laut.de-Kritik

Emo-Pop und das Jungle-Revival.

Review von

Langsam sollten wir über den Punkt hinweg sein, uns darüber zu wundern, dass ja tatsächlich neue Musiker über die Pipeline des prominenten Social Media des Tages emporsteigen. Dass jemand ein TikTok-Artist ist, sagt nämlich in diesem Sinne erst einmal herzlich wenig aus. Das einzige, was sie alle verbindet, ist, dass sie sich an irgendeinem Punkt die Frage gestellt haben, wie man Songs schreibt, die im sehr kurzen Zeitfenster von unter 30 Sekunden funktionieren. Und die neue Tronfolgerin der Sadgirls PinkPantheress etabliert sich mit ihrem ersten Mixtape "To Hell With It" als Großmeisterin dieser Disziplin.

Die zwanzigjährige Britin mit kenianischen Wurzeln nennt ihre eigene Musik "New Nostalgia" - und untermalt das, indem sie auf prominenten Samples von Garage- und Jungle-Tunes der letzten Jahrzehnte nostalgische DIY-Tunes aufleben lässt. Die Songs, die entstehen sind kurz und einschlägig, sie hat ein goldenes Händchen dafür, einem Sample oder einer Soundidee sofort den maximalen Effekt abzuringen. Der Vibe spielt irgendwo zwischen Bedroom-Pop und modernem R'n'B und nimmt alle Stärken dieser Genres mit. Aber durch die nostalgischen Electro-Elemente macht sie beide Seiten ihrer Arbeit frischer und innovativer. Songs wie "Pain" oder "Passion" haben sich deshalb organisch von Snippets zu Fragmenten entwickeln, die nicht nur TikTok im Sturm erobern.

Zwei Elemente sind ausschlaggebend, um PinkPantheress' Musik so unausweichlich zu machen. Zum einen ist sie ein Head, der sich aber nicht darum drückt, auch die Stärke des Oberflächlichen zu nutzen. "Flowers" von Sweet Female Attitude ("Pain"), Crystal Waters "Gypsy Woman" ("I Must Apologise") oder "Circles" von Adam F ("Break It Off") - das sind mitnichten wohlgehütete Geheimnisse der britischen Dance-Geschichte, die sie verarbeitet. Es sind vermutlich Tracks, die man an einem Abend ohne Ahnung mit der YouTube-Empfehlungs-Funktion zusammensortieren könnte.

Aber die Stärke von PinkPantheress und ihrer nostalgischen Neuinterpretation britischer Tanzmusik liegt nicht in ihrer Subversion, sondern in ihrem simplen Herunterbrechen und Übersetzen der Sounds in ein neues Medium. Verschwunden ist der Rahmen und alles Fett dieser Songs, der sie damals erschwert hat, übrig bleibt nur eine simple Melodie, ein Loop, gleichförmig mit dem Ohrwurm, den diese Klassiker den meisten Europäern zumindest über kulturelle Osmose schon einmal verpasst haben. "New Nostalgia" trifft als Begriff wie die Faust aufs Auge, denn ihr Gehör für Flips nimmt kulturelles Hintergrundrauschen und packt es in warme, effektive Electro-Pop-Jams, die sich vertraut und frisch gleichermaßen anfühlen. Verdammt, auf "Last Valentines" bearbeitet sie "Forgotten" von Linkin Parks "Hybrid Theory" - wer danach nicht an die transformative Kraft ihres Schaffensprozesses glaubt, will es einfach nicht.

So erklärt sich also, warum sie so unglaublich gut darin ist, Stimmung und Atmosphäre aufzubauen. Aber damit die Songs so hängen bleiben, dafür braucht es auch Songwriting. In einem Interview erklärt sie, dass sie dafür oft in einem K-Pop-Framework denkt. Gruppen wie EXID haben ihr Vorlage gegeben, über Toplines und melodisches Arrangement nachzudenken. Songs wie "I Must Apologise" nutzen deswegen ihre Samples und melodischen Loops gekonnt nur als Tonesetter, die wirkliche Eingängigkeit passiert in den Vocal-Arrangements. Auf den ersten Blick scheinen die Songs kurz und schlicht, aber wie sie hier über einen wundervollen Pre-Chorus in den Chorus-Drop überleitet, vollbringt Wunder. Dazu gibt es eine solide Portion Adlibs, unterschwellige Harmonien und Reverb-Layers, die ihrer Stimme Tiefe in der DIY-Unraffiniertheit verleihen.

Die Songs klingen auch in ihrer rohen Kürze einfach durch die Bank fantastisch. Und auch, wenn diese Kürze ihr gerade noch als Makel vorgehalten wird, könnte es sich im Nachhinein auch als versteckter Segen entpuppen. Mit gerade einmal 18 Minuten Spielzeit ist "To Hell With It" natürlich kein substantielles Album-Meisterwerk, aber es verschwendet dennoch keinen Moment. Bis zu den letzten Songs schmiedet PinkPantheress kreative und stimmungsvolle Song-Fragmente, die immer perfekt auf das Wesentliche zugeschnitten sind. Das Album fliegt durch die Laufzeit – und es fällt schwer, auch nach dem x-ten Hören nicht mehr davon zu wollen.

Trackliste

  1. 1. Pain
  2. 2. I Must Apologise
  3. 3. Last Valentines
  4. 4. Passion
  5. 5. Just For Me
  6. 6. Noticed I Cried
  7. 7. Reason
  8. 8. All My Friends Know
  9. 9. Nineteen
  10. 10. Break It Off - Bonus

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT PinkPantheress

Es erscheint ziemlich abgestanden, irgendjemanden zum Gen Z-Repräsentativ auszurufen, aber wenn man sich den Werdegang von PinkPantheress so ansieht, …

Noch keine Kommentare