1. April 2021

"Ich bin sehr glücklich über den Song 'WAP'"

Interview geführt von

Vor 21 Jahren erschien das Peaches-Debüt "The Teaches Of Peaches". Die Feierlichkeiten zum Jubiläum fielen 2020 somit aus.

Die 54-jährige Kanadierin ist bester Laune. Wir blicken in ein aufgeräumtes Berliner Altbau-Zimmer. Hinter der Musikerin lehnt eine Gitarre am Fenster, daneben eine Zimmerpalme und ein Fahrrad. Peaches arbeitet derzeit an ihrem neuen Album, für das es noch keinen Veröffentlichungstermin gibt.

Vor rund 20 Jahren ist der Song "Fuck The Pain Away" erschienen, deine neue Single heißt "Pussy Mask". Man könnte also sagen, du bist deinen Themen treu geblieben, ohne an Radikalität eingebüßt zu haben.

Peaches: Mag sein. Sicherlich geht es mir damals wie heute darum, Spaß zu haben, und dabei direkt zu sein, lächerlich, ehrlich und wachsam. Das Ziel ist immer, Leute mitzunehmen.

Hat dich der entschleunigte Corona-Alltag gezwungen, nostalgisch auf diese 20 Jahre zurück zu schauen?

Nicht wirklich. Sonst würde ich völlig verrückt werden und nur noch herumschreien: ICH WILL JETZT SOFORT AUF DIE BÜHNE!!! Ich habe versucht, auszublenden, was ich tun würde, wenn ich tun könnte, was ich nicht tun kann. Wenn das nachvollziehbar ist.

Hattest du letztes Jahr zum Jubiläum deines Debütalbums "The Teaches Of Peaches" denn etwas Besonderes geplant?

Ja, es gab Pläne, aber im Nachhinein bin ich sehr froh, dass wir schon so früh dran waren, dass ich 2019 in Hamburg gewissermaßen vorfeiern konnte. Der Rahmen war das Internationale Sommerfestival des Kampnagel, da gab es eine große Ausstellung mit Installationen, an die einige Konzerte gekoppelt waren. Dort begannen praktisch die Feierlichkeiten. Danach gab es Überlegungen, das weiterzuführen. Im Rückblick bin ich natürlich sehr froh, dass das noch geklappt hat.

Es waren Shows im großen Stil mit Budget in einem Theater. Ich hatte zwölf Musiker, Streicher, Hörner und sogar eine Tuba, was ich super spannend fand, weil es mich schon immer interessiert hat, wie es klingt, wenn eine Tuba die Bässe spielt. Dazu kamen zwei Tanzgruppen exklusiv für die Konzerte, darunter ein Ensemble aus New Orleans, das ich vor Jahren kennen gelernt habe und sehr liebe. Ich denke, es waren meine größten Shows bisher. An der Berliner Volksbühne haben wir sie dann wiederholt. Mein letztes Konzert war an Silvester.

Ich möchte trotzdem nochmal zurück blicken: Gab es Entscheidungen in deiner Karriere, die du bereust?

Nichts was hervorstechen würde, aber gerade in den ersten zehn Jahren stand ich ständig unter Strom: Das neue Album kam raus, danach ging es drei Jahre auf Tournee, dann wieder ins Studio, neues Album, wieder auf Tour. Go, go, go, go, go! Hätte ich damals Zeit zum Überlegen gehabt, hätte ich vielleicht mit allem aufgehört. Heute bin ich glücklich, dass ich das nicht getan habe. Ich schätze die Möglichkeiten, die mir heute offen stehen und dass ich vor Menschen in der Weise auftreten kann, wie ich es gerne will. Das ist ein Privileg.

Das erste Mal habe ich dich 2000 auf der Popkomm live gesehen. Es war ein Kitty Yo-Showcase mit Gonzales. Mittendrin hast du angefangen, dir die Beine zu rasieren ...

Stimmt, das war in Köln. Gonzales hat sich das Gesicht rasiert und dann habe ich übernommen.

Ich war darauf jedenfalls nicht vorbereitet und fand es sehr merkwürdig, aber auch faszinierend.

Und darum geht es. Die Leute haben sich damals gefragt: Was soll das? Soll das Musik sein? Ist das ihr Ernst? Die Antwort ist: Ja, absolut. Ich denke gerne an diese frühe Phase zurück, wo es uns vor allem darum ging, Leute zu konfrontieren, ihnen Denkanstöße zu geben. Diese Erkenntnis, das einen gerade etwas verwirrt, ist sehr wichtig. Für mich war es wichtig, mich in einer Art und Weise auszudrücken, wie es sonst niemand macht. Ich empfinde das als wichtigen Teil der Kunst. Es geht nicht darum zu wiederholen, was andere bereits getan haben.

"Man kann den Leuten nicht mal mehr Blut ins Gesicht spucken"

Ist dir dieses Element der Provokation heute noch so wichtig wie damals?

Ich würde sagen: Ja. Wobei sich die Umgebung, in der etwas als Provokation wahrgenommen wird, verändert hat. Manches provoziert gar nicht mehr, manches umso mehr. Das macht es interessant. Oft denkt man sich auch gar nichts dabei, und plötzlich reagiert die Öffentlichkeit.

Es gibt dieses tolle Foto von dir aus dem Jahr 2009 im Buch "What Else is in the Teaches of Peaches": Du stehst in Iggy Pop-Pose nach vorne ins Publikum gelehnt, die Leute starren dich an ...

Ist es das Bild, wo ich über die Menschen laufe?

Nein, du bist noch auf der Bühne, beugst dich vor und man sieht rote Tropfen in der Luft.

Ah ja, ich erinnere mich, da spucke ich Blut. In dieser Phase damals integrierte ich einige Elemente aus dem Theater in die Shows. Auf den Händen der Menschen laufen als Erweiterung der Bühne ist natürlich eine großartige Erfahrung. Undenkbar heutzutage.

Ich erwähne das, weil der Lockdown beim Betrachten dieses Fotos besonders schmerzt. In diesem Schnappschuss steckt so viel Energie ...

Yeah, in was für einer irren Zeit leben wir, oder? Man kann den Leuten nicht mal mehr Blut ins Gesicht spucken. Aber es stimmt schon, meine Konzerte leben maßgeblich von Energie, sie feiern den Augenblick und das Miteinander. Deshalb möchte ich auch kein Streamingkonzert geben.

Hast du eigentlich schon Entzugserscheinungen?

Ich? Nein. (zuckt unkoordiniert mit dem Kopf) Das Leben von Musikern und auch vielen Bildenden Künstlern hat sich total verändert. Normalerweise ist man ständig unterwegs, lernt neue Städte kennen, man präsentiert sich und verdient dabei Geld. Es ist also nicht so, als beträfe mich das nicht, aber ich versuche es möglichst nicht zu nah an mich heranzulassen.

Deine Kunst feiert den Körper und die Sexualität und steht in der Art ihrer Präsentation für radikalen Feminismus. Nun feiert eine neue Generation einen Song wie "WAP" von Cardi B und Megan Thee Stallion, eine Hommage an weibliche Befriedigung. Bist du glücklich über die Entwicklung, dass ein Song mit diesem Inhalt weltweit im Mainstream angekommen ist?

Ich liebe den Song, aber radikaler Feminismus war nie mein Ziel, ich wollte immer inklusiv sein. Gerade die weibliche Rap-Bewegung der jüngeren Zeit ist fantastisch, so direkt und gleichzeitig kompatibel mit dem Mainstream. "WAP" ist wirklich großartig und ich bin sehr glücklich über den Song.

Wäre es ein Peaches-Song hättest du ihn aber nicht abgekürzt betitelt, oder?

lacht Naja, sie singen schon "Wet ass pussy". Passt schon, es ist ein guter Titel.

Trotzdem gibt es heute immer noch Menschen, die sich über Songs wie "WAP" oder "Pussy Mask" aufregen.

Es ist immer wieder lustig, welcher Doppelmoral man ausgesetzt wird. Das "Pussy Mask"-Video ist ja nun wirklich adult-friendly. In Amerika gibt es sogar eine Cartoonserie wie "Big Mouth", in der der Schambereich eine übergeordnete Rolle spielt. Eine Figur nennt sich zum Beispiel das Hormonmonster. Wenn ich jetzt höre, dass Leute aufgeregt kreischen, "Pussy Mask" sei das neue "WAP", dann frage ich mich ganz ehrlich: Wo ist das Problem, wenn einige Frauen Songs über Pussys machen?

"Der Begriff Wichsen meint mehr als nur eine männliche Flüssigkeit"

Hast du denn mit negativen Reaktionen auf das "Pussy Mask"-Video gerechnet?

Ach, Menschen regen sich über alle möglichen Sachen auf. Letzte Woche habe ich einen Vortrag für das Royal College Of Art in London gehalten. Der Song war noch nicht veröffentlicht, also habe ich ihn zunächst vorgelesen wie ein Gedicht. Es ging danach mehr oder weniger um die Politik des Wichsens, analog zu meiner Kunstausstellung mit dem Titel "Whose Jizz Is This?" Der Begriff Wichsen meint ja mehr als nur eine männliche Flüssigkeit. Das Ganze lief über Twitch und als sich ein Zuschauer beschwerte, wurde die Übertragung abgebrochen. Man kann sich also nie sicher sein. Ich mache mir schon Gedanken und versuche eine Perspektive aufzuzeigen, von der ich glaube, dass denkende Menschen dafür empfänglich sein müssten. Auch wenn das nicht immer der Fall ist. Darin sehe ich meine Aufgabe.

Dennoch hat sich die Welt femininen Positionen im Pop geöffnet.

Ja, vor allem dem intersektionalen Feminismus. Ich habe die Serie "Mrs. America" gesehen, in der es um die Durchsetzung des Equal Rights Amendments geht. Das war die zweite Feminismus-Welle in den USA um Gloria Steinem und Shirley Chisholm und die Frau, die das Buch "The Feminine Mystique" geschrieben hat. Das Verständnis für Intersektionalität ist definitiv gewachsen, genauso wie die Reflexion von weißem Feminismus und all seinen Privilegien.

Lana Del Rey wird immer wieder als Anti-Feministin aufgrund ihrer Texte kritisiert. Sie würde ein rückständiges Frauenbild zeichnen und Missbrauch gegen Frauen verherrlichen. Wie siehst du das?

Ich kenne ihre Ästhetik, aber die Texte nicht gut genug, um dazu etwas sagen zu können.

Sie verteidigte die kritisierten Zeilen u.a. damit, dass eine feministische Bewegung auch Raum für Fragilität bieten müsse.

Über Fragilität zu singen ist sicher keine Schwäche und schon gar nicht antifeministisch. Das macht ja überhaupt keinen Sinn. Vielleicht rekurriert sie auf ihren Song "Ultraviolence" mit der Zeile "He hit me and it felt like a kiss". Das würde ich mir aber gerne erst genau anhören, bevor ich mich dazu äußere.

Transphobie und Misogynie sind 2021 leider immer noch nicht überwunden. Dafür hat die "Female Empowerment"-Bewegung großen Auftrieb erhalten, maßgeblich von einer jungen, nachgewachsenen Generation. Bekommst du auch mehr Feedback auf deine Arbeit als 2015?

Als ich 2015 Interviews zu meinem "Rub"-Album gab, hörte ich lustigerweise Sätze wie: Hey, ist es nicht toll, dass wir über so viele Dinge heutzutage gar nicht mehr sprechen müssen, weil sie selbstverständlich geworden sind? Und ich meinte, ja, es fühlt sich großartig an. Damals war Obama noch im Amt. Ein Jahr später hieß es dann: Oh, es gibt so unglaublich viele Dinge, über die wir dringend sprechen müssen. (lacht)

Ja, ich erhalte nach wie vor viel ermutigendes Feedback von Leuten, die mich oder meine Arbeit mögen und verstehen. Mein Wunsch ist, dass sie Spaß an der Musik, dem Auftritt und an der Kunst empfinden und selbst inspiriert werden.

"Pussy Mask" erscheint auf Jack Whites Third Man-Label. Wie kam das zustande?

Wir wollten schon immer mal etwas zusammen machen und nun ergab sich diese Chance. Ich finde, es passt perfekt. Zumal sie bisher kaum elektronische Musik veröffentlicht haben. Ich schätze, es dürfte einige ihrer Fans verwirren, aber sie könnten es schon mögen. Ich bin sehr aufgeregt, dass wir es als Vinylsingle veröffentlichen, auch als Picture-Vinyl.

Ich war auf der Facebook-Seite von Third Man Records und unter dem Ankündigungs-Posting ging es schon wild hin und her. Sehr unterhaltsam. Man könnte meinen, wir hätten noch das Jahr 2001.

Überrascht dich das?

Ich finde es schon schwer nachvollziehbar, wie man im Jahr 2021 noch erwarten kann, dass ein Label wie Third Man Records ausschließlich Rockmusik veröffentlicht. Obendrein da Jack White nicht als Konservativer bekannt ist. Aber es ist ja auch nur Facebook.

Stimmt. Am Ende ist es einfach nur irgendein Satz.

Im Video waren dir dieses Mal explizit politische Inhalte wichtig. Wir treffen u.a. auf den US-Immunologen Anthony Fauci und die linke US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez. Außerdem thematisiert der Clip das weltweite Ansteigen restriktiver Abtreibungsgesetze.

AOC musste extrem viel aushalten als Kongressabgeordnete, als Frau. Sie wurde missverstanden und zurechtgewiesen. Nicht nur von Trump, auch männliche Abgeordnete nannten sie böse, sie sei eine Hexe und so weiter. Ruth Bader Ginsburg hat die Gleichberechtigungsbewegung unglaublich geprägt, alleine schon ihr Kampf gegen die Lohndiskriminierung. Hey, gleiche Entlohnung, warum sollte es sowas nicht geben? Und Fauci stand immer wieder im Zentrum von Debatten und wurde diskreditiert. Von Trump sowieso. Erst letzte Woche wurde er von einem Senator wieder massiv angegangen, warum er auf die Maskenpflicht bestünde, so als hätte er dadurch einen persönlichen Vorteil. Dabei will er einfach nur die Allgemeinheit schützen. Mit dem Video wollte ich all diesen Personen meinen Respekt zollen.

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