21. September 2013
"Ich musste meine Komfortzone verlassen"
Interview geführt von Kai ButterweckSeit gut fünf Jahren sind Placebo wieder eine richtige Familie. Die Trennung von Drummer Steve Hewitt bewahrte das britische Alternative-Flaggschiff seiner Zeit vor dem Untergang. Seither herrscht wieder Friede, Freude, Eierkuchen. Mit neuem Antrieb (Steve Forrest, Drums) und dem Mut für den Blick über den eigenen Tellerrand ("Loud Like Love"), befindet sich das Trio wieder auf Kurs.
Sich an einem neuen Arbeitsplatz mit neuen Kollegen und innerhalb eines fremden Umfeldes zurechtzufinden, ist nicht immer einfach. Dabei spielt es auch keine Rolle, welchem Beruf man nachgeht. Der neue Mann am Backofen braucht ebenso seine Eingewöhnungszeit wie die neue Sekretärin. Auch Musiker machen da keine Ausnahme – schon gar nicht, wenn sich der Arbeitsplatz von einem miefigen Hinterhofbunker in ein dekadent ausgestattetes High End-Studio verwandelt. So geschehen im Fall von Placebo-Drummer Steve Forrest.
Der heute 26-jährige Kalifornier schlüpfte nämlich vor gut fünf Jahren praktisch über Nacht in die Rolle des Taktgebers innerhalb einer der erfolgreichsten Rockbands der Gegenwart. Eben noch mit der eigenen Band im Underground Kaliforniens zu Gange und mit dem nächsten Augenaufschlag plötzlich auf den größten Bühnen dieser Welt. Da drängeln sich die verrücktmachenden Teufelchen im Unterbewusstsein doch wie wild um die wenigen Logenplätze im Hirn des Auserwählten – oder, Herr Forrest?
Hi Steve, du bist vor fünfeinhalb Jahren praktisch über Nacht in den Rock-Olymp gehievt worden. Wie lange hast du gebraucht, um das Geschehene zu realisieren?
Steve: Das hat ziemlich lange gedauert (lacht). Ich glaube, mir wurde erst richtig bewusst, dass ich der neue Drummer von Placebo war, als wir uns in der Mitte der "Battle For The Sun"-Welttour befanden. Da war ich aber schon fast ein Jahr dabei.
Was war der Grund dafür? Der Bandname? Die großen Bühnen? Oder der allabendliche Blick auf die Kehrseite von Brian Molko?
(lacht) Von allem ein bisschen.
Hast du Druck verspürt?
Ja, das war auch das Hauptproblem. Ich meine, ich hatte vorher meine eigene kleine Band. Da lief aber nicht mehr viel. Als ich dann davon hörte, dass Placebo einen neuen Drummer suchten, kontaktierte ich die Band. Am nächsten Tag rief mich Brian an und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte nach London zu kommen. Die nächsten zwei Monate habe ich die Songs von fünf kompletten Alben gelernt; und im Dezember 2008 saß ich plötzlich in einem buddhistischen Tempel in Kambodscha auf einem Drum-Schemel und spielte zusammen mit Brian und Stefan mein erstes offizielles Placebo-Konzert. Das war schon ziemlich heftig. Plötzlich waren da all diese Leute. Überall standen Kameras und Menschen machten Fotos. Ich hatte auf einmal einen eigenen Drum-Tech und mein Gesicht tauchte in diversen Magazinen auf. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen.
"Das ging mir ziemlich gegen den Strich"
Und dann wurdest du von Herrn Molko zu Beginn auch noch allzu gerne als "Band-Baby" und "kleines Brüderchen" vorgestellt. Hat dich das nicht genervt?
Nein, gar nicht. Als ich in die Band kam, war ich noch richtig grün hinter den Ohren. Ich war jung und bekam plötzlich die Gelegenheit in einer Band aufzuwachsen, die zu diesem Zeitpunkt schon mehr erreicht hatte, als die meisten Bands in ihrer gesamten Laufbahn erreichen. Brian war und ist eine Ikone. Er ist vierzehn Jahre älter als ich. Der Mann hatte zu dieser Zeit schon alles gesehen. Ich wusste nichts. Also blickte ich zu ihm auf und er nahm mich unter seine Fittiche. Er verhielt sich mir gegenüber wie ein großer Bruder. Insofern waren seine Bezeichnungen für mich völlig in Ordnung.
Wie sieht es heute aus?
Nun, ich bin jetzt seit über fünf Jahren dabei und war an zwei großen Tourneen und vier Releases beteiligt. Es hat sich einiges geändert. Wir begegnen uns jetzt auf Augenhöhe – sowohl künstlerisch, als auch menschlich. Ich bin ein gleichberechtigtes Bandmitglied mit denselben Rechten und Pflichten – auch wenn mich viele Außenstehende immer noch gerne als "den Neuen" bezeichnen. Das kümmert mich aber nicht mehr.
Das neue Album "Loud Like Love" ist der zweite Placebo-Longplayer für dich. Was hat sich für dich - im Vergleich zu "Battle For The Sun" - in Bezug auf den Entstehungsprozess verändert?
Ich habe vor allem gelernt meine Komfortzone zu verlassen, ohne dabei einen Ego-Schaden zu erleiden (lacht).
Was meinst du damit?
Naja, ich bin eigentlich ein Purist wenn es um das Schlagzeugspielen geht. Ich komme vom Punkrock und bin ein Freund organischer Klänge. Auf dem neuen Album wollten Brian und Stefan allerdings vermehrt mit Loops und anderem technischem Zeugs arbeiten. Das ging mir zuerst ziemlich gegen den Strich. Also nahmen sie mich zur Seite und legten mir nahe, mein Ego für eine Weile im Keller zu parken und mich auf neue Sachen einzulassen. Das war gar nicht so einfach (lacht).
Demnach bist du unzufrieden?
Nein, ich WAR unzufrieden – bis ich an den Punkt gelangte, wo ich über meinen Schatten sprang. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich dahin gelangt bin. Aber seitdem arbeite ich gerne mit Loops und Co. Derartige Einschübe zwingen dich als Drummer noch fokussierter und konzentrierter zu arbeiten. Schließlich läuft nichts so genau wie eine Maschine. Da muss dann alles passen. Das war eine ziemliche Herausforderung für mich. Und ich liebe Herausforderungen. Ich bin ein Arbeitstier. Auch wenn ich auf straighte Beats stehe, will ich mich stets weiterentwickeln. Schlussendlich bin ich den Jungs dankbar dafür, dass sie mich mit Neuem konfrontiert haben – auch wenn ich zu Beginn sehr skeptisch war.
Trotz aller Piano, Strings und Elektro-Einschübe klingt "Loud Like Love" unverkennbar nach Placebo. Das liegt in erster Linie natürlich an Brians markantem Organ. Fluch und Segen zugleich?
Brians Stimme ist einfach einzigartig. Die Band hat bisher sieben Alben veröffentlicht, die meiner Meinung nach alle verschieden klingen. Die einzige Konstante ist Brians Stimme. Das sichert uns ein Grund-Authentizität, die uns die Freiheit gibt, alles ausprobieren zu können, ohne dabei Gefahr zu laufen, das Fundament zu verlieren. Solange Brian am Mikrofon steht, werden Placebo immer wie Placebo klingen – ganz egal, ob wir irgendwann einmal eine Punkrock- oder eine Jazz-Platte aufnehmen sollten. Das ist ein Segen. Definitiv.
"Bei uns gibt es keine Diktatur"
Ich habe das Gefühl, dass seit der Veröffentlichung von "Battle For The Sun" ein ungewohnt positiver Vibe im Hause Placebo herrscht. Ist dem so?
Steve: Ja, ich denke schon. "Meds" war ein ziemlich düsteres Album. Ich meine, ich war beim Entstehungsprozess nicht dabei, aber ich habe mir sagen lassen, dass es wohl keine sonderlich schöne Zeit gewesen sein soll. Die ganze Sache mit Steve (Steve Hewitt, Ex-Drummer) hatte bei Brian und Stefan natürlich viele Spuren hinterlassen. Niemand trennt sich gerne von jemandem, der jahrelang zur Familie gehörte. So etwas ist immer ein schwerer Prozess, auch wenn es manchmal keine andere Möglichkeit gibt. Ich meine, die beiden hatten damals die Wahl: Entweder sie lösen die Band auf, oder aber sie kümmern sich um neues Personal.
Brian und Stefan haben sich für einen Umbruch entschieden, weil sie zu viel in die Band investiert hatten, um sie einfach so aufzulösen. Als sie diese Belastung dann nicht mehr spürten, trat wieder Licht in ihr Leben. Das hat sich natürlich auch auf die Musik ausgewirkt. Jede Produktion ist auch gleichzeitig ein Spiegel der Umstände, in denen ein Produkt entsteht. Wenn ein Autor schlechte Laune hat, dann liest man das auch zwischen den Zeilen. Und wenn ein Autohersteller Stress hat, dann sollte der Käufer auch lieber zweimal unter die Motorhaube gucken, verstehst du (lacht)?
Ich denke, es lag weniger an mir als Person, sondern eher an der gesamten Neukonstellation, dass sich ab dem "Battle For The Sun"-Album wieder verstärkt positive Sounds breit machten. Das neue Album geht sogar noch einen Schritt weiter, wie ich finde. Wir arbeiten sehr familiär miteinander. Natürlich bringt Brian den Hauptteil an Input mit ins Studio. Aber es gibt keine Diktatur. Was gefällt, wird gemacht. Und was nicht gefällt, landet auf dem Müll. Wir nehmen seine Ideen auf und arbeiten gemeinsam an einem Endprodukt. Das funktioniert wunderbar und alle haben eine tolle Zeit dabei. Da denkt man nur selten an düstere und apokalyptische Sounds.
Sieben Alben, sieben verschiedene Produzenten: Zufall? Oder Methode?
(lacht) Das kann ich schlecht beantworten. Da müsste ich Brian mal fragen. Ich kann nur sagen, dass sowohl David Bottrill auf dem letzten, wie auch Adam Noble auf dem neuen Album perfekte Arbeit geleistet haben. Bei Adam fühlte es sich sogar so an, als wäre er das inoffizielle vierte Bandmitglied gewesen. Er war Motivator, Trostspender und Ideengeber in einem.
Motivator? Trostspender? Ideengeber? Das klingt, als hätte Adam mit einer Newcomerband zusammengearbeitet…
Produzenten werden immer unterschätzt. Natürlich hätten wir die Produktion auch alleine stemmen können. Brian und Stefan sind schließlich alte Businesshasen. Und dennoch ist die Gefahr groß, dass man sich künstlerisch einengt. Eine Person von außen hat eine ganz andere Wahrnehmung. Adam hat Dinge bemerkt und gehört, die uns gar nicht aufgefallen sind, weil wir als Band viel zu fokussiert waren. Ihm war es wichtig, dass wir uns nicht wiederholen.
Das Album sollte sich von der Stimmung und vom Sound her von allem unterscheiden, was wir bisher gemacht haben. Dazu braucht man natürlich Mut und zwei Ohren, die sich in den vergangenen zwanzig Jahren auch mit anderer Musik beschäftigt haben. Ich glaube, dass das Album ohne Adams Hilfe nicht zu dem geworden wäre, was es letztlich ist – ein Album, das völlig neue Wege bestreitet, aber dennoch von vorne bis hinten nach Placebo klingt.
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