laut.de-Kritik
Gelungener Brückenschlag zwischen Kontinenten und Kulturen.
Review von Ulf KubankeEs gibt diese seltenen Momente, in denen die Welt gespannt den Atem anhält, wenn eine wahrhaftige Songwriter-Ikone aus der selbst gewählten Versenkung des eigenen Altenteils wieder auftaucht. Kaum zu glauben. Aber mit knappen 70 Lenzen will Paul Simon es nochmals allen zeigen. "So Beautiful Or So What" lautet der für seine Verhältnisse ungewöhnlich schnodderige Albumtitel.
Die Musik hingegen fährt eine filigrane Zehn-Track-Liste perfekter Popsongs auf, wobei der Begriff 'Pop' hier selbstredend nicht als Genregrenze misszuverstehen ist. Genau das war für den späten September von Simons Karriere nicht zu erwarten. Ein Altersgenosse wie Dylan läuft seit einer Dekade seinem "Love And Theft" hinterher. Viele andere verwandte Popgeister wie etwa George Harrison sind längst dahin geschieden. Da kommt auf einmal der immer ein wenig hobbitartig wirkende Poet aus New Jersey vorbei und führt unauffällig alle drei wichtigen Strömungen seiner Musik zu einem ebenso harmonischen wie reißenden Fluss zusammen.
Immerhin hat Simon fast so früh angefangen wie Presley und Co. Konsequent mischt er den direkten Rock'n'Roll/Rhythm'n'Blues-Ursumpf der Fünfziger mit den sensibel-fragilen Folkstrukturen der S&G-Ära und den seit "Graceland" typisch kunterbunten Weltpop-Regenbögen aus Indien, Südamerika und Afrika.
Seine Mitstreiter kann man bei der Umsetzung nur in den allerhöchsten Tönen loben. Die extrem versierte Bluegrass-Band Quicksilver gibt sich ein Stelldichein mit Schlagzeuger Chris Bear von den alternativen Rockern Grizzly Bear. Außerdem mischen Gitarrist Vincent Nguini und der Percussionist Steve Shehan mit.
Sie alle erhalten nicht umsonst die exponierte namentliche Erwähnung. Es beeindruckt, mit welch luftiger Eleganz die Truppe gleichzeitig schnörkellos vorantreibt und dabei Schicht um Schicht eine Art Weltpop-Kokon um die nackten Lieder schlingt. In dieser Form geraten die interkulturellen Einflüsse sogar noch eine ordentliche Schippe besser als das scheinbare Überalbum "Graceland" anno 1986. Warum? Nun, Simon hat zum einen nicht mehr das damalige Joch der furchtbaren 80er-Plastiksound-Produktionen am Hals. Alles klingt organischer. Auf den typisch westlichen Radio-Hit-Appeal wurde wohltuend verzichtet.
Dies wiederum ist vornehmlich ein Verdienst vom alten Kumpel und Producerhasen Phil Ramone. Der hat von Sinatra bis Madonna alle schon vor dem Mischpult gehabt. Einmal mehr erweist sich der alte Fuchs als Joker der Balance zwischen West und Ost, Schwarz und Weiß. Ein Kanalisator, der die überbordenden Ideen Simons kongenial aufs lässigste komprimiert, ohne ihnen die bunten Flügel zu stutzen.
Zum anderen ist der eigenwillige Pionier Simon nie als Ausbeuter der Musik anderer Kulturen erschienen. Seit "Call Me Al" hatte der bekennende jüdische Intellektuelle 25 Jahre Zeit, sein Studium afrikanischer und indischer Polyrhythmen zu vertiefen. Das hat er ausgiebig getan. Hier gibt es keinen klebrigen Ethno-Schleim von abgehalfterten Shopping-Kanal-Barden.
Vielmehr findet er zwischen archaischen und modernen Mustern, zwischen bewusst primitiv und flirrend komplexen Klängen genau die richtigen Schnittstellen zur nahtlosen Verlinkung. Seine Kunst schlägt damit schlussendlich genau jene Brücke zwischen Kontinenten und Kulturen, welche bislang zwar von vielen wortreich beschworen, doch selten entdeckt wurde.
Die freundliche, manchmal scheu anmutende Zurückhaltung seines nahezu unverändert jugendlich klingenden Tonfalls soll man dabei nicht als Schüchternheit fehldeuten. Viel grinsende Chuzpe ist dabei, wenn der Woody Allen-Kumpel einen Titel wie "Getting Ready For Christmas Day" mit maximal fluffiger Sommermucke unterlegt und dabei lächelnd "With the luck of a beginner he'll be eating turkey dinner. On some mountain top in Pakistan." in die Runde wirft.
Zum Niederknien, wie er beim stompigen "Love Is Eternal Sacred Light" mit christlichem Predigerkitsch irritiert, bis die Menschheit sich am Ende überraschend zur unwürdigen "bomb in the marketplace" entwickelt. Auch das sich nach mehrmaligem Genuss hypnotisch im Ohr verhakende Titelstück wirkt mit seinem treibenden Rockthema und dem rotzig pessimistischen Text fast schon wie ein Wutanfall für Verhältnisse im ruhigen Hause Simon.
Andererseits liegt waggonweise Poesie zwischen den Zeilen einer von diesem unverbesserlichen Romantiker seit jeher einfach gehaltenen Sprache. "Maybe love's an accident, or destiny is true. But you and I were born beneath a star of dazzling blue."
Natürlich vergisst der Soundmagier Of Silence nicht seine sensible Folkseite. "Love And Hard Times" erscheint als das vielleicht introvertierteste Lied seiner Karriere. Ebenso könnten die unscheinbar instrumentale Schönheit "Amulet" oder das lieblich garfunkelnde "Questions For The Angels" problemlos aus den alten Hippietagen stammen. Altmodisch oder gar altbacken wirken sie dabei keine Sekunde. Heraus kommt insgesamt nicht weniger als die beste Soloplatte in der Solo-Geschichte des Paul Simon.
11 Kommentare mit 2 Antworten
Muss man immer andere dissen, um den gerade zu rezensierenden Künstler hochzuschreiben? "Ein Altersgenosse wie Dylan läuft seit einer Dekade seinem "Love And Theft" hinterher." Kann ich überhaupt nicht zustimmen. Bob Dylan lieferte in den vergangenen Jahren - bis auf dieses merkwürdige Christmas-Dings - für meinen Geschmack ziemlich grandiose Alben ab. Besonders schlecht sind die bei laut ja eigentlich auch nicht weggekommen. Hinterherlaufen ist was anderes. Aber schön, dass AUCH Herr Simon noch gute Musik macht.
Simon und Dylan haben sich doch schon immer gegenseitig gedisst bzw. freundschaftlich auf den Arm genommen (erst "A Simple Desultory Philippic", dann Dylans Mord an einem Lied bei "The Boxer" auf "Self Portrait"). Das sollte man nicht zu ernst nehmen. Die beiden sind halt Yin und Yang und so.
gneauso war es in der tat gedacht; humor plus ein körnchen wahrheit in der alten tradition.
danke, menschenfeind
mach ne lautschockadresse und poste die hier.
ich antworte
Paul Simon ist Jude?!?!?! :-O
Habe heute mal wieder ein paar von Simons Soloplatten rausgekramt, um in Nostalgie zu schwelgen. Dann musste ich hier mal stöbern und bin über diese überschwängliche Kritik gestolpert. Toll geschrieben. Klingt sehr fundiert. Daher die Frage: Was hält der Autor vom Caveman-Projekt (Musical und Platte)? Die kommt ja mittelmäßig bis schlecht weg, was ich nicht so recht verstehe, da musikalisch ausgefeilt, thematisch spannend und lyrisch ansprechend. Micgh berührt sie jedenfalls immer wieder.
finde ich auch deutlich besser als seinen ruf. etwas weniger broadway hätte der produktion evtl gut getan. aber im großen und ganzen stimme ich zu. ich finde die zu grunde liegende story auch sehr interessant.
Danke Mann. Ist jetzt nicht so, dass ich deshalb schlaflose Nächte gehabt hätte oder so. Aber dann und wann stolper ich über Paul Simon, wie diese Woche beim Schuhplattler. Und dann fällt mir eben ein, dass da noch eine Frage gärt... Wie ist es denn um die Halbwertzeit dieser Platte hier bestellt? Ist sie immer noch so gut?