laut.de-Kritik
Mustergültige Sechs-Stunden-DVD des kleinen Briten.
Review von Florian SchadeFarewell, Phil Collins?
Wer's glaubt wird selig. Schon auf den Tickets zur "Final (?) Farewell Tour" wurde das Fragezeichen mit Bedacht platziert. Aus monetären Gründen wird sich Herr Collins wohl nicht mehr auf Tour begeben, aber seine Fans lassen es sich sicher nicht nehmen, den Meister wiederholt zu bitten: "One More Night"?
Ein schlichtes Menü, ein Collins-Strichmännchen und viele Polaroid-Fotos empfangen den werten DVD-Besitzer stilvoll. Gleich geht's los: Collins betritt das Pariser Bercy Stadion und wird für seine reine Anwesenheit schon frenetisch gefeiert. Das wird ein Heimspiel. Er setzt sich hinters Schlagzeug und fängt das willige Publikum mit einfachen, schnellen Rhythmen ein. Daraus erwächst ein Drum-Duell mit Chester Thompson, seinem langjährigen Tourtrommler und dem Perkussionist Luis Conte. Band, Bläser und Sänger kommen nach und nach auf die Bühne, und der Trommelwirbel gedeiht zu "Something Happend On The Way To Heaven".
Es folgt ein 133 Minuten starkes Hit-Feuerwerk quer durch Collins' musikalische Solo-Vita. Immer angereichert mit jeder Menge DVD-Extras. Die erste Ballade "Against All Odds" beispielsweise kann man sich nicht nur in der Bercy-Version, sondern auch als Musikvideo oder in der Version vom Live Aid 1985 in Philadelphia anschauen. Mit insgesamt sechs Stunden Spielzeit bekommt man vom kleinen Briten mit dem schütteren Haar jede Menge Unterhaltung geboten. Dabei werden fast alle Gimmicks ausgenutzt, die die moderne Technik bieten kann: Frei wählbare Kameraeinstellungen, drei Stunden Zusatzmaterial, darunter 15 Musikvideos, Backstage Material, Dokumentationen, eine Tour-Fotogalerie und ein amerikanisches TV-Special von 1990.
Abwechslungsreich gestaltet der gebürtige Londoner auch seine Bühnenshow. Zum Beispiel mit einer Acapella-Version des Cindy Lauper Hits "True Colors". Ein farbig leuchtender Glasboden, eine Video-Großleinwand, auf der zu jedem Song passende Visuals laufen und nicht zuletzt das 16-köpfige Bühnenpersonal sorgen für optische Kurzweil. Alleine schon der lange Zottelbart des Bassers Leland Sklar ist dem Regisseur mehrere Großaufnahmen wert.
Auffällig: Die erste DVD besteht hauptsächlich aus Downtempo-Nummern, während DVD Nummer zwei mit "You Cant't Hurry Love", "Easy Lover", "Sussudio" und natürlich "In The Air Tonight" Collins' Über-Hits aus den Achzigern enthält. Irgendwie verdeutlicht diese dramaturgische Anordnung, dass dem guten Phil irgendwann Anfang der Neunziger doch einfach die Puste ausging. Dass zum Beispiel "Another Day In Paradise" noch straffrei aufgeführt werden darf, verstehe ich nicht - hier wäre eindeutig Schmerzensgeld fällig. Dafür hätten zum Beispiel ein bis zwei alte Genesis-Songs Platz gehabt. Im Booklet gibt es sogar Andeutungen zur alten Truppe zu entdecken, aber auf die DVD hat es kein Song der alten Recken geschafft.
Auch wenn uns Collins mittlerweile mit immergleich pathetisch klingenden Disney-Soundtracks quält - sein Oscar-gewinnender Song "You'll Be In My Heart" fehlt auch an diesem Konzertabend nicht - der gute Mann hat durchaus Humor, wie zum Beispiel das Extra-Filmchen "A Bit Of A Parking Problem" illustriert: Hier verkleidet sich Collins als Polizist, gibt sich als "Superintendent Walter Strange" aus und geht Beschwerden nach, die an ihn herangetragen wurden. Es geht um Klagen der Nachbarn, weil die Crew eines gewissen Bill Collins ("Never heard of that bloke") ständig falsch parkt. Nach und nach fragt er sich so durch seine ganze Tour-Truppe und stellt auch die kleinen Lichter seines 300-Mann-Trosses vor. Wenn das Ganze kein Fake ist, ist es wirklich erstaunlich, wie viele seiner Mitarbeiter ihn tatsächlich nicht (er)kennen.
Als sei das alles nicht genug, treten als zusätzliches Schmankerl im TV Special von 1990 viele Gaststars wie Bruce Willis, John Travolta, oder Dr. Dre auf. Fazit: Wer nicht - wie etwa die Kollegen Henze und Oriwall - schon allein beim Namen Phil Collins Hautausschlag, eine grüne Zunge, verdrehte Augen und akute Atemnot bekommt, wird hier mustergültig bedient. Selten bot eine DVD so viele Extras, so viel Spielzeit und eine exzellente Sound- und Bildqualität wie diese.
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