laut.de-Kritik
Von großer Kunst umgeben: Wie die Band, so der Hörer.
Review von Johannes JimenoFür ihr siebtes Studioalbum versammelten sich Phoenix 2020 im "Musée des Arts décoratifs" im Pariser Louvre, inmitten der Covid-Pandemie. Sie fanden die Idee spannend, Musik zu erschaffen, während sie von atemberaubenden Kunstwerken umgeben sind. Das hat Frontmann Thomas Mars und seine Kollegen dermaßen beseelt, dass sie den Großteil des Albums bereits innerhalb zehn Tagen geschrieben haben.
Zehn ist im Phoenix-Kosmos eine Konstante, weist doch jedes Album exakt diese Anzahl an Songs auf. "Alpha Zulu" bildet da keine Ausnahme. Passend zum Museum sieht man auf dem Cover die vier Jünglinge aus Sandro Botticellis "Maria mit Kind und Engelschor", wie sie auf etwas Wundersames schauen. Eine feine Metapher für die vier Mannen aus Versailles, wie sie neue Inspiration sammeln.
"Alpha Zulu" markiert auch das erste Album seit "Wolfgang Amadeus Phoenix" ohne die Mithilfe des 2019 verstorbenen Philippe Zdar, doch sein Einfluss bleibt auch hier spürbar. Gleich der stampfende Titeltrack setzt ein Ausrufezeichen mit Vocal-Snippets als Teil des Beats, dazu ein sarkastisch vorgetragener Refrain, religiös angehauchte Lyrics und ein pittoresker Post-Chorus. Ein Industrial-Outro vollendet den Auftakt. In seiner Expressivität erinnert es an "Entertainment" von "Bankrupt!", ebenfalls die erste Albumsingle sowie ein unerwarteter Sound.
Unerwartet ebenso der Fakt, dass im anschließenden "Tonight" mit Ezra Koenig von Vampire Weekend ein Featuregast auftritt. Ein absolutes Novum in der Bandgeschichte. Beide Stimmen ergänzen sich wunderbar im Trademark-Sound aus melancholischem Gesang und raumgreifender Klangkulisse. Am Ende singen Mars und Koenig sogar im Kanon.
Das nächste Highlight erwartet uns nach zwei Zwischenstopps. Zum einen das fluffige "The Only One", bei dem sich ein dramatischer Refrain zwischen Zirpen und Fiepen schleicht. Konvergierende Melodien sorgen für große Geschmeidigkeit. Zum anderen das sinistre "After Midnight", einem aufheulenden Indie-Dance mit frenetischen Synths.
Normalerweise musizieren Phoenix stets zusammen, doch bei "Winter Solstice" schickte die Band ihrem in New York wohnhaften Sänger einen Loop und er sollte einen "Stream of Conciousness" aufnehmen. Diese Übersee-Konstellation bekundet den lyrisch traurigsten Song jemals von Phoenix, betulich und mit schlichtem Kickloop umhangen. Minimal gecrunchte Synthies fräsen sich durch den Chorus und sorgen für das gewisse Etwas. Der romantische Schunkler "Season 2" hilft einem wieder auf die Beine dank hüpfendem Beat und verspielten Motiven. Da träumt man sich glatt an die Côte d'Azur mit einem Kir Royal oder schwelgt in Erinnerungen an Italien.
Erneut überzeugt das Quartett mit musikalischer Diversität. Das funkige "Artefact" verblüfft mit einem rasch kommenden Refrain, leicht verzerrter Stimme und quillt mit etlichen kurz eingespielten Elementen über. Derweil mausert sich ohne Wenn und Aber "All Eyes On Me" zum Indie-Hit des Jahres. Ein famoser Dancefloor-Filler mit mittelalterlich angehauchter Zither und pulsierendem House-Beat. Hiermit manifestieren sie ihre lässige Coolness endgültig.
Das ätherische "My Elixir" veranschaulicht, dass einfache Strukturen nicht beliebig sein müssen, sondern anspruchsvolles Easy Listening ergeben. Ein Hauch von Air weht hindurch. Apropos: Das gesamte Album versprüht gemessen an seiner üppigen Darbietung den Charme eines "Love 2" der beiden französischen Landsmänner.
Das knarzige "Identical", bereits aus Sofia Coppolas Film "On The Rocks" bekannt, beschließt "Alpha Zulu". Es zementiert die unumstößliche Wahrheit, dass Phoenix schlichtweg nicht im Stande ist, schlechte Musik zu machen. Sie setzen sich immer neuen Reizen aus, bleiben sich gleichzeitig jedoch treu: Der Fixstern des Alternative-Pop. Sie umgaben sich mit großer Kunst und durch ihre Musik tun wir es ihnen gleich. L'art pour l'art, c'est merveilleux.
Noch keine Kommentare