laut.de-Kritik

How can we (still) sleep, while the beds are burning?

Review von

Nachdem Australien von Ozonloch und Klimawandel frühzeitig betroffen war, zeigten sich Musiker:innen dort schon vor geraumer Zeit beeindruckt. Speziell die Band Midnight Oil setzte mit ihrer Hymne "Beds Are Burning" 1987 den Maßstab des Fridays-for-Future-, Extinction-Rebellion- und Letzte-Generation-Rock-Anthems. Das zugehörige Album "Diesel And Dust" genießt - auch in unseren Meilensteinen - heute Kultstatus.

Der ernste und musikalisch kraftvolle Hit daraus ist bis heute das international eindeutige Markenzeichen von Komponist und Sänger Peter Garrett. Seine Gruppe gibt es nur mehr sporadisch, seit er als Greenpeace-Aktivist und dann als hauptamtlicher Politiker ein neues Kapitel seines Lebens aufschlug und das umweltpolitische Engagement aus Songwriter-Tagen in die Gesetzgebung stecken wollte. Sowohl als Parlamentarier wie auch als Umwelt- und später Jugend- und Schulminister genießt er in seiner Heimat Down Under große Bekanntheit, und dort schoss sein neues Album direkt auf Platz 17 in die Album-Charts.

"The True North" ist seine zweite Solo-Scheibe. Es ist ein Zuhörwerk mit viel Botschaft, anders formuliert als bei Greta van Thunberg, deutlich ärmer an Hysterie, wenngleich nicht frei davon, dafür mit viel Tiefgang und Erfahrung. Sein rhetorisches Talent und seine Debatten-Müdigkeit nach Jahrzehnten in der politischen Arena fließen in die Texte und Vortragstechnik ein.

Auf "Innocence Parts 1 + 2" brüllt er im "Part 1" anschwellend, fletscht im Videoclip die Zähne, zeigt seinen Zorn, und es ist ein Anbrüllen gegen Alu-Hüte. Gegen Sorglosigkeit. Gegen das fehlende Verständnis für ökologische Zusammenhänge, etwa wie sich der Mensch durch Artensterben ("smashing out the birds and the bees") nachhaltig selbst schadet.

Garretts Zorn richtet sich gegen ignorantes Warten (z.B. "Led by the ignorant / a habit of life" in "Paddo"), gegen das Verharmlosen, Relativieren des zivilisatorischen Einflusses auf die Klimaerwärmung. Seine Botschaft: Auch wenn es hart sei einzugestehen, dass wir über unsere Verhältnisse leben, sei es nie zu spät, die Kurve zu kriegen und Ressourcen zu schonen.

Ganz ruhig umzupft ihn die Musik auf der Hälfte des Albums. Dass er wohl zu gleichen Teilen mit Storyteller-Folk und dem New Wave seiner Generation sozialisiert ist, macht sich in seinem Nachdruck auf der anderen Album-Hälfte bemerkbar, und teilt sich in der rebellischen Punk-Attitüde mit, mit der er das Lobbyismus-durchseuchte Establishment in jeder Liedzeile heraus fordert. Musikalisch macht sich geradezu Pogues-mäßig im schroffen "Hey Archetype" auf sehr gelungene Art der Folk-Punk breit, Harmonika inklusive.

Ebenso bekommen die "right-wing clowns", die sich als Facebook-Trolle tarnen, ihr Fett weg, in "Meltdown", dem Track, der neben "Permaglow" am meisten nach alten Midnight Oil-Tagen klingt.

Der starke Akustik-Song "Everybody" mit Cello kommt von einer pazifistischen Flanke, fordert "everybody should lay weapons down" und fragt nach dem persönlichen Spielraum: Was kann man persönlich beitragen? "And I ask myself: Could I have done more?" Solche inneren moralischen Konflikte spiegeln sich in den umtriebigen Stücken, die unter oberflächlicher Ruhe oder rockiger Stringenz auch ein Brodeln signalisieren, wenn man sich auf sie einlässt.

Besonders deutlich wird das im tänzelnden Electroclash-Pop-Groove von "Paddo", samt Loop-Maschine. Unter der weichen Verpackung staut sich Veränderungswille. In Etappen dosiert, lässt Peter mit jeder Strophe ein bisschen Dampf ab. "There was a blood moon in the pinkish sky", eröffnet der Polit-Vokalist seine farbsatten Bildwelten. In sein apokalyptisches Szenario vom Tag des Jüngsten Gerichts flicht er viele Metaphern, Symbolik und Reizworte rund um Warnung, Alarm, Schrecken, Bedrohung ein. "The weathermen prayed", erinnert er ans amerikanische R.A.F.-Pendant der 1970er, die Weathermen, die sich linksradikal positionierten und zuletzt Obamas Umweltpolitik mit einem Veteran der Bewegung unterwanderten. Doch das flog auf, "their private universe melting away."

Der Titelsong der CD spielt derweil auf den eingeschränkten Lebensraum der Aborigines an und zitiert geographische Namen, die so unbekannt sind, dass Google-Maps mit ihnen überfordert ist. Während Midnight Oil-Keyboarder Jim Moginie und Drummer Rob Hirst auf ihrer EP "Red Continent" ins gleiche Horn stoßen, fragt man sich, weshalb sie ihre Songs nicht auf einem Oil-Tonträger vereint haben, sondern unter ihren bürgerlichen Namen getrennt schöne Musik releasen, die man auf den anderen Kontinenten kaum mit bekommt.

Schon an diesem Punkt zeigt sich: Klima- und Umweltschutz (und Weltfrieden) bleiben irgendwie dann doch Herkulesaufgaben. Wenn nicht gar große Utopien. Garrett, der diese Woche 71 wird, leistet einen musikalisch und poetisch super gestalteten Weckruf. Hoffen wir, dass die Welt ihn erhört. Sonst entgeht ihr zeitlos guter Alternative und Classic Rock von einem der großen Könner des Metiers.

Trackliste

  1. 1. The True North
  2. 2. Paddo
  3. 3. Innocence Parts 1 + 2
  4. 4. Hey Archetype
  5. 5. Permaglow
  6. 6. Human Playground
  7. 7. Currowan
  8. 8. Meltdown
  9. 9. Everybody

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