laut.de-Kritik

Die Kalifornier spülten die vom Grunge verklebten Ohren frei.

Review von

Hamburg 2016. Aus mir bis heute nicht bekannten Gründen gab es in unserem Hotelzimmer einen Plattenspieler und eine kleine LP-Sammlung. Irgendwann fiel meinem besten Kumpel eine uns beiden bis dato unbekannte Platte in die Hände: "Crooked Rain Crooked Rain". Pavement waren für mich bis dahin der Name der Band, die Damon Albarn immer als Einfluss nennt, wenn er über sein großes Alt-Rock Album "Blur" spricht. Auch Tocotronic erwähnen die amerikanischen Slacker-Rock-Ikonen ja ganz gerne als Einfluss für "K.O.O.K.". Weiteres Wissen über Pavement? Nada!

Bis zu diesem magischen Moment, wenn Scott Kannbergs Gitarre anzieht und Steve Wests vertappste Anfangsdrums auf "Silence Kit" verscheucht. Nie zuvor hatte ich so lässig dahin geworfene und dennoch unverschämt einprägsame Musik gehört. Wow. Dazu auch noch Stephen Malkmus glasklare Stimme, die immer wieder hinter dieser Post-Noise-Wand verschwindet, nur um kurze Zeit später so vertwistet-wunderschöne Zeilen wie "You said things I wouldn't say / Straight to my face, boy / You tossed the egg up" hinzurotzen.

Allerdings haben seine Texte Stephen Malkmus auch so einiges an Ärger beschert. Die Zeilen "Out on tour with the Smashing Pumpkins / Nature kids, I / they don't have no function / I don't understand what they mean / And I could really give a fuck" ("Range Life") erbosten den damals schon reichlich arschigen Billy Corgan angeblich so sehr, dass auf sein Betreiben hin Pavement ihren Lollapalooza Slot verloren. Der Smashing Pumpkins-Fronter bestreitet diese Geschichte zwar, aber ganz abwegig klingt sie nicht.

Vielleicht war Billy Corgan auch nur neidisch, dass "Gold Soundz" das bessere Nostalgie-Stück ist. "1979" mag ein Hammersong sein, aber "Gold Soundz"? Dagegen kommt es einfach nicht an. Beide erzeugen sie dieses warme, vertraute Gefühl von (scheinbar) besseren, einfacheren Zeiten. "Gold Soundz" ist aber dieses kleine Bisschen wärmer, vertrauter. Zwei Minuten vierzig, ein direkter Einstieg zu "Go back to those gold sounds", zusammen mit einer simplen, warmen Gitarre und dem so seltsam, wie vertraut scheinendem Chorus "I keep your adress to myself / Cause it is secret/ and we need secrets...". Spätestens, wenn der heutige The Jicks-Frontmann singt "So drunk in the august sun / and your're the kind of girl I like / 'cause you're empty / and I'm empty / and you can never quarantine the past" setzen gigantische Nostalgieschübe ein, die in ihrer Intensität "1979" schlicht und ergreifend übertrumpfen.

Vielleicht war Billy Corgan auch nur neidisch auf Pavements' Intelligenz. Denn obwohl sie das Potenzial hatten, zu einer DER 90er Bands der öffentlichen Wahrnehmung zu werden (und dadurch deutlich mehr Platten zu verkaufen), verweigerten sie sich diesem konsequent. Sei es mit "5-4 = unity", einem swingenden Klavier-Jazz zwischen den Übersongs "Gold Soundz" und "Range Life" oder dem seltsamen "CRCR"-Nachfolger "Wowee Zowee", der kommerziellen Erwartungen eine Abfuhr erteilte. Pavement standen für sich selbst und boten bewusst keine Projektionsfläche für die Post-Grunge-Kids. Dadurch gerieten sie in keine kreative Schublade oder den Zwang sich neu erfinden zu müssen.

Sie machten einfach von Anfang an das, was sie wollten, ohne Rücksichtnahme. Das ausufernde "Filmore Jive" mit Jam-Charakter? Kein Problem. Unter Effekten vergrabene Vocals in Kombination mit repetitiven Bassläufen und maximal verzerrten Gitarren in "Hit The Plane Down"? Warum nicht? Ein ganzer Song, der sich immer wieder überschlägt? "Unfair".

Zwischen dem vergleichsweise lieblichen "Newark Wilder" und "Gold Soundz" versteckt, ist dieser Song beinahe "Unfair" behandelt. Nicht nur seine konstante Adrenalininjektion in die ansonsten entspannt schmunzelnde Musik und Malkmus' sorgenfreien Vortrag, sondern auch sein Text. Der trifft nämlich den Spirit dieses Albums. Aus ihrem Manhattan Home Studio (in dem nicht einmal Label Matador etwas zu sagen hatte) schauen sie wehmütig auf ihre Jugend in den sonnigen Vorstädten Kaliforniens zurück. "Lost in the foothills of my mind / Drinking sterno, say good night / To the last psychadelic band / From Sac'to, northern Cal". Die Liebe zu dieser Zeit tropft aus den scheinbar geographischen Beschreibung des Bundesstaates. "Down to Santa Rosa Half Moon Bay / Across the grapevine to L.A. / We've got deserts, we've got trees / We've got the hills of Beverly"

Nur, Pavement wollen nicht zurück. "Let's burn the hills of Beverly!" Sie sind glücklich an dem Ort, an dem sie nun sind. Den besten Nachweis für diese These liefern sie auch gleich selbst. Die 2004 von Matador herausgegebenen "LA's Desert Origins"-Demos der Aufnahmephase sprühen vor Spielfreude. Auf "Nashville Strings" zeigen sie sich so ruhig und tiefgehend wie sonst nie. "Raft" geht hingegen als Art von Liebessong durch, auf dem Malkmus seiner Angebeteten ins Ohr säuselt "You're a Nestea splash / Sunkist two-thousand class". Auch seine Vorliebe zu meta-bewusstem Songwriting zeigt sich hier. In Begleitung von offenen Akkorden singt er: "I'm on a raft, can't turn back / And you stimulate the open chords". "Raft" hätte sich ohne Probleme zwischen den zwölf Songperlen der Originalversion einreihen können.

Mit "Crooked Rain Crooked Rain" spülten Pavement im Endeffekt alle Ohren des Jahres 1994 frei. Die Ohren der Grunge-Kids, die noch nichts vom Ende ihres Nirvana-Heroen ahnten. Aber vor allem ihre eigenen. "Crooked Rain Crooked Rain" war ein monumentales Freistrampeln von ihrem ebenfalls genialen Debüt "Slanted & Enchanced". Sie waren keine Art-Punks oder Noise-Rocker oder was auch immer mehr. Es gab keine Schublade mehr für diese Band, außer ihrer eigenen. Sie machten einfach, was sie wollten.

Erst mit ihrem letzten Album, "Terror Twilight" öffneten sie sich wieder eingängigem, kommerziell erfolgreichem Indie-Rock, packten das Album voll mit "Melodien Für Millionen". Noch einmal schienen sie bereit, die Welt zu erobern.

Doch es kam alles ganz anders. Zusammen mit den 90ern verabschiedeten sich auch die Exil-Kalifornier von der Welt. Scott Kannberg nannte sich von nun an Spiral Stairs, Bassist Mark Ibold schloss sich Sonic Youth an und Drummer Steve West wandte sich der Kunstwelt zu. Nur Stephen Malkmus entfernte sich nie weit von der Band, die ihn berühmt gemacht hatte. Sein Solo-Debüt "Stephen Malkmus" kündigte er gar als "dasselbe wie Pavement, nur mit einer anderen Rhythmus-Sektion" an. Seitdem wirft er alle Jahre wieder seinen so eigensinnig vor sich hin spazierenden Indie-Rock in die Welt, ohne noch einmal an "Crooked Rain Crooked Rain" heranreichen zu können (oder gar zu wollen).

Und jetzt? "Go back to those gold sounds". Einfach noch mal von vorne hören.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Silence Kit
  2. 2. Elevate Me Later
  3. 3. Stop Breathin'
  4. 4. Cut Your Hair
  5. 5. Newark Wilder
  6. 6. Unfair
  7. 7. Gold Soundz
  8. 8. 5-4 = unity
  9. 9. Range Life
  10. 10. Heaven Is A Truck
  11. 11. Hit The Plane Down
  12. 12. Filmore Jive

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2 Kommentare

  • Vor 5 Jahren

    ja,ja,ja! schöner Text, würdiger Meilenstein, hach

  • Vor 5 Jahren

    Die anderen vier Alben sind auch exzellent, aber "Crooked Rain, Crooked Rain" ist mein Favorit, weil es das perfektionierte, was diese Band auszeichnet: Der mühelose Spagat zwischen Melancholie und Augenzwinkern, Unbekümmertheit und Genialität, postmodernen Genrespielereien und traditionellen Rockwurzeln. Das mustergültige Slacker-Album neben "Odelay", das den Spirit einer 90er-Subkultur atmet, aber auch sehr zeitlos klingt. Heutige Indie-Rock-Gammler wie Kurt Vile, Courtney Barnett oder Mac DeMarco gäbe es wohl ohne Pavement nicht - oder sie würden Billy Corgan nacheifern, was uns glücklicherweise erspart blieb.