen wie: "Warum macht ihr das nicht so?" oder "Wie wäre es, das rauszuschneiden?" Es war ein großer Spaß. Am Schluss meinten die Filmleute, es sei auch für sie toll gewesen, da im Endeffekt ich der Regisseur war. Damit hatten sie immer einen, auf den sie die Schuld schieben konnten.

"Vor 90.000 Menschen musst du aus dir herausgehen"

Ich stelle es mir ja unglaublich schwer vor, in deiner Position eine Setlist für ein Konzert auf die Beine zu stellen. Wo legst du den Maßstab an?

Eigentlich ist das gar nicht so schwer. Ehrlich gesagt habe ich einen Hauptansatz: Ich stelle mir vor, was ich am liebsten höre würde, wenn ich zu einem Paul McCartney-Konzert gehen würde. Soweit mir das möglich ist. Ich habe also Geld für eine Karte bezahlt, wochenlang auf das Konzert gewartet und stehe dann in der Halle. Was möchte ich dann hören? Was erwarten die Leute von mir? So erstelle ich die erste Liste. Und dazu ergänze ich die Sachen, die ich gerne spielen würde.

Vor allem Sachen, die die meisten nicht kennen, zum Beispiel von meiner Fireman-Platte. Das war ja eher ein Underground-Thema. Mit dieser ewig langen Liste gehe ich dann zu meiner Band und was uns allen am meisten Spaß bereitet, landet auf der finalen Setlist. Das ist das ganze Geheimnis. Eigentlich geht es vordergründig darum, dem Publikum einen tollen Abend zu bescheren. Ob alt oder jung, jeder will Spaß haben.

Ein guter Ansatz.

Es ist doch beim Film dasselbe: Ob du nun aus "Terminator" oder aus irgendeinem Kunstfilm kommst, die Hauptsache ist, dass du gut unterhalten wurdest.

Deine Homepage empfängt den Besucher mit einem Trailer voller Beatles-Szenen des 1965er Auftritts analog zu deinen Bühnen-Visuals. Musstest du oft an die alten Zeiten denken, als du im Sommer die drei Konzerte gespielt hast?

Ah, interessant. Da sich die Website ständig ändert, wusste ich von den Beatles-Snippets gar nichts, aber das geht natürlich in Ordnung. Ich bin mir meiner Geschichte durchaus bewusst und auch sehr stolz darauf. Ich schaue sehr gerne zurück. Gleichzeitig finde ich es sehr wichtig, nach vorne zu schauen.

Mir ist klar, dass die Beatles eine ziemlich gute Band waren, die einen großen Einfluss auf unzählige Menschen in der Welt ausgeübt hat. Aber nur Beatles-Songs zu spielen, wäre langweilig. Wenn ich die alten Sachen aber mit neuen Songs oder Wings-Nummern vermische, dann wird es plötzlich interessant. Ein neuer Song neben "Live And Let Die" oder "Magical Mystery Tour"; diese Gegenüberstellung verursacht Spannung.

Es klingt aus heutiger Sicht unglaublich, dass ihr 1965 ein komplettes Stadion mittels einer Baseball-Soundanlage beschallen musstet.

Klar, das ist eben das Lustige an Geschichte. Wenn ich Leuten von den Bedingungen erzähle, denen wir damals ausgesetzt waren, sagen sie immer: "Das ist nicht möglich. Wie habt ihr das hingekriegt? Das geht doch gar nicht!" Aber für uns war das damals hochmodern. Ihr macht jetzt diese Website, Laut ist für euch auf dem neuesten Stand der Technik. Aber glaube mir, in 20 Jahren wird man euch fragen: Wie zur Hölle konntet ihr so arbeiten?

Dinge verändern sich. Ich finde das faszinierend. Für mich ist es sehr hilfreich, die Bedingungen von damals kennen gelernt zu haben. Ich kann heute ohne Probleme, sagen wir, mit schlechten Kopfhörern auftreten. Ich muss nur an die Zeit damals denken.

Würdest du dich als nostalgischen Menschen bezeichnen?

Eher nicht, denn ich lebe gerne in der Gegenwart. Weil ich aber solch eine interessante Vergangenheit habe, ist es quasi unvermeidlich, auch gerne zurückzuschauen. Ich würde das dann aber nicht als nostalgisch bezeichnen, denn generell schaue ich hoffnungsvoll nach vorne.

U2 haben in den USA gerade mit 97.000 Fans in Pasadena einen Besucherrekord gebrochen. Hast du zufällig eine Show gesehen?

Nein, ihre neue Show kenne ich nicht.

Auf manchen Konzerten spielten sie "Blackbird".

Ja, das ist reizend, ich habe davon gehört. Weißt du auch wie? Meine Tochter Stella schickte mir eine SMS: "Papa, ich bin bei U2 in Paris und Bono hat gerade 'Blackbird' gesungen." Aber hey, wusstest du, dass wir in Brasilien mit 185.000 Zuschauern auch einen Besucherrekord aufgestellt haben? Ich weiß nicht, ob U2 da mithalten können. Der Auftritt steht im Guinness Buch der Rekorde.

Ja, in Rio 1990, habe ich gelesen. Ich wollte eigentlich auf etwas anderes hinaus: U2 spielten vor knapp 100.000 Menschen, du in New York vor insgesamt 120.000. Wo liegen für dich die grundlegenden Unterschiede zu einer Hallenshow mit, sagen wir, 10.000 Leuten?

Grundsätzlich kann man sagen: In Stadien musst du einfach größer denken. Als wir zum Beispiel das Gratiskonzert in Rom am Kolosseum vor 500.000 Menschen gespielt haben, mussten meine Techniker auf beinahe wissenschaftliche Art und Weise die Verzögerung des Bühnensounds berechnen, damit er bei den Leuten ganz am Ende der Straße nicht umkippt. Das geht heute alles. Und natürlich verändern sich mit den Größenordnungen auch die Ansagen.

Zu hundert Leuten kann ich einfach sagen (spricht betont gelassen): "Good evening, everybody. It's nice to see you." Stehen 90.000 Menschen vor dir, musst du einfach mehr aus dir heraus gehen (schreit): "People! I Love You!" Ich weiß, das klingt ein bisschen lächerlich, aber so ist es eben. (lacht)

"So was konnte man nicht zu Sinatra sagen!"

Es gibt einige sehr emotionale Momente auf der DVD, etwa wenn du den Song "My Love" deiner Frau Linda widmest oder als du in einer längeren Passage die Entstehung des Songs "Blackbird" erzählst. Wieviel davon ist spontan?

Eigentlich ist vieles spontan, wenngleich ich das ein oder andere natürlich auch mehrfach erzähle. Aber ich habe da jetzt kein Skript oder sowas. Es hat ohnehin lange gedauert, bis ich gelernt habe, zum Publikum zu sprechen. Früher war das nicht so mein Ding. Als ich aber vor ein paar Jahren den Gedichtband "Blackbird Singing" schrieb, gab ich ein paar Lesungen vor kleinem Publikum. Ich fragte einen Freund: "Wie mache ich das? Wie funktioniert das?" Darauf meinte er: Erzähle einfach, wie ein Gedicht entstanden ist und dann lies es vor.

Dadurch kamen viele Erinnerungen wieder hoch. Vor "Blackbird", das ich auch vorgelesen habe, erzählte ich also, dass ich zu jener Zeit in Schottland lebte und über die Bürgerrechtsbewegung und speziell über die Leiden einer jungen, schwarzen Frau in Little Rock/Arkansas nachdachte. Nach ein paar Lesungen kam mir der Gedanke: Warum überträgst du das nicht auch auf deine Konzerte? Manche Songs besitzen ja auch mehrere Entstehungsgeschichten.

Ich mochte auf der DVD vor allem deine Anekdote, wie Frank Sinatra einmal zu dir sagte, "Something" sei sein Lieblingsstück von Lennon/McCartney. (Der Song stammt von George Harrison, Anm. d. Red.)

Oh ja. Ich dachte nur, meine Güte, nach all den Songs, die wir zusammen geschrieben haben ... Es war köstlich. Nun ist "Something" natürlich auch eine hervorragende Wahl, denn es ist ein fantastischer Song, aber er hatte eben die Komponisten-Angaben nicht nachgeprüft.

Und was antwortete Sinatra, als du ihn über die Verwechslung aufgeklärt hast?

Ich habe ihn nicht aufgeklärt. Machst du Witze? (lacht) So was konnte man nicht zu Sinatra sagen. Zudem war es ein Telefongespräch, ich habe ihn nie persönlich getroffen.

Als du in New York "Something" auf der Ukulele gespielt hast, schien das gesamte Stadion die Luft anzuhalten. Ein faszinierender Moment.

Für mich ist das sehr interessant, denn so etwas würde ich normalerweise nie tun. Aber da wir schon von Entstehungsgeschichten sprechen: Bei diesem Song war es so, dass ich mit meiner Ukulele zu George gegangen bin und wir das Lied gemeinsam spielten. Seither denke ich bei Konzerten an dieser Stelle immer: Wenn es für dich in Ordnung war, Georges Song mehr schlecht als recht mit ihm auf den Treppenstufen seines Hauses zu spielen, dann kannst du ihn genau so auch für alle anderen Menschen aufführen. Dieser Gedanke gibt mir Selbstvertrauen.

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