9. März 2022

"Selbstinszenierung ist wie Kokain"

Interview geführt von

Paul Buschnegg hat mit seinen Jets gerade die vierte Platte "Jazzfest" veröffentlicht. Im Gespräch erzählt er vom "umgedrehten Aufnahmeprozess", vom Abgeben von Kontrolle und erklärt, warum er eigentlich keine explizit politische Musik machen möchte.

Das neue Album der Jets ist wirklich lang, starke 70 Minuten musizieren die Wiener darauf. Wie gewohnt sinniert Paul über vieles, ohne wirklich konkret zu werden. Es ist auch eine sehr breitgefächerte Platte, die die verschiedenste Genres mit dem Verschrobenen von Pauls Jets verbindet.

Mittlerweile ist aus dem ursprünglichen Solo-Projekt eine richtige Band geworden, seit 2020 ist Kilian Xanappi als Keyboarder und Synthesizer-Spieler dabei, neben Xavier Plus an den Drums und Romy Jakovcic am Bass. "Jazzfest", so erzählt es Paul im Gespräch, ist auch das bislang kollaborativste Album. Er lädt in "Pauls Sky Lounge", einem vermutlich für solche Gespräche eingerichteten Video-Call-Raum und steht trotz kleiner technischer Probleme auf Interviewer-Seite eine ganze Stunde Rede und Antwort.

Hallo Paul! Hattet ihr einen guten Release?

Die Gedanken sind natürlich woanders. Aber wir hatten einen guten Release, ja. Wir hatten Glück, dass es zumindest nicht an dem Freitag war, wo das [der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, Anm. der Redaktion] losging.

Ich habe euch 2020 bei einem Konzert in Konstanz gesehen, da war Keyboarder Kilian Xanappi noch recht frisch dabei. Jetzt war er auch Teil der Album-Produktion, oder?

Genau, der ist damals recht neu dabei gewesen, jetzt war er bei der ganzen Albumproduktion schon dabei. Da war er sehr wichtig.

Er spielt Synths und Keyboard. Hast du deine Soundpalette dadurch stark vergrößert? Wo ist der Unterschied zu früher?

Der Unterschied war, dass er einerseits so ein ziemlicher Soundnerd ist und andererseits ein herzlicher Mensch. Also der menschliche Aspekt war sehr wichtig, und das wussten wir auch schon von Anfang an, dass wir da wirklich einen sehr guten Freund aufnehmen. Das hat sehr viel mit der Banddynamik gemacht, dass mehr gelacht wurde und dass mehr Partystimmung im Proberaum war, ich glaub', so kann man's sagen. Das macht unheimlich viel, man arbeitet anders, man arbeitet länger, man arbeitet öfter an diesen Dingen, das franst dann mehr aus, die ganze Produktion. Es verbindet sich irgendwie Party und Arbeit, so dass sich das sehr gut gegenseitig befruchten kann, finde ich. Dass sich dann auch viel inhaltlich verändert, dass die Inhalte nicht gleich immer so tief traurig sind, sondern aus der freundschaftlichen Spaßwelt und der gemeinsamen At-Home-Welt in Corona-Zeiten kommen. Das hat was Schönes ergeben, und es war sehr wichtig, dass er da dabei war, weil er ein guter Freund ist, und es geht auch viel um Freundschaft auf der Platte.

Ich habe mir neulich auch euer Interview bei Gusto 2019 angeguckt, da ging es auch schon um die Frage, inwieweit Pauls Jets noch Solo-Projekt sind. Früher hast du viel alleine am Laptop Songs produziert, gibt es diesen Paul auch noch oder passiert jetzt alles in der Band?

Weniger, auf jeden Fall. Das Album ist ein sehr großer Versuch, das nicht zu machen, aber das ist natürlich auch passiert, bei ein, zwei Liedern, dass die so entstanden sind, aber größtenteils nicht. Das erste Album war sehr viel alleine, das zweite Album war zumindest alleine geschrieben und dann mit der Band in einer Woche aufgenommen, so eine klassische Produktion mit Overdubs. Das Album jetzt war der Versuch, das noch mal umzudrehen und wirklich erst aufzunehmen, obwohl es noch keine Lieder gab. Wir haben uns getroffen, haben die Mikrofone aufgestellt und das erste Mal tatsächlich im Proberaum aufgenommen. Da sind auch Sachen auf der Platte gelandet, die sind Studio-untypisch. Wir haben so 30-minütige Files aufgenommen, mit Metronom-Klick und da war die Idee, so als Experiment, wie Miles Davis das auf "Bitches Brew" gemacht hat, nachtäglich diese Improvisationsstücke zusammenzuschneiden und dann erst Texte zu schreiben. Also aus ganz langen Jams oder Experimenten, kurze Songs zu schneiden. Das haben wir einmal probiert und da sind ganz gute Sachen rausgekommen, also haben wir gedacht: "Dann wiederholen wir das" und sicher die Hälfte des Albums ist so entstanden, also da war wirklich die Idee, das möglichst weit zu entfernen, von der Arbeit allein am Computer.

Welche Rolle hat dann Herwig Zamernik gespielt, der als Producer gelistet ist?

Der hat uns bei den weiteren Sessions geholfen, das zu mikrofonieren, das ist auch sein Studio gewesen. Die ganze Infrastruktur, die ganzen Preamps, die Kompressoren und so, die hat er uns zur Verfügung gestellt, weil wir dort auch proben. Das ist unser altes Label, Lotterlabel, da haben wir die ersten zwei Alben rausgebracht. Das ist ein Komplex mit Studio, Proberaum, Abhörraum. Wir sind relativ eng noch mit denen, das ist nach wie vor unsere Homebase in Wien. Staatsakt ist so weit weg, in Berlin, da fahren wir gar nicht so oft hin.

Genau, ihr seid jetzt bei einem deutschen Label, bei Staatsakt. Hast du eine Erklärung dafür, warum österreichische Bands in Deutschland so gut ankommen?

Ähm ... puh ... keine Ahnung, eigentlich. Es gibt schon Unterschiede zwischen österreichischer und deutscher Indie-Musik. Ich finde, in Österreich gibt es eine große Szene, die wahnsinnig professionell arbeitet und so Hochglanz-Produktionen macht. Ich denk' da an Bands wie Anger oder Mavi Phoenix. Es gibt da eine Reihe von Bands, die sehr zeitgenössische, große Produktionen machen, auch Musikvideos. Das ist ein Unterschied zu der Indie-Musik, wie man sie aus Berlin kennt. Andererseits gibt's ja in Deutschland auch so Indie-Bands wie ... ach, keine Ahnung, es ist auf jeden Fall anders. Es gibt in Österreich noch - und ich will gar nicht sagen, dass es das in Deutschland nicht gib - eine Art von Indie-Pop, experimentellere Zugänge, die sich ein bisschen verwehren, sagen wir mal, dem Kapitalismus, dem Musikbusiness-Kapitalismus. So, wie das Ja, Panik gemacht hat. Der Nino Aus Wien geht einen sehr schönen Weg oder auch Yung Hurn. Der ist so an der Grenze, am schmalen Grat zwischen Bedienen von Pop und einer Verweigerungshaltug, der Weg spielt sich dazwischen ab. Für mich ist das sehr inspirierend. Das gibt es aber in Deutschland auch, ich denke da an Isolation Berlin und diese ganzen Berliner Bands, diese Staatsakt-Szene. Aber ich weiß nicht, kommt österreichische Musik so gut an?

Wir haben halt diesen Sender FM4, das ist wahnsinnig gut, dass es den gibt. Das ist so ein staatliches Radio, das, sagen wir mal, auch viel Macht hat, kleine Bands zu unterstützen und ein bisschen größer zu machen, als sie sind. Vielleicht gibt das der österreichischen Indie-Musikszene ein großes Vertrauen, größer zu denken. Aber das ist alles nicht so einfach zu sagen, es gibt sowohl in Deutschland als auch Österreich Bands, die fett klingen und Bands, die eher ein bisschen abweichen, von diesem Fett-klingen-Wollen.

Ich habe schon das Gefühl, dass österreichische Musik hier sehr gut ankommt, wenn ich an Bilderbuch denke, an Wanda. Jetzt auch an euch, ihr werdet hier in der Presse gefeiert. Ich glaube, dass der Eindruck ist, aus Österreich kommt eventuell bessere Musik. Vielleicht ist es diese Verweigerungs-Haltung, die du ansprichst, dass es ein bisschen kreativer ist, als in Deutschland. Wobei du natürlich richtigerweise auch auf Isolation Berlin und co. verweist.

Wir haben hier vielleicht eine gewisse Tradition, in den letzten 20 Jahren. Dass Alternative-Musik wertvoll ist, oder so. Vielleicht ist es das, was einem das Vertrauen gibt, das machen zu wollen.

Im Interview bei Gusto ging es auch darum, dass ihr mit eurem ersten Album richtig viele positive Reviews eingefahren habt und viele Ja, Panik-Vergleiche, mit denen du da schon nicht so zufrieden warst. Ihr meintet alle, dass das eigentlich noch nicht dem angemessen ist, wo ihr Publikums-mäßig steht. Hat sich das geändert inzwischen? Seid ihr mitgewachsen, mit diesem Lob?

Wir hatten dieses eine sehr intensive Jahr, 2019, wo wir sehr viel gespielt haben, das hat uns auch ein bisschen geschafft, als Band. Das liegt aber auch schon wieder so weit zurück. Dann kam Corona, das war dann irgendwie doch eine ganz gute Zeit, weil so viel Zeit war zu produzieren. Ich glaube wir haben uns verabschiedet von dem Gedanken, eine richtig große Band zu sein - vielleicht war das auch schon immer in unserer DNA. Wir sind tatsächlich eine kleine Band, wir wollen viel spielen, aber wir wollen nicht mit allen Mitteln versuchen, eine Riesenband zu sein. Ich glaube auch, dass wir das nicht können, weil das nicht unser Ding ist. So sind wir auch an die Produktion und das Album rangegangen. Wir haben uns wirklich gelöst vom Größenwahn, glaube ich. Wir sind uns eher sicherer geworden darin, dass wir das nicht bedienen wollen. Es gibt so viel interessante Musik under the radar und wir haben uns dem eher angeschlossen. Wir sind nicht so eine Playlist-Band, wir wollen das auch echt nicht sein. Mal schauen, ob das überhaupt noch funktioniert heutzutage. In den 80er Jahren war das natürlich anders, in den 2000ern war das auch noch anders.

Heutzutage haben die Major-Labels und die Musikindustrie, glaube ich, eine größere Macht wieder zurückerlangt, die in den 2000ern nicht so gegeben war, durch den Niedergang der Plattenindustrie. Heute sind wir wieder an einem Punkt, wo sehr viel Macht ausgeht von Instanzen, die sehr viel Geld haben und wir gehen da auf jeden Fall einen anderen Weg. Vielleicht ist das auch völlig anachronistisch, was wir da machen. Weil, wenn man viele Klicks haben will, dann müsste man den Sound in Richtung Trap-Beats, kürze Songs und Algorithmen switchen. Da haben wir uns wirklich gegen entschieden und vielleicht checkt man das ja auch, dass das auch interessant ist, dass das ein Gegenentwurf ist, den man auf jeden Fall rocken kann. Wir sind uns bewusst, dass wir eine Nischenband sind und wir wollen das auch weiter durchziehen, mit dem Album auf jeden Fall. Wir stehen auf der Seite des Kleinen und des Verschrobenen. Natürlich wollen wir ein großes Festival spielen, aber der Sound ist der Sound, der ist so wie er ist.

Und es hilft sicher auch, dass die Presse darauf positiv reagiert oder ist euch das egal?

Nein, das freut uns natürlich extrem, wenn da viele Medien drüber schreiben, das ist uns gar nicht egal. Das ist sehr schön zu sehen, dass man ernst genommen wird, extrem schön, ja.

Euer Album ist 70 Minuten lang. Ich habe selber bei mir in den letzten Jahren gemerkt, ich bin Opfer der Algorithmen geworden und freue mich oft über kurze Platten, kurze Songs, die gut und rund sind. Dieses Jahr bin ich total begeistert von langen Alben, auch von Big Thief zum Beispiel, eventuell geht der Trend jetzt doch wieder dahin. Gab es aber bei euch Diskussionen in der Band, ob man tatsächlich alle Songs mitnimmt?

Für Staatsakt war das anscheinend sowieso von vornherein klar, dass wir ein Doppelalbum machen, das war nie eine Diskussion, deswegen haben wir uns dann auch keine Gedanken gemacht, viel zu streichen. Bei den letzten Platten haben wir tatsächlich Lieder gestrichen, wegen Vinyl [wegen der begrenzten Laufzeit, Anm. der Redaktion]. Wir hätten dieses Mal aber durch unsere Art aufzunehmen noch recht viel Material gehabt, aber ab einem gewissen Punkt haben wir dann die Lieder, die nicht komplett fertig waren, nicht mehr weiter verfolgt. Die ein oder andere Diskussion gab's schon, weil es auch einige Stücke gab, die wirklich interessant geklungen haben, die haben wir dann aber nicht mehr gemacht, weil sie nicht fertig wurden. Aber klar, diese langen Sachen, ich finde auch Black Country, New Road, die britische Welle, wahnsinnig inspirierend. Ich sehe die auch auf eine ähnliche Art und Weise, in einer ähnlichen Fragestellung Musik machen. So ausufernder Sound, Interesse an Sound.

"Wenn du kein Insta hast, dann lebst du nur halb."

Wieder zum Gusto-Interview: Da kam 2019 schon die Frage auf, ob ihr eine politische Band seid, beziehungsweise inwiefern. Da kam durch, dass euer Schlagzeuger Xavier das immer ein bisschen mehr gefordert hat. In "Flieger" habt ihr jetzt diese Anspielung auf Gernot Blümel, wenn ich das richtig verstanden habe. Hast du das Gefühl, ihr seid in den letzten drei Jahren politischer geworden? Ist es auch wichtiger geworden, eine Haltung zu haben als Band?

Das ist so eine schwere Frage. Ich glaube, dass wir persönlich als Band nicht explizit politisch sein wollen. Oder ich wollte das mit dieser Platte nicht machen, wegen dieser Spaltung der Gesellschaft durch Corona, den Präsidentschaftswahlen davor ... Ich bin mir zutiefst sicher, dass wir, wie hoffentlich die meisten Indie-Bands, eine linkssozialisierte und lebende Band sind und ich glaube, das sieht man nicht zuletzt in dem Sound und der Machart der Platte widergespiegelt. In der Musik, die wir machen, geht es uns viel mehr darum uplifting Texte zu machen, eine Art von Liebe zu versprühen und Hoffnung zu spenden, als tatsächlich politisch aufzurufen. Das ist nicht Ziel dieser Platte gewesen, aber ich glaube, dass es dennoch nicht unpolitisch ist. Es geht dann eher in eine Richtung von Politik, die man vielleicht aus den 80ern kennt. Es geht inhaltlich mehr um Konsum, um Party, um Materialismus. Die Texte spielen alle in einer sehr neoliberalen Welt und fragen, wie man damit copen kann. Die Verweigerungshaltung ist da eher im Sound anzusiedeln, als in der Aussage. Also selbst sowas wie "Wenn du traurig bist, dann geh' nicht ins Büro" oder "Lazy Generation", das sind alles keine echten Strategien oder Auseinandersetzungen, sondern eher lustige, hoffnungsspendende Parolen, die mehr Gag sind, als echt. Die Frage, in was für einer Welt wir leben wollen, wird da nicht ernsthaft diskutiert, weil ich nicht das Gefühl habe, das in meiner Musik machen zu wollen. Ich will mit meiner Musik Hoffnung und Trost und gute Laune erzeugen, weil sowieso alles so halb kaputt ist, diese Erde. Wir sind politische Menschen, aber die Platte versucht, sich da nicht zu positionieren. Das sind eher so Fußnoten zur Zeit, die eher herum mäandern, aber nicht wirklich klar Stellung beziehen.

Woher kommt diese Faszination mit dem Thema Work-Life-Balance? Lebt ihr das, habt ihr das mal gelebt? Ich denke da an Songs wie "Weekend" oder "Büro", natürlich.

Ja, das sind so Fragen, die sich mein Freundeskreis oder meine Bubble oder meine Generation stellt. Eine total zentrale Frage, diese Work-Life-Balance, was macht man aus sich? Es herrscht so eine Stimmung: "Ich muss wahnsinnig viel aus mir machen, ich muss ein Star sein." Es gibt diesen großen Drang zur Selbstdarstellung, der ist einerseits geil, andererseits total hinnig, oder falsch, ekelhaft. Ich glaube, das schwingt da so mit, in den Liedern wie "Büro". In "Büro" sind das halt so Gedankenfetzen. Es gibt irgendwie so diesen Drang des Mithalten-Müssens, das ist so wahnsinnig spürbar für mich gewesen, in den letzten Jahren und immer noch und es zerfrisst mich auch irgendwie selber. Wie geht's weiter? Was macht man eigentlich? Dann gibt's Dinge, die da so einen Eskapismus besingen, wie "Büro", "Lazy Generation", "Weekend". Das kommt aus einem Lebensgefühl raus, das ich wahrnehme, in meiner Generation. Da entstehen halt diese Lieder draus.

Lebst du denn auch noch einen Büro-Job oder ist Musikmachen dein Hauptberuf?

Für mich ist und war es die letzten zwei Jahre das Hauptding, die anderen haben teilweise Bürojobs, wie in den meisten Indie-Bands halt.

Ich habe im Interview mit der Kronen Zeitung gelesen, dass du sehr fasziniert bist von Selbstdarstellung, wie beispielsweise von Falco oder Nina Hagen. Glaubst du man kann das heutzutage mit Social Media überhaupt noch in der Art aufrechterhalten, eine Kunstfigur zu sein? Hättest du da Lust drauf? Strebst du das an?

Puh, das ist eine gute Frage. Das ist schwer zu sagen, weil ich die 80er nur retrospektiv kenne, von Bildern, von Überbleibseln. Aber ich würde mal behaupten, dass es bei der Selbstinszenierung heute sehr viel mehr drum geht, dass es aus einer Authentizität heraus kommt. Dass man den Followern eine Figur zeigt, sich als eine sehr authentische Version von sich selbst inszeniert, die aber trotzdem natürlich eine Figur ist. Aber alles, was nicht authentisch ist und auffällt, ist dann halt schnell mal Cringe. Ich frage mich, ob das nicht früher vielleicht anders war. Ob man vielleicht in den 80ern mehr dem Cringe zugeneigt war. Der Kasperl, den man so kennt aus dem Art Rock. Bands, die sich als Aliens verkleidet haben, da gab's in Österreich eine Disco-Band , die hatte das Lied "Takes Me Higher", aber mir fällt jetzt gerade der Bandname nicht ein.

Vielleicht ist das heute anders. Dass man heute den Anspruch hat, dass man einem das wirklich abkauft, was man ist. Abkaufen im wahrsten Sinne des Wortes. Was ich daran geil find', ist schwer zu sagen. Das ist genauso, wie wenn man Kokain geil findet. Kann man geil finden für 'nen Abend oder für Hin und Wieder, aber eigentlich überwiegt der Ekel, muss ich ehrlich sagen. Aber ab und an gönnt man sich das vielleicht dann doch. Das ist so die Faszination daran. Eigentlich finde ich das ziemlich ekelhaft, stumpfsinnig und es gibt auch sehr wenige Beispiele der Selbstinszenierung, die ich unterhaltsam finde.

Also du meinst Selbstinszenierung ist manchmal so eklig, wie Kokain?

Genau, das ist sehr ähnlich. Ich poste ein Bild, "happy times", funny Kommentar zum Bild. Ich warte drauf, dass die Likes reintrudeln. Das ist so ähnlich wie Kokain, irgendwie. Dann das nächste Mal, oder nächste Woche, depressiv. Manche Leute können das aber ganz gut, die sind auch mehr dafür gemacht, genau wie manche Leute mehr für Kokain gemacht sind und damit gut leben können. Ich bin da nicht so. Hin und wieder probiert man halt Dinge aus. Es gibt halt dieses Instagram und man muss da auch nicht wegschauen. Ich bin jemand der sagt, ich verwende das, obwohl ich's ekelhaft finde. Ich betrachte das, wir betrachten das, wir leben nun mal damit. Dann versucht man halt irgendwelche Wege zu finden, damit klarzukommen. Oder man versucht einen eigenen Weg zu gehen und das ist relativ schwierig, weil der erfolgreichste halt der über so eine verstellte Art von Authentizität ist. Wenn man das nicht hat, dann hat man echt verloren. Aber wenn du kein Insta hast, dann lebst du halt auch nur halb. In vielen Bubbles zumindest. Dann fällt ein großer Teil von dieser Welt weg, ein großer Teil, wo Dinge passieren. Ich bewundere Menschen sehr, die es schaffen, das auszuklammern, weil ich kann's nicht.

Wie ist das beim Instagramaccount von Pauls Jets. Ihr postet da nicht wahnsinnig viel, aber schon alle Videos, die erscheinen, auch mal schöne Reviews. Machst du das selber?

Ich mach' das selber, ja, aber ich mach's sehr ungern. Ich weiß echt nicht, wie man das am besten macht. Eine Zeit lang haben wir versucht da so eine Antithese zu finden, aber das versteht dann wieder niemand. Ich wäre nicht davon begeistert, wenn wir jetzt sagen würden, wir versuchen das möglichst privat zu halten und die Leute damit zu unterhalten, mit unserm Privatleben. Das ekelt mich dann auch irgendwie an. So das Private zu verkaufen, im Gegenzug für mehr Likes. Wir versuchen da gerade einen stilsicheren Weg zu gehen. Nicht zu viel, Quality-Content. Ich glaube wir versuchen, den schön zu machen und stilsicher, da keine Peinlichkeiten drauf stattfinden zu lassen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass ein Major-Label da schon mehr erwarten würden, das ist ja inzwischen ein großer Teil des Ganzen. Das wäre es euch aber nicht wert, mehr zu machen, um auch mehr Erfolg zu haben? Euch zu verkaufen?

Ja, für sehr viel Geld würden wir das natürlich machen.

Über wen macht ihr euch in "Jazzfest" lustig?

Nicht explizit über irgendjemanden. Der Song ist aus ganz langen Textimprovisationen entstanden, von Kilian und mir. Ich war bei ihm zuhause und da haben wir diesen Song gemacht, fast die ganze Nacht. Ich glaube wir haben uns da nicht explizit überlegt, was wir sagen. Wir haben die ganze Zeit nur versucht, uns selber zum Lachen zu bringen. Das kommt her aus so einer Art österreichischem Dada-Kabarett. In Österreich gibt es Projekt X, das kann man auf Youtube ansehen, ein Dada-Kabarett der 90er-Jahre, wo auch wahllos irgendwelche Figuren eingenommen werden. Das "Jazzfest" könnte auch "Winterfest" heißen, aber Jazz war immer ein Thema bei uns. Xavi und Kilian sind große Jazzfans und das kam so aus dem Nichts, dieser Dialog. Natürlich ist das lustig. Also Fandom ist immer irgendwie lustig, liebevoll. Es könnte auch auf einem Science-Fiction-Festival spielen, aber wir haben dann alles auf den Jazz kanalisiert. Das Fest als so ein Ort des Freak-Fests, des Aussenseiter-Fests. Wir wollten uns gegenseitig zum Lachen bringen und haben uns gar nicht überlegt, ob wir irgendwen dissen wollen.

Hat bei mir geklappt, ich musste ziemlich lachen. Die Texte sind diesmal teilweise gemeinsam entstanden, wie du's gerade schon mit Kilian gesagt hast. Ich habe mich besonders bei den beiden von Romy gesungen Songs, "Therapy" und "Der Wecker Läutet Früh Am Morgen" gefragt, wie das kam. Dachtet ihr da, die Stücke sind eventuell auch in den Händen einer Frau besser aufgehoben?

Nein. Romy hat immer mehr mitgesungen, im Laufe der Band. Sie hat irgendwann gemeint, sie würde auch mal gerne einen Song machen und dann haben wir gesagt, ja passt, machen wir das doch einfach. Dann ist sie zu mir gekommen mit so Textfragmenten, wir haben das zusammen geordnet und sie hat's gesungen. Das war so bei "Therapy". Bei "Der Wecker Läutet Früh Am Morgen", da haben wir uns zu dritt getroffen und wollten eigentlich als dreier Konstellation singen. Kilian, Romy und ich. Das hat dann viel besser geklungen, als sie's alleine gesungen hat. Das ist ganz spät erst entstanden, das wollten wir auch erst nicht rausbringen. Sehr spät war erst die Form da, wo das Sinn ergeben hat und sehr spät ist das erst aufgegangen. Es wär' sehr schön, wenn Romy noch mehr Lieder gesungen hätte, eigentlich. Ich bin extrem froh, dass wir das so gemacht haben.

"Therapy" ist lyrisch ziemlich düster. Habt ihr schon eine musikalische Idee im Kopf, während ihr das schreibt?

Bei "Therapy" war es eben so, dass wir davor schon die Musik hatten, in diesem umgedrehten Aufnahmeprozess. Es gab also diesen File ohne Text und ich habe Romy vorgeschlagen, darüber "Therapy" zu schreiben, so hat sie das dann gemacht.

"Wer fliegt, der fällt dann halt auch runter."

Wie war das für dich, mit dem umgedrehten Aufnahmeprozess? Hast du das Gefühl es passt am Ende immer zusammen, Text und Musik?

Echt schwierig, ja. Ich hatte wirklich manchmal Momente, wo ich gar nicht weitergekommen bin, wo ich so fünf Texte geschrieben habe, auf ein Lied und es hat überhaupt nicht funktioniert. Vielleicht ist auch daraus dann entstanden, dass wir angefangen haben zu zweit und zu dritt zu schreiben. Das hat besser funktioniert, weil dadurch auch alles auf weniger ernste Ebenen gerutscht ist. Auf eine Humor-Ebene, auf eine Bullshit-Ebene. "Lazy Generation" zum Beispiel, da haben wir den Text zusammen geschrieben und dann hat es erst funktioniert.

War das ein ziemlich flüssiger Prozess von dir als Strippenzieher zur Arbeit als richtige Band? Oder war es manchmal schwierig die Kontrolle abzugeben?

Das ist schon manchmal schwierig. Ein bisschen habe ich die Kontrolle noch drin. Ich habe mir immer gedacht, die Person, die am meisten Zeit investiert, sollte die meiste Kontrolle haben. Dadurch, dass wir dann mehr Zeit als Band verbracht haben, wurde mehr diskutiert, dann geht die Kontrolle auf verschiedene Leute. Am Ende habe ich trotzdem am meisten Zeit verbracht, auch mit dem Schneiden von Songs, ich hab's auch hauptsächlich gemischt. So gesehen liegt die Kontrolle immer noch am ehesten bei mir. Irgendwann kommt man halt drauf, wenn man Musik macht, dass doch sowas, was man Magie nennt, Dinge, die man nicht plant, eher entstehen, wenn man gemeinsam Musik macht. Wenn man auch live Musik macht. Im Gegensatz zu so einer sterilen Computer-Produktion. Wenn man das mal merkt, dann will man sowieso die Kontrolle abgeben, weil man merkt, dass da Sachen rauskommen, die unique sind. Das war dann doch kein schwieriger Prozess, aber die Kontrolle ist dennoch da, in anderen Entscheidungen, weil ich abseits davon mehr mache und die anderen auch noch ihre Jobs haben. Generell bin ich immer mehr fürs Abgeben, aber dann muss man sich öfter treffen und das muss funktionieren. Das muss menschlich passen und alle müssen die Zeit haben.

Wie ist das mit dem Begriff "Fliegen"? War der schon immer da? War das mit den "Jets" darauf bezogen?

Wir haben gemerkt, da geht's doch bei ganz vielen Lieder drum und dachten, ja, noch mehr, noch mehr, noch mehr. Wir müssen endlich diesem Bandnamen Sinn einhauchen, davor war das irgendwie irgendwas, dieser Name. Ich habe mich mal ein bisschen mit den 80ern beschäftigt, da kommt das Fliegen in der Pop-Musik relativ oft vor, Falco zum Beispiel. Das war da Thema, wahrscheinlich auch weil Fliegen damals leistbarer wurde, generell diese Verschwendungskultur der 80er Jahre. Das habe ich dann gerne übernommen. Hinter dem Fliegen verbirgt sich einerseits diese Lust am Materialismus, diese Lust am Konsum, diese Lust am Ausleben auch von Unkorrektheiten. Aber gleichzeitig auch der immer mitschwingende Absturz. Flug und Absturz. Einerseits dieser Drang, immer high sein zu wollen, immer mitschwimmen zu wollen, abzuhängen mit den Coolsten. das Nichtzugeständnis von Depression irgendwie. Andererseits verbirgt sich dahinter auch dieses: Wer fliegt, der fällt dann halt auch runter. Das kommt auch vor in einigen Tracks, das Fliegen als sehr gefährliche Sache, natürlich auch als interessante Sache. Das habe ich gar nicht so empfunden beim Schreiben, das kam dann erst nachher, dass das aber auf jeden Fall so gemeint war.

Ich habe mal in einem Interview mit Leonard Cohen gelesen, dass er versucht in der detaillierten Schilderung zum universellsten Ausdruck zu kommen. Also nicht nur zu sagen, er schaut Fernsehen, sondern eine bestimmte Sendung zu nennen. Bei dir habe ich auch das Gefühl, dass du das machst, ich denke da an "Magdeburg", sehr konkretes Erzählen. Ist das ein Baustein deines Songwritings? Hast du bestimmte Regeln für dich?

Tatsächlich habe ich da keine Regeln für mich, aber das macht total Sinn. Ich habe ganz viel Popliteratur gelesen, da ist das auch voll das Ding. Wenn man Bret Easton Ellis liest oder "American Psycho" oder Christian Kracht. Diese ganzen Popliteraten der 90er, von mir aus auch Stuckrad-Barre. Da funktioniert total viel Erzählung oder Subtext über so einen Detailreichtum, vor allem über so Marken, Brands. Das spricht mich wahnsinnig an, ich find' das einen wahnsinnig guten Kniff, sehr schön, sehr detailliert, vermeintlich Unsinniges zu droppen. Ich weiß nicht, ob ich das mitgedacht hab', beim Schreiben. Aber ich bin großer Fan davon, vom unnötig Detailreichen, so wie Leonard Cohen das gesagt hat.

Ist es dir wichtig verstanden zu werden, in deinen Texten? Oder findest du es auch genauso schön, wenn Leute da am Ende alles reinlegen, was sie wollen?

Ich bin schon unglücklich, wenn da jemand sagt: "Ich versteh' das gar nicht, da komm' ich gar nicht mit." Da lach' ich mir dann nicht ins Fäustchen. Ich möchte schon, dass das verstanden wird, diese Text sind auf jeden Fall keine Rätsel. Das sind oftmals so Stimmungsbilder. Ich denke schon, dass man das verstehen kann. Aber ich weiß nicht genau ... alles hineinlegen? Ich lege da selbst so viel rein, was nicht ausgeführt wird. Aber ich hoffe schon, dass eine Art Gefühl einer großen Spannung zwischen Traurigkeit und Euphorie spürbar wird.

Bei mir funktioniert's. Ich habe mir noch mal den Auftritt in Konstanz bei Youtube angeguckt und festgestellt, dass dir bei Songs wie "Blizzard" live die Vocal-Effekte fehlen. Ist das befreiend, dass man die Songs live neuinterpretieren muss oder ärgerlich, dass man sie nicht genau so aufführen kann, wie sie auf Platte klingen?

Wir versuchen das immer, wenn man mal längere Pause zwischen Touren ist, die Lieder neu zu denken. Vor allem als Kilian dazu kam, haben wir den Sound noch mal verdreht. Wir hatten schon verschiedene Phasen in der Band, wo wir Lieder ganz unterschiedlich gespielt haben. "Blizzard" zum Beispiel - das geht gar nicht, das so zu spielen, wie auf Platte, weil wir uns dagegen entschieden haben, mit Playback zu arbeiten. Das haben wir relativ lange gemacht, 1 1/2 Jahre lang, weil wir nur zu dritt waren. Ab dem Moment, wo wir uns dagegen entschieden haben, haben wir das dann total ausnutzen wollen, diese Freiheiten zu haben, Lieder komplett anders zu spielen. Sie auszufransen, ganz viele Instrumentalparts einzubauen, Solos einzubauen. Das ist auch gar nicht so sehr für die Zuschauer*innen, sondern für uns, weil wir so viel Spaß haben, am Spielen. Das ist so wichtig. Wir haben auch das Gefühl, dass das gar nicht so viele Bands gecheckt haben, dass das so gut geht und man das einfach machen kann.

Da stehen wir zu, dass wir mit unserem eigenen Material sehr offen umgehen. Wir werden auch immer professioneller. Am Anfang waren wir echt so ein Haufen Dilettanten, die sich ins Auto gesetzt haben und die Flasche Whiskey geöffnet haben, wenn wir hinten gesessen haben. Jetzt werden wir immer vernünftiger und es wird uns immer wichtiger, dass die Live-Performance gut ist. Früher war das echt so ein Glücksspiel. Manchmal war's wahnsinnig gut, manchmal war's wahnsinnig schlecht. Der Trend geht jetzt dahin, dass es manchmal wahnsinnig gut ist, aber sehr selten wahnsinnig schlecht. Wir versuchen da echt auch aus Respekt vor den Zuschauer*innen, die kommen, solide Shows zu machen und uns nicht so gehen zu lassen. Da arbeiten wir noch viel erwachsener dran als früher.

Kommt denn diese Einteilung in gut oder schlecht aus der Selbstwahrnehmung oder aus Feedback vom Publikum?

Das ist eher Selbstwahrnehmung. Aber natürlich kriegt man das mit, wenn Shows crazy sind und wenn Shows schlecht sind, kriegst du das schon vom Publikum mit. Dafür reicht meine Selbstreflexion aus. Seit einem Jahr ungefähr sind aber die Shows, selbst, wenn ich sie schlecht finde, nicht komplett schlecht. Aber klar, es sind manche Shows schlechter, und man kriegt das leicht mit und das ist nicht schön.

In der Corona-Zeit waren ja aber Konzerte auch keine richtigen Konzerte, da ist es wahrscheinlich ein bisschen schwieriger mit Publikumsfeedback zu arbeiten, oder?

Ja, voll, aber man kann das trotzdem spüren, finde ich, auch trotz Maske. Wir haben jetzt ganz lange Shows gespielt, die sehr elegisch waren, mit langen Intros und ich glaube das kam, weil wir mit diesem Sitzpublikum gespielt haben und unterbewusst versucht haben Shows zu machen, die ein bisschen Konzept haben, ein bisschen hochkulturiger sind, die mehr im Sitzen funktionieren und haben nicht voll die Rock-Shows gespielt. Ich bin sehr gespannt was passiert, wenn wieder normale Konzerte möglich sind, mit Stehpublikum. Ich glaube, wir wollen da wirklich rocken, wir wollen richtig reinhauen, wenn das wieder geht. Diese Phase des Langsamen, des Elegischen hinter uns lassen.

Ich würde jetzt nochmal Platz einräumen, für ein paar Musikempfehlungen, Wiener Acts, die vielleicht unter dem Radar fliegen.

Das ist schwer. Ich höre nämlich eigentlich ziemlich viel Pop-Musik, die ist nicht unter'm Radar. Eine Rapperin, die heißt Verifiziert, die find' ich gut. Eine befreundete Band, die werden bald was releasen, da gibt's auch schon ein bisschen Content. Die heißen Laundromat Chicks. Es gibt die Wiener Band Zinn, die sind auch cool.

Ansonsten finde ich's auch noch spannend zu hören, was du an populärer Musik hörst.

Ja, Verifiziert, höre ich gerne, dann gibt's noch Elli Breist, das ist auch eine Wiener Rapperin. Dua Lipa höre ich wahnsinnig gern, Doja Cat, den italienischen Rapper Shiva, die italienische Rapperin Anna.

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